Weißbuch zur Sicherheitspolitik Die Bundeswehr muss sich neu ausrichten

Deutschland sieht sich schwierigeren Konflikten gegenüber – und wird die Bundeswehr entsprechend neu ausrichten müssen: Cyberabwehr, Europaarmee, Resilienz sind die Stichworte, die uns künftig beschäftigen werden.

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So tarnen sich Soldaten verschiedener Armeen
Die Bundeswehr rüstet ihre Soldaten mit einer neuen Uniform aus. Was sich ändert, zeigt dieser Truppenversuch in Afghanistan: Ganz links ist die derzeit verwendete, dreifarbige Wüsten-Uniform der Bundeswehr, ganz rechts der neu entwickelte Multitarn. Quelle: Weweb, Bundeswehr
Ein Soldat der Bundeswehr im dreifarbigen Tropentarn. Quelle: Sean Harriman, U.S. Army [Public domain], Wikimedia Commons
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen trägt beim Truppenbesuch in Mali beige, ihre Soldaten den dreifarbigen Wüstentarnanzug. Quelle: AP
Multicam USA Quelle: Cooper T. Cash [Public domain], Wikimedia Commons
Russian Armed Forces Quelle: REUTERS
Ein Soldat der britischen Armee im aktuellen Tarnanzug. Quelle: Ministry of Defence UK, OPL
French Army Quelle: REUTERS

Manch ein Panzeroffizier wird sich verwundert die Augen reiben, wenn er das frisch gedruckte Weißbuch durchblättert. Heer? Marine? Luftwaffe? Kaum ein Wort ist der traditionellen Teilstreitkräfte-Struktur gewidmet. Panzer? Drohnen? U-Boote? Keine Zeile zum konkreten Bedarf findet sich in Deutschlands wichtigster sicherheitspolitischer Strategie, die meist nur einmal in zehn Jahren herauskommt.

Sicherheitspolitisch bedeutet das Weißbuch eine Zäsur: Es ist wieder weniger von Befriedung ferner Krisen die Rede, die die Armee zuletzt an den Hindukusch und sonst wohin führte. Die Bundesregierung betont allerdings die Nato-Kooperation als Teil der „Staatsräson“, was auch mit der gefühlten Bedrohung durch Russland zusammenhängen dürfte. Unterdessen wachsen an der Heimatfront die Anforderungen, da das „Gefährdungsspektrum für unsere Sicherheit breiter, vielfältiger und unberechenbarer“ wird, wie es im Weißbuch heißt.

Die Situation hat sich fundamental verändert

Kein Wunder. Erstens hat sich die Sicherheitslage tatsächlich fundamental verändert. Als das vorherige Weißbuch vor zehn Jahren unter Verteidigungsminister Franz-Josef Jung veröffentlicht wurde, gab es noch keinen IS-Terror, die Russen waren mehr oder weniger enge Partner der Deutschen, Europas Sicherheitsarchitektur war intakt – und auch am Sinn und Zweck Europas zweifelte keiner.

Die USA vervierfachen ihr Militärbudget für Osteuropa. Die Nato zeigt auf ihrem Gipfel mit Plänen für eine Truppenverlegung Stärke. Eine Multimedia-Story von Hannah Steinharter und Maximilian Nowroth.

Zweitens – und das hat viel mit der neuen Bedrohungslage zu tun – stimmen sich neuerdings Außen- und Verteidigungsministerium miteinander ab. Schon zur Sicherheitskonferenz 2014 hatte Bundespräsident Joachim Gauck im Dreiklang mit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) von den Deutschen eine stärkere Verantwortung für die Weltpolitik gefordert. Sein Vor-Vorgänger Horst Köhler war fünf Jahre zuvor wegen ähnlich gemeinter Äußerungen zurückgetreten. Den sicherheitspolitischen Teil des neuen Weißbuchs brachte im Wesentlichen das Auswärtige Amt zu Papier. Welche Schlüsse sich daraus für die Bundeswehr ergeben, bleibt bislang noch im Vagen.

Braucht die Bundeswehr mehr Geld?

Sicher scheint, dass sich die deutsche Armee neu aufstellen muss. Strukturell ist im Weißbuch viel von Europäisierung die Rede, also von einer stärkeren Verzahnung mit anderen europäischen Armeen. Operativ wird sich die Bundeswehr verstärkt dem Thema Cyberabwehr widmen müssen, was im Übrigen auch eine politische Baustelle ist: Ob die Bundeswehr auf einen Cyberangriff von einem Server in einem befreundeten Staat ohne Bundestagsbeschluss mit einem Gegenangriff antworten kann, ist rechtlich ungeklärt. Und strategisch müssen die Deutschen mehr Resilienz entwickeln, also Widerstandskraft gegen mögliche Propaganda-Attacken von außen.

Ein Panzerbataillon hilft nicht gegen Propaganda

Vieles davon hat also nicht mehr viel mit klassischer Kriegsführung zu tun. Cyberabwehr ist zuallererst eine Aufgabe von Unternehmen, die ihre IT-Sicherheit im Griff haben müssen. Die Widerstandskraft gegen destruktive Propaganda entwickelt eine Gesellschaft, wenn sie im Innern stabil ist, die Menschen mit ihrem Leben zufrieden sind. Ein Panzerbataillon kann dabei nicht wirklich nachhelfen.

So marode ist die Bundeswehr
Aufklärungsjets am BodenImmer neue Einsätze stellen Deutschlands Armee vor Herausforderungen. Immer wieder kommt es dabei auch zu Problemen mit dem Material. So waren die deutschen "Tornados", die für Aufklärungsflüge gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak eingesetzt werden, zunächst nachts nicht einsetzbar. Die Cockpit-Beleuchtung war zu hell. Zwar hat die Bundeswehr die Flieger nachgerüstet, doch nicht alle Jets sind tatsächlich einsetzbar. Von den 93 deutschen Tornados waren laut Berichten aus dem November nur 66 in Betrieb - und nur 29 einsatzbereit. Das macht eine Quote von 44 Prozent, vor einem Jahr waren immerhin noch 58 Prozent der Flugzeuge einsatzbereit. Die teilweise über 30 Jahre alten Flugzeuge gelten als Auslaufmodelle. Quelle: dpa
Kampfjets ohne RaketenBeim Nachfolgemodell Eurofighter sind immerhin schon 55 Prozent der 109 Kampfjets einsatzbereit. Dieser Wert lag im vergangenen Jahr aber noch bei 57 Prozent. Wie im November bekannt wurde, fehlt es der Bundeswehr allerdings an Raketen für ihre Flugzeuge: Insgesamt 82 radargelenkte Amraam-Raketen besitzt die Bundeswehr, berichtet die "Bild am Sonntag". Im Ernstfall aber sollte jeder Jet mit zwei Raketen bestückt werden - die Bundeswehr bräuchte also 218 Amraam-Raketen. Quelle: dpa
Hubschrauber mit TriebwerksschädenNoch schlechter steht es um die Hubschrauber-Flotte: Nur 22 Prozent der Transporthubschrauber des Typs NH90 der Bundeswehr sind einsatzbereit. Der Hubschrauber hat vor allem Probleme mit seinen Triebwerken: 2014 musste ein Pilot auf dem Stützpunkt in Termes in Usbekistan notlanden, weil ein Triebwerk explodiert war. Eigentlich hat sich die Bundeswehr das Ziel gesetzt, dass 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Bestandes für den täglichen Dienst nutzbar sein soll. Doch insbesondere bei ihren Fluggeräten verfehlt die Bundeswehr diesen Werte oft deutlich. Quelle: dpa
Flügellahmes FluggerätSo ist nur jeder vierte Schiffshubschrauber "Sea King" (siehe Foto) bereit für einen Einsatz. Beim Kampfhubschrauber Tiger liegt die Quote bei 26 Prozent, beim Transporthubschrauber CH53 immerhin schon bei 40 Prozent. „Die Lage der fliegenden Systeme bleibt unbefriedigend“, urteilt Generalinspekteur Volker Wieker in seinem aktuellen Bericht zum Zustand der Hauptwaffensysteme. 5,6 Milliarden Euro will die Bundeswehr in den nächsten zehn Jahren investieren, um den Zustand ihrer Ausrüstung zu verbessern. Quelle: dpa
Transportflugzeuge mit LieferschwierigkeitenUnd von den Transportflugzeugen "Transall" sind nur 57 Prozent bereit zum Abheben. Die teilweise über 40 Jahre alten Flugzeuge gelten als anfällig für technische Defekte. 2014 sorgte das für eine Blamage für die Bundeswehr im Irak, wo die Ausbilder der Bundeswehr kurdische Peschmerga-Kämpfer bei ihrem Kampf gegen den "Islamischen Staat" unterstützen sollten. Weil die Transall-Maschine streikte, konnten die Soldaten nicht zu ihrer Mission aufbrechen und mussten die Maschine wieder verlassen. Eigentlich sollen die Transall-Flugzeuge in den kommenden Jahren durch neue Airbus-Transportflugzeuge des Typs A400M ersetzt werden. 53 der Maschinen hat die Bundeswehr bestellt, doch die Auslieferung verzögert sich. Erst zwei Exemplare kann die Bundeswehr dieses Jahr im Empfang nehmen, die dazu nicht mal alle Funktionen haben: Fallschirmspringer zum Beispiel können die ausgelieferten Flugzeuge nicht absetzen. Airbus muss wegen der Probleme 13 Millionen Euro an den Bund zahlen. Quelle: dpa
Panzer mit BremsproblemenDie Bodenausrüstung findet sich zwar in besserem Zustand als die Flugsysteme der Bundeswehr. Aber auch hier gibt es Probleme, zum Beispiel beim Panzer "Puma". Aus Sicherheitsgründen musste die Höchstgeschwindigkeit für den Panzer von 70 km/h auf nur noch 50 km/h heruntergesetzt werden. Der Grund: Bei einer Geschwindigkeit von mehr als 50 km/h bremst der Panzer nicht mehr zuverlässig, der Bremsweg verdoppelt sich, wie das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBs) bei Tests herausfand. Die Probleme gab es wohl auch, weil die Bundeswehr erst spät in der Entwicklungsphase den Wunsch einbrachte, dass der Panzer bis zu 70 km/h schnell fahren sollte. Außerdem sollte der 1000 PS starke, bis zu 2000 Schuss pro Minute abfeuernde Panzer ohne Panzerung nur 31,5 Tonnen wiegen. Die Hersteller Krauss Maffei und Rheinmetall hatten Schwierigkeiten, die Auflagen zu erfüllen. Auch deshalb lieferten sie den Panzer erst in diesem Juni aus, ganze fünf Jahre später als geplant. Quelle: dpa
Das Skandal-GewehrDas Dauerthema bleibt jedoch das Pannengewehr G36: Das Sturmgewehr des Herstellers Heckler und Koch soll bei hohen Temperaturen nicht mehr präzise schießen, Verteidigungsministerin von der Leyen erklärte daraufhin, das Gewehr habe bei der Bundeswehr keine Zukunft. Rund 180 Euro hat die Bundeswehr für die insgesamt 178.000 Gewehre bezahlt. Die Aufklärung der Affäre bindet viele Kapazitäten im Ministerium: Insgesamt vier Kommissionen befassen sich mit dem Skandal. Ab 2019 soll ein neues Sturmgewehr das G36 ablösen. Quelle: dpa

Die Welt ist also komplex geworden – gerade auch für die Bundeswehr. Zwar muss sie sich wie zu Zeiten des Kalten Krieges mit der Landesverteidigung beschäftigen. Zugleich gilt es aber, neue Fähigkeiten aufzubauen und in alle Richtungen enger zu kooperieren: mit anderen Armeen, geschenkt! Das ist Standard. Aber Cybersicherheit und Resilienz fördern? Manch ein Panzergrenadier wird ratlos bleiben, welche Rolle er hierbei überhaupt spielen soll.

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