Die Fixierung auf den Klimaschutz entspricht der Tendenz der gegenwärtigen politischen Klasse (nicht nur in Deutschland, aber vor allem hier), möglichst abstrakte, globale Probleme zu betonen – und konkrete, lokal verortete Katastrophen zu ignorieren. Man könnte mit Theodor W. Adorno von einer Politik der „Gigantenbilder“ sprechen. Angela Merkel ist die wohl prominenteste Exponentin dieser Politik: Sie sieht ihre Funktion längst nicht mehr darauf beschränkt, ihrem Amtseid gemäß ihre „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes [zu] widmen, seinen Nutzen [zu] mehren, Schaden von ihm [zu] wenden“. Sie fühlt sich offensichtlich für die gesamte Welt verantwortlich.
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Im Wahlkampf hat die Ökopartei stark auf ihren Markenkern gesetzt. Nun muss sie liefern, sonst droht das Veto der Basis - oder die Quittung bei der nächsten Bundestagswahl. Das wissen die anderen Verhandlungspartner auch. Sie könnten es nutzen und den Preis etwa für einen Kohleausstieg möglichst hoch treiben, so dass die Grünen an anderer Stelle Zugeständnisse machen müssen. Klimaschutz werde „ganz besonders schwierig“, nahm Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schon als ein Resultat aus der ersten großen Sondierungsrunde mit.
Damit sie mit ihren Forderungen nicht gegen eine Wand laufen, haben die Grünen sich eine Strategie ausgedacht: „Es kann keine Arbeitsteilung geben, die so aussieht: Die Grünen machen Vorschläge und die anderen arbeiten sich daran ab, aber machen keine eigenen Vorschläge“, hat Parteichef Cem Özdemir erklärt. Von allen müsse was kommen. Wer die besseren Ideen habe, darüber könne man dann streiten.
Angela Merkel hat - oder hatte - den Beinamen Klimakanzlerin. Sie hat das Pariser Klimaabkommen und einen Klimaschutzplan mit verabschiedet. Der sieht vor, dass Deutschland bis 2030 seinen Treibhausgas-Ausstoß um 55 Prozent mindert im Vergleich zu 1990. Dann ist da noch das 2020-Ziel - das fällt in diese Legislaturperiode. Bis dahin soll der Treibhausgas-Ausstoß um 40 Prozent runter. Das Ziel ist von 2007, damals regierte Merkel mit der SPD. Schwarz-Gelb bekräftigte es im Koalitionsvertrag 2009. Aber erst vor zwei Wochen belegte das Umweltministerium (mal wieder), dass das Nahziel nur mit umfassenden zusätzlichen Maßnahmen noch zu halten ist.
International ist Klimaschutz ein großes Thema. 2015 bejubelten Klimaschützer weltweit das Abkommen von Paris, 2017 gingen sie mit US-Präsident Donald Trump ins Gericht, weil er es aufkündigen will. Von 6. November an werden in Bonn bis zu 25 000 Teilnehmer der nächsten Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen erwartet. Die Präsidentschaft hat Fidschi, aber Deutschland ist Gastgeberland - und damit noch stärker als sonst im Fokus der internationalen Klima-Diplomatie.
Zwar ist die Zahl derjenigen, die in der Braunkohleindustrie arbeiten, stark zurückgegangen. Nach Angaben der Bundesverbands Braunkohle und einem neuen Gutachten im Auftrag der Grünen-Fraktion sind es aber noch rund 20 000. Vor allem das Rheinland und die Lausitz trifft es, wenn die Jobs wegfallen.
Beim Klimaschutz geht es nicht nur um Kohle - allerdings ist schon das extrem kompliziert. Ökostrom-Ausbau, Stromnetze, EEG-Umlage, Einspeisevorrang für Erneuerbare, europäischer Emissionshandel sind nur ein paar Stichworte. Dazu kommen Gebäudesanierung, Heizungen, Benzin- und Dieselmotoren und die Kraftstoffsteuern, Industriesubventionen und die Landwirtschaft. Aus alldem ein Gesamtpaket zu schnüren, ist eine echte Mammut-Aufgabe.
Das zeigt sie etwa in ihrer Reaktion auf die Herausforderung durch Massenmigration. Anstatt nach dem Grund dafür zu fragen, warum ausgerechnet Deutschland ein derart exponiertes Zielland ist, und die offensichtlich vorhandenen Fehlanreize gegenüber anderen potentiellen Zielländern zu beseitigen, gibt sie die Parole aus: Fluchtursachen in den Herkunftsländern, also einem Großteil der (nichtwestlichen) Welt zu bekämpfen. Zu diesem Gigantenbild einer Weltinnenpolitik gehört nicht zuletzt auch der Kampf gegen den Klimawandel, in dem sich Deutschland unter Merkels Regierung ganz besonders hervortut.
Die ökologische Bewegung, eine der wichtigsten politischen Kräfte der Gegenwart, steht seit jeher im Zwiespalt zwischen konkretem Naturschutz und abstraktem Umweltschutz. Wie bei allen Graswurzelbewegungen war ursprünglich der Kampf gegen konkrete, örtliche Zerstörungen und Bedrohungen das entscheidende Motiv der Mobilisierung. Erst als die Politik sich um 1970 herum dieser Anliegen annahm, wurde aus dem „environment“ (wörtlich übersetzt: Umgebung) die „Umwelt“. Es war ein Ministerialbeamter im damaligen Bundesinnenministerium unter Hans-Dietrich Genscher, der 1969 den Begriff „Umweltschutz“ erfand. Damit war die Tendenz von den konkreten Naturschutzmaßnahmen vor Ort hin zur Rettung der (Um-)Welt vielleicht schon vorgezeichnet.
Heute hat sich ein großer Teil der ökologischen Bewegung von den eigenen Graswurzeln weit entfernt. Sie ist nicht mehr der Stachel im Fleisch der politisch und ökonomisch Mächtigen, der sie mal war. Das gilt besonders für eine der ältesten und wichtigsten Organisationen in Deutschland: Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND), einst von dem CDU-Apostaten Herbert Gruhl mitgegründet, hat sich voll in den Dienst der Energiewende und des Kohleausstiegs gestellt. Die Naturschäden durch den Ausbau von Windkraftparks und anderen erneuerbaren Energien, die der BUND vor einigen Jahren noch vor Gericht beklagte, sind ihm heute kaum mehr als ein paar Floskeln wert.
Die ökologische Bewegung ist längst zu einem Teil der politischen Eliten geworden. Man interessiert sich nicht mehr so sehr für die Verschandelung der heimischen Natur, die zu bremsen ein mühseliges Geschäft ist, sondern verpflichtet medienwirksam Regierungspolitiker zur Rettung der Welt. Denen kann das nur Recht sein, denn: je gigantischer das Projekt, desto geringer die eigene Verantwortung.