Wahlsager

Nichtwähler entscheiden, wer Kanzler wird

Konrad Fischer Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Konrad Fischer Ressortleiter Unternehmen und Technologie

Nie gab es mehr Wahlverweigerer als heute, nie wurden sie heftiger umworben. Was wir über Nichtwähler wissen und für wen sie die Wahl entscheiden könnten.

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Endlich hat Peer Steinbrück (SPD) ein Mittel gefunden, wie er den verkorksten Wahlkampf doch noch für sich entscheiden kann. Wenn die Wahlbeteiligung deutlich steige, auf 77 oder 78 Prozent, „dann wird die SPD die Wahl gewinnen“, so Steinbrück auf einer Parteiveranstaltung am Wochenende. Die Aussage ist gewagt, doch sie zeigt: Selten war die Wahlbeteiligung so in aller Munde wie vor dieser Bundestagswahl. Mit der Bertelsmann-Stiftung  und der Friedrich-Ebert-Stiftung haben in den vergangenen Wochen zwei große Institutionen umfassende Studien dazu vorgelegt, Politiker nehmen bei jeder Gelegenheit Bezug auf das Thema.

Doch trotz aller Studien bleiben die Nichtwähler noch ein weitgehend unbekanntes Wesen. Zwar lässt sich inzwischen einiges über ihre sozialen Hintergründe sagen – sie kommen eher aus der unteren Schicht, sind unterdurchschnittlich gebildet, verdienen weniger als der Durchschnitt und in ihrem Umfeld hat die Wahl kaum eine Bedeutung – doch über die Gründe für das Fernbleiben von der Wahlurne weiß man herzlich wenig.

Dabei sind aus der Perspektive des Wahlkämpfers weniger die Menschen interessant, die sich schon früh festlegen, nicht zur Wahl zu gehen. Die sind wahrscheinlich ohnehin verloren. Wer die Wahl gewinnt, entscheidet sich stattdessen an den Menschen, die grundsätzlich bereit sind, zur Wahl zu gehen. Gerade diese Gruppe lässt sich in Umfragen jedoch extrem schwer fassen. Das liegt vor allem am sogenannten „Overreporting“: Die meisten Menschen gehen davon aus, dass es sozial erwünscht sei, sich an der Wahl zu beteiligen.  Viele behaupten deshalb in Umfragen, dass sie zur Wahl gehen würden. Vergleicht man die erhobene Wahlbeteiligung in Umfragen und bei realen Abstimmung, so kann der Unterschied in der Wahlbeteiligung gut und gerne 20 Prozent betragen. Dieser Effekt wird noch dadurch verschärft, dass ein größerer Teil der Nichtwähler dazu neigt, die Teilnahme an Umfragen zu verweigern.

Themen des SPD-Wahlprogramms

So werden auch die möglichen Schwankungen zwischen Umfragewerten und der tatsächlichen Abstimmung immer größer. Denn in die veröffentlichten Umfragen gehen nur die Parteipräferenzen der Befragten ein, die sich auch an der Wahl beteiligen wollen. Damit birgt  jede Umfrage zwei Unbekannte: Man könnte sie als „Scheinwähler“ und „scheintote Wähler“ bezeichnen. Die Scheinwähler geben an,  wählen zu wollen, obwohl sie es gar nicht vorhaben. Die Scheintoten wiederum fallen aus der Zählung, weil sie nicht sicher angeben, zur Wahl gehen zu wollen. Würden massive Verschiebungen in diesen beiden Gruppen auftreten, könnte das zumindest theoretisch das Wahlergebnis auf den Kopf stellen. Ob das praktisch möglich ist, hängt davon ab, zu welchen Parteien die jeweiligen Wähler neigen. Würden alle „Scheinwähler“ zur CDU und alle „scheintoten Wähler“ zur SPD neigen, könnte eine gute Mobilisierung den Genossen tatsächlich noch den Sieg bringen.

Über die scheintoten Wähler weiß man vor allem, dass es ziemlich viele sind. So ergab eine Forsa-Befragung, dass nur 14 Prozent aller Nichtwähler dauerhafte Wahlabstinenzler sind. Das bestätigen auch die uns vorliegenden Daten der German Longitudinal Election Study (GLES) zur Bundestagswahl 2009. 30 Prozent der Befragten gaben dabei an, sich an mindestens einer der vergangenen drei Wahlen im Bund, Land oder in Europa nicht beteiligt zu haben. Alle Wahlen versäumt hatten aber nach eigener Angabe  nur gut sieben Prozent der Befragten.

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