Warnung vor Rechtsruck AfD-Landesverbände bangen um Zukunft der Partei

Der Streit in der der Alternative für Deutschland um die künftige politische Ausrichtung der Partei beunruhigt die Landesverbände. In Hamburg und Schleswig-Holstein fürchtet man schon um die Zukunft der AfD.

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Bald am Boden? Der Richtungsstreit in der Alternative für Deutschland setzt der Partei ziemlich zu. Quelle: dpa

Berlin Die Vorsitzenden der Alternative für Deutschland (AfD) in Hamburg und Schleswig-Holstein, Jörn Kruse und Ulrike Trebesius, schlagen angesichts des Richtungsstreits in ihrer Partei Alarm. Kruse warf der Co-Vorsitzenden der Bundespartei, Frauke Petry, und dem NRW-Landeschef Marcus Pretzell, vor, die Zukunft der AfD aufs Spiel zu setzen. „Zurzeit touren Frauke Petry und Markus Pretzell durch die Bundesländer, um für sich Mehrheiten für den Bundesparteitag und die Wahlen zum Bundesvorstand zu organisieren“, sagte Kruse dem Handelsblatt.

„Falls es ihnen und ihre Mitstreitern gelingen sollte, zukünftig den Bundesvorstand mehrheitlich zu besetzen und den Flügel, der mit Namen wie Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty verbunden ist, an den Rand zu drängen, sehe ich große Probleme für die weitere Entwicklung der Partei.“

Der nationalkonservative Flügel um die sächsische AfD-Landessprecherin und -Fraktionschefin Petry, den Brandenburger Landessprecher und Fraktionschef Alexander Gauland, den Landessprecher und Fraktionschef Björn Höcke und anderen „hätten dann zwar in der Partei gewonnen, aber kaum noch Chancen, Wahlerfolge für die AfD zu erreichen – vor allem in den westlichen Bundesländern“, warnte Kruse. „Wenn man erst einmal auf der schiefen Ebene ist, dann würde der Juni-Parteitag den Anfang vom Ende der AfD bedeuten können. Und die etablierten Parteien wären wieder unter sich.“

Trebesius beklagte, dass bei der Wahl der Delegierten für den Bundesparteitag am 13. Und 14. Juni in Kassel in manchen Landesverbänden nicht basisdemokratisch vorgegangen werde. „Man berichtet mir, dass einige clevere Strippenzieher das für sich zu nutzen suchen und dabei ziemlich generalstabsmäßig vorgehen“, sagte Trebesius dem Handelsblatt.

Außerdem gebe es auch in der AfD Opportunisten und Karrieristen, die hofften, mit Unterstützung von Fundamentalisten eigene Ambitionen stärken zu können. „Ich halte dies für ein sehr kurzsichtiges und gefährliches Spiel mit dem Feuer“, warnte Trebesius. „Eine mehrheitlich fundamentalistische Grundausrichtung würde die AfD zunächst in das Ghetto einer Drei- bis Fünf-Prozent-Partei befördern und über kurz oder lang zu einer Splitterpartei ohne Aussicht auf politische Gestaltungsmöglichkeiten machen.“


„Einige sägen lustvoll an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen“

Trebesius, die für die AfD im Europaparlament sitzt, warnte in diesem Zusammenhang vor einer „Beschädigung“ von Bundesparteichef Bernd Lucke, der in den bisherigen zwei Jahren der „Motor, Frontmann und Leistungsträger unserer Partei gewesen“ sei. Ein mehrheitlich fundamentalistisch zusammengesetzter Bundesvorstand würde aus ihrer Sicht sowohl Wähler als auch Mitglieder „massiv“ verprellen. „Ich habe derzeit den Eindruck, dass einige lustvoll an dem Ast sägen, auf dem sie selbst sitzen“, sagte sie.

Die Befürchtungen der Landesverbände kommen nicht von ungefähr. In der AfD schwelt seit Wochen ein Konflikt zwischen einem bürgerlich-liberalen Lager – zu dem Henkel und Lucke gerechnet werden – und einem national-konservativen Lager, zu dem Petry, Gauland, Höcke und Pretzell gezählt werden.

Am Montag entschied die AfD, dass Pretzell, an den Sitzungen der EU-Parlamentsgruppe seiner Partei nicht mehr teilnehmen darf. Pretzell war zuletzt vor allem mit Lucke und dem Europarlamentarier Henkel aneinandergeraten. Pretzell hatte Henkel unter anderem vorgeworfen, er sei mehr im Urlaub als in seinem Abgeordnetenbüro. Henkel hatte sich über Pretzells Finanzgebaren und mutmaßliche „Durchstechereien an die Presse“ geärgert.

Auch im Bundesvorstand der AfD gab es gestern eine gewichtige Entscheidung. Nach Henkel trat auch Patricia Casale als Vize-Vorsitzende der Partei zurück. Casale habe mit sofortiger Wirkung ihr Amt als stellvertretende Sprecherin des Bundesvorstands niedergelegt, teilte ein Sprecher mit. Zur Begründung erklärte sie, die Entwicklung der Partei und der Umgang innerhalb des Vorstandes ließen ihr keine andere Wahl.

Der Hamburger AfD-Fraktionschef Kruse hofft dennoch, dass seine Partei noch die Kurve kriegt. Noch sei er „optimistisch, dass alle – einschließlich der genannten Personen – erkennen, dass die Partei nur Erfolg haben kann, wenn beide Flügel – und alle dazwischen – im Team für die Partei zusammenarbeiten“ sagte Kruse weiter. Es gebe bestimmte Fehler, die man nur einmal machen könne, betonte der AfD-Politiker. Für den Wahlerfolg einer neuen Partei komme es daher nicht nur auf die programmatischen Positionen an, sondern auch auf die „Glaubwürdigkeit und Seriosität der Personen, die für sie öffentlich in Erscheinung treten“. Auch diesbezüglich sollten aus Kruses Sicht alle in der AfD die Mahnung von Henkel ernst nehmen.


Belastungen im Wahlkampf

Henkel war am vergangenen Donnerstag als stellvertretender AfD-Vorsitzender zurückgetreten. Seine Entscheidung hatte er mit Versuchen von „Rechtsideologen“ begründet, die Alternative für Deutschland zu übernehmen. Henkel sprach auch von charakterlichen Defiziten bei führenden Parteifunktionären. Er betonte, sollte es nicht zu einer „Klärung“ im Richtungsstreit seiner Partei kommen, drohe seiner Partei der Untergang. „Dann wird die AfD scheitern. Das ist meine feste Überzeugung“, sagte Henkel.

Angesichts der Grabenkämpfe hat Lucke bereits in einer Mail an die AfD-Mitglieder vor „beunruhigenden Entwicklungen“ gewarnt und eine klare Abgrenzung zur „Neuen Rechten“ gefordert. Es gebe Versuche, die „politischen Inhalte der AfD und ihren Politikstil in eine Richtung zu verschieben, vor der ich nur warnen kann“, schrieb Lucke. Zurzeit läuft eine Online-Abstimmung, von der sich Lucke eine klare Abgrenzung der Partei zum rechtskonservativen Flügel verspricht.

Vor diesem Hintergrund bedauerte der Hamburger AfD-Chef Kruse den Rücktritt von Henkel „ganz außerordentlich“. Das gelte einerseits aus der Hamburger Perspektive, da Henkel für die dortige AfD eine „große Verstärkung“ im Bürgerschaftswahlkampf gewesen sei und „erheblich mit dazu beigetragen“ habe, dass die AfD in die Bürgerschaft eingezogen ist.

„Andererseits hat Hans-Olaf Henkel sich auch für die Partei auf Bundesebene große Verdienste erworben“, fügte Kruse hinzu. „Er hat mit seinem persönlichen Bekenntnis zur AfD und durch Eintritt und Kandidatur wesentlich dazu beigetragen, dass die AfD auch für bürgerliche Schichten und Unternehmer wählbar wurde, die durch die Töne einzelner Landtagswahlkämpfer im Osten und ihr mediales Echo eher abgeschreckt wurden.“ Letztere hätten auch den Hamburger Wahlkampf und das Ergebnis belastet und mit zur Wiederauferstehung der FDP beigetragen.

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