Wahlsager

Ist die Wahl schon längst gelaufen?

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2. Spätentscheider sind Unentschlossene

Deutschlands skurrilste Wahlplakate
Dieses Plakat der Piraten erreichte uns gleich mehrfach. Als gebe es einen Wettbewerb um unrealistische Wahlversprechen fordern die Piraten einfach "einen Wombat in jedem Haushalt". Sinnvoll oder einfach nur Papierverschwendung? Quelle: Piratenpartei
Auch der CDU-Abgeordnete Karl Schiewerling aus dem Wahlkreis Coesfeld/Steinfurt II verzichtet lieber gleich auf ein Wahlversprechen und wünscht seinen potenziellen Wählern lieber schöne Ferien. Auf seiner Homepage wirbt er dafür mit dem Slogan "Ihr Abgeordneter. Hält Wort."
Die Piratenpartei ist unter den skurrilen Plakaten gleich mehrfach vertreten, denn auch der Slogan "Themen statt Möpse" irritierte so manchen Wähler. Auch wenn der Mops mit ins Bild gerückt wurde, die Anspielung auf das freizügige Wahlplakat der CDU-Politikerin Vera Lengsfeld liegt nur allzu nah. Quelle: Stefan Butz
Dieses Plakat erinnerte unseren Leser an eine Situation am Grenzübergang in Salzburg vor vielen Jahren. "Warum wollen Sie denn nach Deutschland, bleiben Sie doch in Bayern", fragte der Grenzbeamte. Das Plakat zeigt, dass die Frage für einige immer noch aktuell ist. Quelle: Ernst Fojcik
Ein Beispiel dafür, dass Wahlplakate für sich allein hochseriös sein können, zusammen aber komisch wirken. Dieses Bild bekamen wir von einer Leserin aus Leipzig, unter dem Motto: "Drei Parteien, eine Brille". Quelle: Ulrike Bertus
Die Freien Wähler haben Kreativität bewiesen - und vor allem Fingerspitzengefühl bei der Positionierung des Plakats, es hängt nämlich direkt vor dem Springer-Haus in Hamburg. Quelle: Wolfgang Beecken
Ein Problem vieler Politiker und aller Parteien: Oft werden die Plakate verschandelt und sind schon nach kurzer Zeit nicht mehr wiederzuerkennen. Quelle: Martin Fuchs

Der zweite Trugschluss der Wahlkämpfer ist dann der Glaube, dass die Spätentscheider allesamt noch sehr lange zwischen mehreren Parteien schwankten (Unentschlossene). Denn es gibt noch zwei andere Gruppen. Manche Spätentscheider spielen mit einer ganz anderen Option: wählen oder nicht wählen. Hinzu kommen Parteiwechsler, die erst angeben, sicher die eine Partei wählen zu wollen und dann zu einer anderen wechseln. Wie wir gesehen haben,  wird der Unentschlossenen-Anteil zudem wohl deutlich überschätzt, die beiden anderen Gruppen spielen entsprechend eine deutlich größere Rolle.  Aus der Mannheimer Studie geht hervor, dass rund 39 Prozent der Wahlberechtigten  einen Monat vor der Wahl etwas anderes angeben, als sie dann auch wählen. Als „unentschlossen“ können dabei nur 14 Prozent gelten, 23 Prozent sind hingegen Parteiwechsler, die restlichen zwei Prozent noch unmobilisierte Wähler.

Die besten Zitate zur Landtagswahl
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer"Nach der Wahl ist vor der Wahl. Ich habe mit der Kanzlerin heute telefoniert und ihr zugesagt, dass wir jetzt ab morgen früh alles tun werden von Bayern aus, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt." Quelle: dpa
Hermann Gröhe, CDU-Generalsekretär:"Die Zweitstimme, das ist die entscheidende Stimme im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse im Land. Die ist gleichsam Merkel-Stimme. Und deswegen werben wir für beide Stimmen für die Union." Quelle: AP
Peer Steinbrück, SPD-Kanzlerkandidat:"Es ist die 13. Landtagswahl hintereinander, wo die schwarz-gelbe Liebesheirat aufgekündigt worden ist." Quelle: dpa
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel:"Der Einzug der FDP in den Bundestag ist seit heute Abend nicht sicher." Der SPD-Vorsitzende sieht bei einem Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde größere Chancen dafür, doch noch einen rot-grünen Erfolg bei der Bundestagswahl zu schaffen. „Wäre die FDP nicht im Bundestag, steigen die Chancen deutlich für Peer Steinbrück, Kanzler zu werden“, sagte Gabriel. Quelle: dpa
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin (FDP):"In jeden Fall gibt es eine Zweistimmenkampagne. Es war aber schon immer angelegt und immer geplant. Dazu ist ja auch das Wahlrecht im Bund da." Quelle: dpa
FDP-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle:"In Bayern ticken die Uhren anders." Quelle: dpa
Grünen-Chefin Claudia Roth:"Wir sind enttäuscht, wir haben uns wirklich mehr erhofft." Quelle: dpa

So heterogen wie die Gruppe ist, so unterschiedlich sind auch ihre Herangehensweisen an die Wahl. Gerade Unentschlossene sind tendenziell Menschen, die kaum Interesse  an Politik haben. Sie schwanken nicht, weil Sie sich nicht entscheiden können, sondern weil Sie gar nicht wissen, was zur Auswahl steht. Sie haben oft nur schwache Einstellungen gegenüber den Parteien und entscheiden sich daher erst spät, ob sie überhaupt zur Wahl gehen und welche Partei sie wählen.

Ganz anders die Parteiwechsler. Sie sind tendenziell politisch interessierte Bürger, die im Laufe des Wahlkampfs aber die bevorzugte Partei wechseln. Meistens geschehen diese Wechsel zwischen Parteien desselben politischen Lagers. Die Gründe können strategischer Natur sein oder tatsächliche Wahlkampfeffekte.

WiWo-Wahlsager: So wird Deutschland wählen

3. Spätentscheider können die Wahl drehen

Aus diesen Tatsachen ergibt sich der Kardinalfehler vieler Wahlkampfanalysen. Sie deuten nach der Wahl den Anteil Spätentschiedener als ein Zeichen dafür, wie groß das Potenzial für einen gegenteiligen Ausgang noch gewesen wäre. Frei nach der Logik: Wenn 25 Prozent der Wähler sich erst in der Kabine für eine Partei entschieden haben, dann hätte der Wahlverlierer genau diesen Anteil noch zu sich ziehen können. Das aber stimmt nicht. Denn der Anteil der Spätentscheider ist ja kein feststehender Teil, den es zu überzeugen gilt. Weil es verschiedene Typen und Gründe für späte Wahlentscheidungen gibt, steht zu Beginn des Wahlkampf noch gar nicht fest, wer Spätentscheider sein wird und wer nicht.

Späte Wahlentscheidungen sind daher nicht eine Bedingung für die Wirkung vom Wahlkämpfen, sondern in vielen Fällen das Ergebnis einen gelungenen Wahlkampfs. Für die Parteien heißt das auch, dass sie ihre Strategien in den letzten Wochen vor der Wahl überdenken sollten. Für die politischen Kräfteverhältnisse sind vor allem die Unentschlossenen von Bedeutung, die aber meist nur schwache Einstellungen gegenüber den Parteien haben und parteilich ungebunden sind.

Die Parteien versuchen, diese Gruppe durch Abgrenzung vom politischen Gegner zu überzeugen. Sie werden jedoch zahlenmäßig überschätzt und wegen ihres relativ geringen Interesses schwer zu erreichen. Um Wähler zu Parteiwechslern und damit zu einem anderen Typ Spätentscheider zu machen, wäre eher die Betonung von Unterschieden zum potentiellen Koalitionspartner zielführend. Potentielle Nichtwähler schließlich müssten von der Bedeutung der Wahl und der Stimmabgabe für eine Partei überzeugt werden.

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