Wir Menschen sind schon komische Leute. Wenn wir uns einmal was in den Kopf gesetzt haben, ist es schwer, es wieder zu korrigieren. Je nachdem, was man uns in jungen Jahren mal erzählt.
So kommt es etwa, dass wir westlichen Menschen andere Weltregionen dafür verachten, dass sie Hunde und Katzen essen, weil die doch so niedlich sind. Dafür vertilgen wir massenhaft Rinder, die von anderen religiös verehrt werden, und Schweine, die wieder andere für unrein halten. Und Kaninchen, die bei uns ebenfalls auf dem Esstisch landen, werden sich dagegen verwahren, weniger niedlich zu sein als eine Katze. Aber keines der Geschöpfe kann da auf die menschliche Vernunft setzen.
Genauso ist es mit unserem Leitungswasser.
Da ist zum einen die Sache aus Frankreich. Wie ist es möglich, dass wir es uns intellektuell durchgehen lassen, in Plastikflaschen abgefülltes stilles Wasser tausende Kilometer aus Kleinstädten wie Vichi oder aus der Gegend um Évian-les-Bains über die Autobahn herkutschieren zu lassen, um diese dann in schweren Kästen mit zarten Ärmchen auf dem Supermarktparkplatz in den Kofferraum des Mini zu hieven und zuhause in den dritten Stock?
Nur weil die Etiketten so hübsch rosa sind und da Worte drauf stehen wie „fit“ und „natürlich“. Wenn doch immer wieder in Tests nachgewiesen wird: Das bessere Wasser ganz ohne Plastik-Rückstände ist das, das uns bequem, kühl, umweltfreundlich und fast kostenlos aus der Leitung in den Mund sprudelt.
Wer ausreichend Wasser trinkt und seinen Durst allein mit Schnickschnack-Wasser stillt, kann bei einer Menge von zwei Litern 1 Euro 20 am Tag ausgeben. Das sind aufs Jahr hochgerechnet 438 Euro. Würde man aber immer nur Leitungswasser trinken, käme man auf Getränkekosten von rund 1 Euro 50 – pro Jahr. Eine Ersparnis von gut 99 Prozent. Da kann die schwäbische Hausfrau nicht meckern.
Und während wir einerseits das teure Plastikwasser mit seiner traurigen CO2-Bilanz trinken, liegen wir andererseits Nächte lang wach, weil wir versehentlich an der Toilette einmal die Taste für den großen Spülgang gedrückt haben, obwohl bei genauerer Betrachtung die Betätigung der kleinen Wasserspar-Taste völlig ausreichend gewesen wäre.
In Deutschland werden Kinder von klein an zurecht gewiesen, das kalte Wasser abzustellen, während sie sich die Zähne putzen. Bis sie ab dem Alter von fünf anfangen, im Gegenzug ihre Eltern in Diskussionen zu verwickeln, ob es denn tatsächlich nötig gewesen wäre, die Tomatenkerne im Spülbecken noch mit einem Stoß Wasser wegzuspülen, die wären doch wegen ihrer Glitschigkeit auf kurz oder lang von selber hinabgerutscht.
Da trauen sich verschämte Menschen aus Umweltschutzgründen morgens nicht, nach dem Aufstehen das Wasser dreißig Sekunden lang in den Abfluss ablaufen zu lassen, bis es richtig kalt kommt, wie es Experten empfehlen, bevor man es trinkt. Stattdessen riskieren sie, mit dem über Nacht abgestandenen Wasser Schadstoffe wie Blei aus den womöglich veralteten letzten Leitungsmetern des eigenen Hauses mitzutrinken.
Und alles nur, weil vor dreißig Jahren die Zuständigen in unseren Wasserwerken hochgerechnet haben: Wenn der Wasserverbrauch der Bevölkerung weiter ansteigt, dann liegt er bald nicht mehr bei 150 Litern pro Kopf und Tag, sondern bei 200, und dann müssen wir teuer die Netze nachrüsten. Ab da hieß es: Wasser sparen.
Und nun stellt sich raus: Unser deutscher Wasserspar-Tick hat teure Folgen für die Infrastruktur. Statt der 150 Liter verbrauchen wir heute durchschnittlich 120 Liter täglich. Mit der Folge, dass das frische Wasser länger in den Rohren steht und droht, an Qualität zu verlieren. Und mit der anderen Folge, dass die Abwasserleitungen mitunter nicht stark genug geflutet werden. Die verstopfen dann und müssen extra aufwändig gespült werden - mit Leitungswasser. Und mit Kosten für Personal und Spezialgeräte.
Wer nach Herzenslust Wasser verschwendet, hilft
Und die Umwelt? Wahrhaftig: Frisches Trinkwasser ist knapp. Weltweit. Die UNESCO sagt: 40 Prozent der Weltbevölkerung ist von Wasserknappheit betroffen. Das heißt aber nicht, dass auf der Erde das Trinkwasser ausgeht. Es wird nicht weniger. Dank des Regens. Es ist nur ungleich verteilt. Und wir in Mittel- und Nordeuropa sind hervorragend versorgt.
Ich habe mal ein treffendes Gleichnis gelesen: Wenn wir in Deutschland Wasser sparen, damit die Menschen in den Wüstenregionen mehr zu trinken haben, dann ist das so, als würden die Spanier mit Rollos die Sonne aus ihren Häusern verbannen, nur weil es in Finnland im Winter so lange dunkel ist. Dass der eine die vorhandene Ressource nicht nutzt, kommt dem von der Knappheit Betroffenen eben nicht zu Gute.
Durch weniger Wasserkonsum wird im Übrigen auch der Betrieb der Wasserwerke nicht billiger. Der Diplom-Ingenieur und Trinkwasser-Experte Dr. Jürgen Leist von der Leibniz Universität Hannover sagt im Interview mit tagesschau.de: „Viele Anlagen kosten gleich viel, egal ob sie jetzt stark oder weniger stark genutzt werden. Das ergibt um die 90 Prozent fixe Kosten.“ Heißt: Wenn weniger Wasser verbraucht wird, muss das wenige eben teurer werden. Während das Wasser selber praktisch kostenlos aus der Erde kommt, werden die Aufbereitungskosten auf den Wasserpreis umgelegt.
Also: Wer Wasser spart, spart kurzfristig Geld, sorgt aber dafür, dass mittelfristig die Wasserpreise steigen. Wer aber nach Herzenslust Wasser verschwendet, der trinkt frischeres Wasser, hilft, die Abwasserrohre zu pflegen und: Er lernt, alte Denkstrukturen aufzubrechen. Das allein ist ja schon ein Abenteuer. Was früher richtig war, ist heute falsch. Wow!
Aber Achtung: Wer meint, endlich wieder ohne schlechtes Gewissen ewig duschen zu können, liegt oft falsch. Sobald es um warmes Wasser geht, wird zusätzlich Energie verbraucht. Dauerwarmduscher sind dann auf der sicheren Seite, wenn sie das warme Wasser mit Solarenergie etwa vom eigenen Dach gewinnen. Oder per Ökostrom aus Wind, Wasserkraft oder Sonne, wenn man so will. Aber das geht auf Dauer zumindest ins Geld.
Und wer jetzt seine Wasch- und Spülmaschine wieder ohne das Öko-Programm laufen lässt, sollte zumindest sichergehen, dass die Geräte dann wirklich nur mehr Wasser verbrauchen und nicht auch mehr Strom zum Heizen. Das steht oftmals in der Bedienungsanleitung.
Aber das randvolle Plantschbecken im Garten wäre so gesehen kein Grund mehr, sich vor seinen Nachbarn zu schämen.
Und das Befreiendste ist doch: Man darf auf dem Klo ab jetzt wie verrückt vorspülen, mit Wonne zwischenspülen und mit voller Inbrunst nachspülen. Sogar mit der großen Taste. Und wenn einer meckert, dann spült man einfach noch mal. So! Und damit sind wir wirklich angekommen im 21. Jahrhundert. Wasser marsch!
Transparenzhinweis: Dieser Kolumnenbeitrag erschien erstmals im August 2018 bei der WirtschaftsWoche und wurde zuletzt im Oktober 2020 redaktionell aktualisiert. Wir zeigen ihn aufgrund des hohen Leserinteresses erneut.
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