Braucht Deutschland einen neuen Reichstag? Zumindest wenn es nach den besonders finsteren Orakeln geht, dann steht im Winter die nächste große Baumaßnahme in der Berlin an. Denn: Der Bundestag könnte auf mehr als 800 Personen anwachsen, aktuell sind es 622. Laut Bund der Steuerzahler würde das mindestens 60 Millionen Euro im Jahr allein an Personalkosten verursachen, neue Büros oder Parlamentsbauten nicht eingeschlossen. Das Horrorszenario erklärt sich so: Nach dem neuen Wahlrecht werden alle entstehenden Überhangsmandate ausgeglichen. Das erhöht zwar die Fairness der Sitzverteilung, könnte aber auch die Stuhlzahl im Parlament extrem aufblähen.
Bloß: Soweit wird es wohl nicht kommen. Das zumindest zeigen unsere Berechnungen auf Basis der aktuellen Projektionen. Sollten die aktuellen Projektionen dem Wahlergebnis ungefähr entsprechen, würde der Bundestag nur um zwei Sitze größer werden als aktuell. Selbst im ungünstigsten denkbaren Fall müssten kaum mehr als 40 neue Plätze geschaffen werden.
Zur Erinnerung: Anfang des Jahres hat der Bundestag endlich eine grundlegende Reform des Wahlrechts beschlossen, nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits zweimal die geltende Rechtlage gerügt hatte. Grund dafür waren die Überhangmandate, die zustande kommen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr direkte Mandate (über die Erststimme) als Listenmandate (über die Zweitstimme) erringt. Da die Direktmandate fast immer an CDU und SPD gehen, hatten diese Überhangmandate zur Folge, dass diese Parteien im Bundestag stärker vertreten waren, als es ihrem Zweitstimmenanteil (der eigentlich die Proportionen regeln soll) entsprochen hätte.
Was die Grünen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik durchsetzen wollen
Die Grünen fordern eine europäische Bankenaufsicht, die auf nationale Kontrollbehörden und Kreditinstitute durchgreifen kann. Allerdings würde das auch eine gemeinschaftliche Haftung bedeuten.
Wie von den „Fünf Wirtschaftsweisen“ vorgeschlagen, will Trittin für Verbindlichkeiten der Euro-Länder einen Schuldentilgungsfonds aufbauen. Die Staatsverschuldung der Euro-Staaten soll so auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden, wie es der Maastricht-Vertrag vorsieht. Darüber hinausgehende Verbindlichkeiten sollen in einen Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden.
Gemeinsame Bonds der Euro-Länder sollen es hoch verschuldeten Staaten der Währungsunion leichter machen, an neues Geld zu gelangen. Deutschland und andere stabile Länder würden dann allerdings mit höheren Zinsen und gemeinsamer Haftung einstehen müssen.
Zum Schuldenabbau sollen nach dem Willen der Grünen reiche Privatleute mit einem Vermögen ab einer Million Euro sowie Privatunternehmer ab fünf Millionen Euro jährlich 1,5 Prozent zusätzlich abgeben. Die Grünen betrachten dies als Beitrag der Reichen, deren Wohlstand die Steuerzahler in der Bankenkrise gesichert hätten.
Die Grünen fordern einen Spitzensteuersatz von mindestens 45 Prozent, Jürgen Trittin will sogar 49 Prozent durchsetzen.
Jetzt ist eine Neuregelung gekommen, die auf den ersten Blick sehr einfach klingt: Alle Überhangmandate werden ausgeglichen. Das heißt: Nach Zuteilung der Überhangmandate wird die Zahl der Abgeordneten aller anderen Parteien so lange erhöht, bis die Sitzverhältnissen den Proportionen des Zweitstimmenergebnisses entsprechen.
Das klingt dramatisch. Als der Innenausschuss sich Anfang des Jahres mit dem Thema befasste, wurde eine wissenschaftliche Expertise von Joachim Behnke (Universität Friedrichshafen) vorgetragen, die auf Basis des Ergebnisses von 2009 das neue Wahlrecht simulierte. Ergebnis: Der Bundestag hätte statt 620 heute 674 Sitze. Darüber hinaus aber ist es bei vagen Prognosen geblieben. Doch die Vermutung lag nahe: Wenn es schon bei der vergangenen Wahl so viel mehr Sitze gegeben hätte, warum sollten es dann nicht beim nächsten Mal viel mehr sein?