Tarek ist aufgeregt. Der Vierjährige hat drei Sonnenblumen und ein selbstgemaltes Bild in der Hand. "Das ist für Steindruck", erklärt der Deutschtürke, der mit seinen Freunden im Familienzentrum der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Monheim Spalier steht. Peer Steinbrück hat sich angemeldet. Unweit der Landeshauptstadt Düsseldorf kämpft der 66-Jährige wie schon 2009 um ein Direktmandat für den Bundestag. Damals scheiterte der Sozialdemokrat, dieses Mal soll alles besser werden.
Mit einem knappen "Guten Morgen" begrüßt Steinbrück sein Empfangskomitee weniger herzlich, als hanseatisch nüchtern. Aber: Der Kanzlerkandidat zeigt sich interessiert. "Wie viele Kinder habt ihr hier?", fragt Peer Steinbrück die Betreuer. Knapp 90 seien es, so Jürgen Otto, Geschäftsführer des AWO-Bezirksverbands Niederrhein, der ergänzt: "Der Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund liegt hier bei 70 Prozent." Die Sprachförderung sei daher die wichtigste Aufgabe der Betreuer. "Wichtig ist, dass die Kinder früh zu uns kommen. Wenn Sie zwei oder drei Jahre alt sind, haben wir Zeit, sie zu fördern und fit für die Schule zu machen." Diese Steilvorlage nimmt Steinbrück dankend an: "Das Betreuungsgeld wirkt dem entgegen. Familien werden belohnt, ihre Kinder zu Hause zu lassen. Das ist eine fatale Fehlentscheidung." Punkt gemacht, weiter geht’s nach Langenfeld.
Angst vor der Vermögenssteuer
Dort warten Landwirt Gisbert Münster und seine 95 Kühe auf den ehemaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen. Seit 102 Jahren wird auf dem Hof der Familie Münster in Langenfeld schon Milch produziert. „Ich war als Kind sehr oft auf dem Bauernhof. Das ist also eine Umgebung, die meine Sympathie hat“, sucht Steinbrück die Nähe. Auch später habe er noch Familienurlaub auf dem Bauernhof gemacht. „Melken kann ich zwar nicht, da fehlt mir die Technik. Aber meine Frau kann das, sie ist in der ehemaligen DDR auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen.“ Den Landwirte ist allerdings nicht nach Smalltalk zumute, sie haben ernsteren Gesprächsbedarf.
"Uns Landwirten bleibt immer weniger Fläche. Immer mehr Windräder werden aufgestellt, wo noch Land frei ist, werden Straßen und Bürohäuser gebaut“, beklagt Münster. Seine rund 100 Hektar seien auf 43 Parzellen verteilt. So könne man kaum wirtschaftlich arbeiten.
Themen des SPD-Wahlprogramms
Die SPD will einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro. Bei gleicher Arbeit sollen Leiharbeiter den gleichen Lohn bekommen wie fest angestellte Kollegen. In Vorständen soll eine Frauenquote von 40 Prozent die Gleichberechtigung stärken.
Mit einer Neustrukturierung des Kindergelds sollen Familien mit geringen und mittleren Einkommen davor bewahrt werden, auf Hartz-IV-Niveau abzurutschen: Familien mit einem Einkommen bis 3000 Euro können mit dem bisherigen Kindergeld von 184 Euro und einem Kinderzuschlag von 140 Euro auf bis zu 324 Euro pro Monat kommen.
Die SPD will eine Solidarrente von 850 Euro für Geringverdiener, die mindestens 30 Beitragsjahre aufweisen können. Die Frage des künftigen Rentenniveaus ist noch offen. Die SPD-Linke will verhindern, dass es von rund 50 Prozent des durchschnittlichen Nettolohns bis 2030 auf bis zu 43 Prozent absinken kann. Ost-Renten sollen bis 2020 stufenweise auf West-Niveau angeglichen werden.
Die SPD fordert die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent für hohe Einkommen und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Steuerbetrug soll stärker bekämpft werden.
Bei Neuvermietungen soll die Miete nur maximal zehn Prozent über ortsüblichen Vergleichspreisen liegen. Bei bestehenden Verträgen soll es nur noch eine Erhöhung um maximal 15 Prozent binnen vier Jahren geben. Die SPD will mit einem Milliardenprogramm den sozialen Wohnungsbau stärken, um Druck von den Mieten zu nehmen.
Die SPD setzt sich für eine Finanztransaktionssteuer ein und pocht auf ein Trennbankensystem. Geschäfts- und Investmentbereich sollen stärker getrennt werden, damit Risiken für den Steuerzahler gemindert werden. Die Institute sollen europaweit aus eigenen Mitteln einen Rettungsschirm aufbauen, damit der Staat bei Schieflagen nicht haften muss. Zudem soll es ein Verbot von Nahrungsmittel- und Rohstoffspekulationen geben.
Steinbrück hört zu und wägt ab. "Ich kenne das Problem der Flächenverluste aufgrund unterschiedlicher Nutzungsinteressen", sagt er - ohne eine Lösung anzubieten oder seine Position vorzutragen. Nein, Steinbrück ist kein Kümmerer, eher ein kühler Analyst. Noch ein zweites Thema bereitet den Bauern Kopfschmerzen: die von der SPD geplante Vermögenssteuer. "Die Bauern sind in großer Sorge. Unsere geringe Rentabilität lässt eine Besteuerung der Substanz nicht zu", unterstreicht Martin Dahlmann, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Mettmann. Steinbrück versucht, zu beruhigen. "Die Landwirte brauchen sich keine Sorgen zu machen. Es wird für sie keine Benachteiligung und keine Änderung bei der Unternehmensbesteuerung geben." Die Landwirte schauen irritiert.
Es wird immer deutlicher: Steinbrück hat es schwer in seinem Wahlkreis. Er ist engagiert, sucht den Kontakt zu den Bürgern, hört zu und erklärt - und wirkt dennoch zuweilen verloren. Schon 2009 unterlag er im Kampf um das Direktmandat der CDU-Kandidatin Michaela Noll deutlich. Nur über die Landesliste konnte der ehemalige Ministerpräsident von NRW in den Bundestag einziehen. Nun wagt Steinbrück einen neuen Anlauf.
"Steinbrück macht Haustür-Wahlkampf? Gut, dass wir nicht zu Hause sind"
"Ich wurde vor ein paar Jahren gebeten, diesen Wahlkreis zu übernehmen. Das habe ich gemacht. Und dann macht man sich auch nicht vom Acker, wenn man mal verliert", erklärt der Sozialdemokrat. Er werde kämpfen und versuchen, sozialdemokratische Wähler zu mobilisieren. "Wir werden alles versuchen, damit Peer seinen Wahlkreis gewinnt. Natürlich ist das eine schwierige Aufgabe, aber sie macht auch Spaß", sagen Inga Krefting (18) und Johanna Steffens (18) von den Jusos. "Wir schaffen das schon", unterstreicht Steinbrück und verweist auf die Landtagswahlen im vergangenen Jahr. Da gewann die SPD alle vier Direktmandate im Wahlkreis Mettmann.
"Das war ein Ausrutscher nach unten", widerspricht CDU-Kandidatin Michaela Noll. Steinbrück solle aus der Landtagswahl von 2012 nicht zu viel Hoffnung ziehen. "Ich bin sehr zuversichtlich, wieder zu gewinnen." Im Wahlkampf laufen sich die beiden Kontrahenten kaum über den Weg. Ein gemeinsames Gespräch sagte Steinbrück kurzfristig ab. "Ich finde es schade, dass es nicht zu einer Diskussion gekommen ist", sagt Noll, die mit vielen Wahlkampfauftritten vor Ort punkten will. "Ich wohne hier und bin permanent im Gespräch mit den Bürgern." Und das kommt an, zeigt eine Spontanumfrage in der Innenstadt.
"Frau Noll ist hier im Kreis beliebt, Steinbrück wird es schwer haben", sagt der 68-Jährige Peter George. Der SPD-Kandidat sei zwar ehrlich, die SPD komme aber nicht so gut an. "Hier gibt es viele, die ihr eigenes Häuschen haben. Die trauen den Sozialdemokraten nicht." Das spüren auch die Genossen vor Ort. Klaus Bartel ist mit 17 Jahren in die SPD eingetreten und lebt nun schon fast drei Jahrzehnte in Mettmann. Er spricht mit seinen Nachbarn viel über Politik und hat festgestellt: "Es gibt derzeit keine Wechselstimmung." Weder für Mettmann, noch für den Bund. "Der Trend ist nicht auf unserer Seite."
So schnell will Steinbrück den Wettstreit um Mettmann aber nicht aufgeben. Am Wahlstand in der Fußgängerzone wischt er die Bedenken beiseite. Unter Gerhard Schröder hätten bis zu zehn Millionen Menschen mehr die SPD gewählt, als bei der letzten Bundestagswahl 2009. "Es gibt genug potenzielle SPD-Wähler, gerade in NRW. Ich bin hier, um sie zu mobilisieren", sagt Steinbrück und bricht zu Hausbesuchen auf. Die Presse darf nicht mit. Der SPD-Kandidat ahnt offenbar, was kommt.
"Der Steinbrück macht Haustür-Wahlkampf? Gut, dass wir nicht zu Hause sind", sagen Rotraut und Manfred Wolter. Es sind nicht die Einzigen, die sich von Steinbrück abgewandt haben. "Die Menschen fühlen sich doch nicht unwohl unter der Führung von Angela Merkel, es geht ihnen gut. Und finanziell wäre Rot-Grün das größere Übel", sagt ein Passant. Nach Steinbrück gefragt, mutmaßt er: "Vielleicht ist er als Spitzenkandidat ungeeignet."
In seiner alten Rolle könne er sich den Bundesfinanzminister a.D. durchaus noch einmal vorstellen. Allein, daran hat dieser kein Interesse.