Was heißt Freiheit? Eine unpolitische Besinnung auf das Wesentliche

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Politische Freiheit

Eine Insel ragt aus einem Baggersee bei Rastatt Quelle: dpa

Politische Freiheit ist nichts anderes als Handlungsfreiheit auf eine große Leinwand übertragen. Kann politische Freiheit nun vollkommen sein? Das muss eine Utopie bleiben. Sie könnte es, wenn Handlungsfreiheit vollkommen sein könnte. Nur auf Robinson Crusoes einsamer Insel gibt es dazu eine Chance, doch gerade dort hat das Politische keinen Platz. Wo es dagegen einen Platz hat, wo also zwei oder mehr Akteure zusammenleben und sich nicht stets und vollständig aus dem Weg gehen können, kann Freiheit zwar sehr groß sein, vielleicht gar maximal, vollkommen aber nie. Denn es ist niemals ausgeschlossen, dass der eine Akteur etwas will, was durch das gewollte Tun des anderen verunmöglicht wird. Politische Freiheit kann also nicht vollkommen sein.

Kann politische Freiheit in einer Gesellschaft aber vollkommen fehlen? Auch das ist zum Glück eine Utopie. Politische Freiheit wäre vollständig abwesend, wenn in einer Gesellschaft kein Wollen jemals in ein Tun durchschlagen könnte. Aber in so einer Gesellschaft würde nie gehandelt, es gäbe keine Akteure, es wäre keine Gesellschaft. Mithin: Keine noch so große Einschränkung der politischen Freiheit ist je perfekt. Vielleicht ist dies mit Blick auf Gesellschaften, denen man den bleiernen Halskragen der Unterdrückung übergestreift sieht, ein gewisser Trost: Freiheit kann zwar minimal sein, vollkommen fehlen kann sie aber nicht.

Wie Handlungsfreiheit kennt politische Freiheit ein Mehr oder Minder. Um das „richtige“ Mehr und Minder dreht sich ein guter Teil des Streits zwischen den Lagern. Doch auch ohne uns hier normativ zu positionieren, können wir weiterkommen: Die Besinnung auf das Wesentliche an der Freiheit hält noch einige überraschende Selbstverständlichkeiten bereit.

Forum der Freiheit


Freiheit ist offen und subjektiv zu verstehen. Können wir dem Blick auf die Fundamente eines grundlegenden Verständnisses noch mehr entnehmen? Ein wichtiger Gedanke liegt zum Greifen nahe. Wir müssen uns ihm lediglich über einen kurzen Umweg nähern. Werfen wir dazu folgende Fragen auf: Gibt es absolut oder objektiv Gutes? Gibt es absolute oder objektive Gründe? In ihrer Allgemeinheit sind diese Fragen nicht zu beantworten, wir kommen einer Antwort aber näher, wenn wir sie unter einem bestimmten, naheliegenden Aspekt betrachten, dem Aspekt des Handelns. Schließlich strebt jedes Handeln einem klassischen Verständnis zufolge nach irgendeinem Gut, und Gründe sind mindestens auch, wenn nicht gar vornehmlich, dasjenige, was uns ein Handeln erst verständlich macht.

Aus der Perspektive der Theorie des Handelns betrachtet, stellt sich die Überlegung nun so dar: Nehmen wir einmal an, es gäbe absolut oder objektiv Gutes bzw. absolute oder objektive Gründe. Was würden sie ausrichten? Anscheinend gar nichts. Damit ein bestimmtes Gut dasjenige ist, was ein Akteur anstrebt, muss es ihm subjektiv erstrebenswert erscheinen. Und dazu ist weder notwendig noch hinreichend, dass es absolut oder objektiv ist. Ebenso im Fall von Gründen. Um zu verstehen, warum ein bestimmter Akteur eine bestimmte Handlung vollzogen hat, müssen wir verstehen, welcher Grund ihm subjektiv zureichend erschien. Und wieder ist weder notwendig noch hinreichend, dass der Grund, aus dem er es tat, absolut oder objektiv ist. Anders gesagt: Selbst wenn es z. Β. ein absolutes Gut oder ein objektiver Grund wäre, die Welt von Ungläubigen zu befreien, würde daraus noch immer nicht folgen, dass es jedem subjektiv auch so erscheinen müsste. Nur darauf kommt es für das einzelne Handeln aber an.

Die Annahme absoluter oder objektiver Güter oder Gründe ist ein leer drehendes Rad. Handlungsmotivation ist wesentlich und unaufhebbar subjektiv. Jede korrekte Handlungserklärung erbt dieses subjektive Moment. In einer klassischen Formulierung: „Eine Handlung wird durch einen Grund nur dann [erklärt], wenn er uns etwas an der Handlung der ausführenden Person erkennen lässt, was der Betreffende selbst darin gesehen bzw. zu sehen geglaubt hat.“ Die Annahme absoluter oder objektiver Gründe oder Güter richtet also letztlich gar nichts aus: Damit absolute oder objektive Güter oder Gründe unser Handeln motivierten, gleich ob das Handeln des Einzelnen oder vieler oder der ganzen Gesellschaft, müssten sie jeweils zu subjektiven Gründen oder Gütern werden. Dazu bieten objektive oder absolute Güter oder Gründe aber weder Gewähr, noch sind sie dafür erforderlich. Damit haben wir einen klassischen Fall für das berühmte Ockhamsche Rasiermesser: Der Scholastiker William von Ockham lehrte ja, dass man in einer Theorie keine unnötigen Annahmen machen oder unnötige Gegenstände einführen solle. Absolute oder objektive Gründe oder Güter sind ein Paradebeispiel. Zum Verständnis des Handelns, der Handlungsfreiheit und der politi-schen Freiheit leisten sie keinen Beitrag. Sie tun bestenfalls so.

Wer seine Gründe oder Güter als absolut oder objektiv auszeichnet, der gibt vor, die wesentliche und unaufhebbare Subjektivität der Handlungsmotivation abstreifen zu können. Er gibt sich als Autorität aus, wo doch nur sein eigenes Wollen regiert. Ein echtes Verständnis von Freiheit ist solchen Schachzügen entgegengesetzt, Freiheit ist in diesem Sinne wesentlich antiautoritär. Der Appell an Autorität, das Bestehen auf (vorgeblich) objektiven oder absoluten Perspektiven, bezweckt ja kaum je eine nüchterne und bloß deskriptive Beschreibung dessen, wie die Dinge sind. Er dient gerade in der politischen Diskussion als Argument dafür, wie die Dinge sein sollten. Wer in diesem Sinne an Autorität appelliert, will dafür sorgen, dass andere tun, was er will. Er reklamiert für das eigene Wollen einen Vorrang vor dem Wollen anderer. Aber wo sich die Parteien nicht zueinander verhalten wie Eltern zu ihren Kindern, hat ein solcher Vorrang kein sachliches Fundament. Er ist bloß erschlichen.

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