Wegen Nähe zur AfD Luckes eurokritische Ökonomen-Initiative vor dem Aus

Bernd Lucke bündelte einst den Unmut hunderter Ökonomen über die Euro-Rettung im „Plenum der Ökonomen“. Nun steht die Initiative vor dem Aus. Prominente Mitglieder wenden sich ab, weil Lucke jetzt auch AfD-Chef ist.

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Der Gründer des Ökonomen-Forums: Der Bundesvorsitzende der Partei Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke. Quelle: dpa

Berlin Das vom Hamburger Wirtschaftsprofessor und heutigen Chef der Alternative für Deutschland (AfD), Bernd Lucke, im Jahr 2010 initiierte eurokritische „Plenum der Ökonomen“ steht vor dem Aus. Prominente Mitglieder, wie der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, und der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, Justus Haucap, plädieren für die Auflösung der virtuellen Vollversammlung, der einst mehr als 300 deutsche Hochschullehrer für Wirtschaft angehörten.

Sinn und Haucap begründen ihren Rückzug aus der Initiative auch damit, dass Lucke in die Politik gewechselt ist. „Dass der Gründer des Plenums, Bernd Lucke, inzwischen eine Partei gegründet hat, ist zu einer Belastung der Gründungsidee geworden, denn die meisten Kollegen wollen sich von Parteien fernhalten, und zwar unabhängig von der Frage, ob sie deren Meinungen teilen oder nicht“, sagte Sinn Handelsblatt Online.

Haucap sagte Handelsblatt Online, eigentlich habe ihm die Idee des Forums gut gefallen. Zuletzt sei aber die Beteiligung sehr schwach gewesen. „Zum Teil mag dies auch damit zusammenhängen, dass die Idee des Forums sehr mit dem Namen Bernd Lucke assoziiert wird und manche Ökonomen sich nun fragen mögen, ob das Forum als Ideengeber für die AfD fungiert“, sagte Haucap Handelsblatt Online.

„Ich selbst habe mich bei meinem Eintrag zur EEG-Debatte auch gefragt, ob dies nicht indirekt als Unterstützung für Bernd Lucke oder die AfD gewertet werden könnte oder das Forum als Ideengeber beziehungsweise zur Entwicklung von Argumentationssträngen für die AfD dienen könnte.“ Haucap sagte allerdings auch, dass er selbst diese Bedenken dann verworfen habe. Er könne sich aber vorstellen, dass es andere von einer Beteiligung an den Forumsdebatten abhält.

Die Auflösung des Professoren-Zusammenschlusses brachte das „Plenum“ selbst ins Gespräch. In der vergangenen Woche verschickte das Präsidium eine E-Mail an die Mitglieder, in der es die Selbstauflösung vorschlägt, wenn nicht mindestens 50 Mitglieder bis zum 15. Mai widersprechen. Von Lucke war auf Anfrage keine Stellungnahme zu erhalten. Der Präsident des „Plenums“, der Münchener Professor Andreas Haufler, wollte sich erst nach Abschluss der Abstimmung äußern.


Ökonomen-Zusammenschluss führte drei große Debatten

Ursprünglich war das Interesse an dem Projekt groß. Mehr als 300 Hochschullehrer für Ökonomie und Ökonometrie hatte 2010 den Gründungsaufruf unterschrieben. Zu den Erstunterzeichnern zählten namhafte Ökonomen, wie der heutige Wirtschaftsweise Volker Wieland, Clemens Fuest (Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung) und Thomas Straubhaar (Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts).

Debattiert werden sollten in dem „Plenum“ ausschließlich „volkswirtschaftliche Ausnahmesituationen von herausragender nationaler Bedeutung“, wie es in dem Gründungsaufruf heißt, den Lucke formuliert hat. Drei große Debatten haben die Professoren bisher geführt: 2011 zur Euro-Krise, 2012 zur Bankenunion und 2013 zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz.

Ifo-Chef Sinn spricht von einer „wichtigen Arbeit“, die das „Plenum“ geleistet habe, aber dort sei „zu viel diskutiert“ worden. Diskutieren könnten die Ökonomen auch anderswo. „Soweit ich es verstanden hatte, sollte das Plenum einfach nur Mehrheitsmeinungen unter Ökonomen feststellen, damit es der Presse erschwert wird, das Meinungsspektrum so zu filtern, dass in der Öffentlichkeit ein verzerrter Eindruck vom Mainstream des Faches entsteht“, sagte Sinn.

Für Oliver Holtemöller, Wirtschaftsprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wäre die Schließung der Plattform folgerichtig. „Das Plenum spielt in der wirtschaftspolitischen Diskussion nicht die Rolle, die sich die Initiatoren erhofft hatten“, sagte Holtemöller Handelsblatt Online.

Die Idee, eine Plattform für eine moderierte Diskussion im Internet bereitzustellen, finde er an sich zwar nicht schlecht. „Die Vorstellung, dass man mit Abstimmungen von Professorinnen und Professoren zu komplexen Themen etwas erreichen könnte, habe ich aber nie verstanden“, fügte der Ökonom hinzu. „Es gibt bessere Möglichkeiten, wirtschaftspolitische Beratung zu organisieren.“


„Berührungsängste zur AfD sollten wir nicht haben“

Der Konstanzer Volkswirt Friedrich Breyer sprach sich dagegen für den Erhalt des Plenums aus. „Ich halte es für ein wichtiges Forum der Meinungsbildung und Kommunikation der Mehrheitspositionen der Ökonomen in die Öffentlichkeit“, sagte Breyer Handelsblatt Online. „Berührungsängste zur AfD sollten wir nicht haben, sondern froh sein, dass wenigstens eine Partei ab und zu vernünftige Ansichten in ökonomischen Fragen vertritt.“

Auch Alexander Dilger, Wirtschaftswissenschaftler an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, will der Auflösung des „Plenums“ widersprechen. „Das habe ich vor, da mir der Gründungsaufruf immer noch aktuell und ein solches Plenum nötig erscheint“, schreibt Dilger, der auch der AfD angehört, in seinem Blog. „Beim vom Präsidium angesprochenen Zielkonflikt zwischen Diskussionsforum einerseits und öffentlichem Vertreten einer Mehrheitsmeinung andererseits sehe ich erstens nicht zwingend einen Konflikt und zweitens einen größeren Bedarf für das zweite Ziel.“

Diskussionsmöglichkeiten gebe es in der Wissenschaft zwar bereits sehr viele, räumt auch Dilger ein. „Doch gerade Ökonomen treten öffentlich selten geschlossen auf, sondern wirken dort oft zerstrittener, als sie in Wirklichkeit sind (vielleicht gar nicht so unähnlich der AfD).“ Es sei aber wichtig, „gewisse ökonomische Grundeinsichten als wissenschaftlichen Konsens auch öffentlich zu vertreten“.

Allerdings hatte Lucke selbst schon früh Zweifel an der Durchschlagskraft seiner Wissenschaftler-Vereinigung geäußert. Als das „Plenum“ von der Euro-Rettungspolitik abriet und dies von immerhin 200 Volkswirtschaftsprofessoren mitgetragen wurde, war das Echo in der Politik nicht besonders groß. „Das hat ungefähr zwei Tage Aufmerksamkeit in den Zeitungen hervorgerufen und dann war es vorbei“, sagte Lucke im vergangenen Jahr enttäuscht.


Luckes zahnlose Initiativen münden in AfD-Gründung

Dabei sind einige der von den Ökonomen angeführten Argumente auch heute noch aktuell. Damals, Anfang 2011, wandten sich die Professoren gegen den dauerhaften Rettungsschirm, über den damals als ein Mittel gegen die europäische Finanzkrise diskutiert wurde. Heute ist der ESM längst Realität. Als Schutz vor maßloser Schuldenpolitik müsse den EU-Staaten auch künftig die Pleite drohen, begründete das „Plenum“ damals seine Ablehnung.

Hinter dem permanenten Euro-Rettungsschirm, einem gigantische Topf mit Geldgarantien, steht die Idee der EU-Mitglieder, drohende Staatspleiten wie in Griechenland abzuwenden und das Vertrauen der Märkte zu stärken. Die VWL-Professoren lehnten damals diese „Rettung ohne Insolvenz“ ab. Die EU dürfe nicht alle Ausfallrisiken absichern, da das „zur Fortsetzung unsolider Schuldenpolitik“ geradezu einlade. Abgesichert sein dürften nach Einschätzung der Wissenschaftler höchstens maximale Ausfallrisiken - um Panik an den Finanzmärkten zu verhindern. Die Staatsinsolvenz müsse möglich bleiben und gefährde im Ernstfall auch nicht die Stabilität der Gemeinschaftswährung.

Das „Plenum“ hatte die Stellungnahme mit einer Wahl vorbereitet. Demnach stimmten mehr als 90 Prozent der Mitglieder gegen den geplanten permanenten Rettungsschirm. Die Wahlbeteiligung unter den gut 300 Experten lag bei 66 Prozent. Einige wenige eurokritische Politiker sahen sich in dem Experten-Votum in ihrer Kritik an der Euro-Politik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bestätigt. Doch wirklich blockieren konnten sie keine der Euro-Abstimmungen im Bundestag.

Lucke konnte auch über andere von ihm angestoßene Initiativen nicht nachhaltig etwas bewirken. Sein „Bündnis Bürgerwille“ und die „Wahlalternative 2013“ blieben zahnlos. Das gab, wie er selbst sagte, den Anstoß dafür, die AfD aus der Taufe zu heben. „Und dann hatten wir nur noch die Wahl: Entweder wir gründen jetzt wirklich selbst eine Partei oder wir geben auf - und da haben wir uns denn eben für die Parteigründung entschieden“, so Lucke. Im April 2013 war es soweit, jetzt steht er als einer von drei Sprechern an der Spitze der AfD.

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