Wandel der Agrarpolitik Hendricks fordert Landwirtschaft 4.0

Vor dem Start der Grünen Woche geht es beim „Agrarkongress 2018“ um die Zukunft der Landwirtschaft in Deutschland. Denn die steht vor einem gewaltigen Umbau. Daran hat auch der Verbraucher einen Anteil.

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Eine am Tierwohl orientierte Tierhaltung wird den Deutschen zunehmend wichtiger. Quelle: dpa

Berlin Sticheleien unter den Bundesministern Barbara Hendricks (SPD) und Christian Schmidt (CSU) gehören schon zum politischen Alltag in Berlin. Hendricks hat anscheinend Freude daran gefunden, sich auch zu Themen zu äußern, für die sie nicht federführend zuständig ist. Besonders im Fokus: Verkehr und Landwirtschaft. So richtete sie vergangenen Januar erstmals einen Agrarkongress aus – obwohl nicht sie, sondern Landwirtschaftsminister Schmidt der verantwortliche Fachminister ist.

So auch am heutigen Dienstag: Kurz vor dem Start der Grünen Woche am Freitag in Berlin geht es beim „Agrarkongress 2018“ des Bundesumweltministeriums einen ganzen Tag lang um die Zukunft der Landwirtschaft. Fachminister Schmidt wird zwar ein Grußwort halten. Aber es ist Hendricks, die einen neuen Gesellschaftsvertrag für Landwirtschaft, Umwelt und Verbraucher fordert. „Die Zeit ist reif für eine breite gesellschaftliche Diskussion über eine zukunftsfähige Landwirtschaft“, heißt es in einem 13-seitigen Dokument, das die Berliner Denkfabrik TMG Research im Auftrag des Ministeriums erstellt hat. Klaus Töpfer, ehemaliger CDU-Umweltminister und Ex-Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, ist einer der Gründer der Denkfabrik. „Ein Weiter-So ist nicht möglich“, heißt es in dem Papier. „Die Landwirtschaft steht vor gewaltigen Herausforderungen – weltweit und auch in Deutschland.“

TMG Research hat untersucht, wie eine zukunftsfähige Landwirtschaft aussehen muss. Mit der wachsenden Weltbevölkerung und durch geänderte Konsumgewohnheiten müssten viele Probleme gelöst werden: Die Nachfrage nach Lebensmitteln steigt, die Bedeutung biologischer Rohstoffe in der industriellen Produktion nimmt zu, globale Lieferketten verändern sich und die Landwirtschaft muss sich an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen. Gleichzeitig wachse die Erkenntnis, dass die heutige Form der Produktion von Lebensmitteln nicht nachhaltig ist. Weltweit wird die Landwirtschaft für knapp ein Drittel der klimaschädlichen Treibhausgasemissionen und die Entnahme von ungefähr zwei Dritteln des weltweit genutzten Süßwassers verantwortlich gemacht.

Auch von Seiten der Naturschutzverbände hagelte es Kritik. Ihr Vorwurf: Die europäische Agrarpolitik sei derzeit praktisch losgelöst von internationalen und nationalen Nachhaltigkeitszielen, zu denen sich die EU und die Mitgliedsstaaten verpflichtet hätten, heißt es vom WWF. Die Mehrheit der Länder nutze die Förderung nicht, um mit einer nachhaltigen Landwirtschaft Fortschritte etwa beim Arten- und Klimaschutz zu erreichen. Der Löwenanteil der Gelder verschwinde in einer ziellosen Subventionierung.

Das soll sich jedoch ändern. Brüssel arbeitet derzeit an einer Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), dem größten Posten des EU-Haushalts. 2021 beginnt die nächste Förderperiode, die Hendricks zufolge grundlegend neu ausgerichtet werden muss. Es sei ein Privileg, dass fast 40 Prozent des EU-Budgets in die Landwirtschaft flössen, meint die Ministerin. Leider lande ein großer Teil des Geldes dann bei großen Agrarfabriken oder indirekt bei Flächeneigentümern, die gar keine Landwirte seien. Künftig sollten diejenigen mehr Fördermittel bekommen, die den Fokus auf Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft legten und Kulturlandschaften erhielten.

Im Hinblick auf die GAP heißt es, die Förderstrukturen nach 2020 müssten gezielter und einfacher als bisher ausgerichtet werden. Tier-, Natur- und Klimaschutz sollten besonders gefördert werden. Ziel sei eine nachhaltige flächendeckende Landwirtschaft, sowohl ökologisch als auch konventionell.

Der Umweltschutz gehört seit jeher zu den größten Streitpunkten in der Agrarpolitik. Ob es um die Belastung des Grundwassers mit Nitrat oder den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wie Glyphosat geht: Umweltministerin Hendricks und Agrarminister Schmidt gerieten regelmäßig aneinander. Im Sondierungspapier von Union und SPD heißt es nun besänftigend, man werde „mit einer systematischen Minderungsstrategie den Einsatz von glyphosathaltigen Pflanzenschutzmitteln deutlich einschränken mit dem Ziel, die Anwendung so schnell wie möglich grundsätzlich zu beenden“.

Naturschutzverbänden geht das Sondierungspapier jedoch nicht weit genug. Es fehle ein Bekenntnis zur Verringerung der Tierbestände, kritisierte Klaus Milke, Vorstandsvorsitzender der Entwicklungsorganisation Germanwatch. Das sei auch für den Klimaschutz in der Landwirtschaft unumgänglich. Positiv sei aber, dass die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft nicht mehr erwähnt werde, die bisher eine ideologische Grundlage für die Überproduktion an Fleisch und Milch mit ihren vielen Problemen gewesen sei.

Deutsche Verbraucher wünschen sich zunehmend eine andere Landwirtschaft: Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln lehnen sie ab, eine am Tierwohl orientierte Tierhaltung wird ihnen wichtiger. Auch deswegen ist ein Umsteuern in der Landwirtschaft notwendig. Aber ebenso, weil die Existenz vieler Betriebe heute gefährdet ist. Wie aber kann die wirtschaftliche Nachhaltigkeit der Betriebe gesichert werden? Wie können existenzsichernde Preise erzielt werden? Welche Rolle können regionale Vermarktungsformen spielen? Fragen wie diese sollten in den nächsten Jahren in einem so genannten Dialog mit der Gesellschaft erfolgen, so schwebt es Hendricks vor. Ein Vorteil hätte das gewiss: Richtig angepackt könnte das das schlechte Image der Landwirte in Deutschland deutlich erhöhen.

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