"Willkommen im Dorf" Wie Hilfe für Bürgerkriegsopfer aussehen kann

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Hürden im Alltag

Glücklich gefügt hat es sich hier in der Provinz, aber Zufall war es nicht. Als die Kirchengemeinde ihr Pfarrhaus aus finanzieller Not nicht halten konnte, griff der Landrat beherzt zu, kaufte das Gebäude und ließ es von kreiseigenen Kräften umbauen.

Drei Familien wohnen nun dort, im ehemaligen Gemeindesaal entstanden vier Ein-Zimmer-Appartements. Die Verbandsgemeinde mietete weitere Wohnungen an. Noch bevor das erste syrische Kriegsopfer ankam, hatten Bürgermeister, Verwaltung und Kirche ihre Einwohner und Nachbarn informiert. Und die reagierten anders als anderswo.

Länder mit der höchsten Zahl der Asylbewerber (2014)

Vom Gesangsverein bis zum Sportclub öffneten sich die Vereine für die Zuzügler, etliche Paten fanden sich für die Ankömmlinge. Wer im Sport engagiert ist, meldet die Schützlinge an, besorgt die Kleidung, bringt die Kinder zum Training. „Ein tolles Beispiel, wie man Flüchtlinge, wie man Menschen willkommen heißt“, lobt Landrat Claus Schick die Jugenheimer Aktivisten. „Und das krasse Gegenbeispiel zu dem, was wir derzeit in den Medien sehen und hören.“

Auch deshalb ist Hendricks nach Jugenheim gekommen. „Es geht darum, positive Beispiele zu zeigen, die ja die negativen bei weitem übersteigen.“

"Dann müssen Sie eben in Aleppo anrufen"

Die Flüchtlingshelfer wollen freilich auch Kritik loswerden, weil sie im Alltag etliche Hürden entdecken, die die Neubürger allein nicht bewältigen könnten. Seit zehn Monaten wartet eine Frau aus Afghanistan auf die Entscheidung, ob sie in Deutschland bleiben darf. „Zwei Mal mussten wir nach Trier fahren, nur um Fingerabdrücke abzugeben“, schimpft ihre Patin. Jedes Mal eine Tagestour, für zehn Minuten Behördenbesuch. Dass die Asylverfahren viel zu lange dauern, habe die Bundesregierung erkannt, sagt Hendricks. Aber die 2000 neuen Stellen für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seien eben noch nicht besetzt. „Das müssen wir besser machen.“

Die nächste Petentin verlangt freie Fahrt in den örtlichen Bussen. Doch da lässt die Berliner Ministerin sich nicht erweichen. „Dafür ist das Taschengeld da.“ Patin Angelika Fingerhut empört sich, dass „eines der ersten Schreiben, die ein Flüchtling erhält“, die Zahlungsaufforderung der GEZ sei. Und ihre Mitstreiterin Carola Gaschow beklagt die bisweilen gedankenlose Kühle in den Amtsstuben. „Uns wurde gesagt: ‚Wir brauchen die Geburtsurkunde – dann müssen Sie eben in Aleppo anrufen‘.“ Doch da tobt der syrische Bürgerkrieg.

Draußen im Hof zeigt Rafi Keko der angereisten Ministerin stolz sein Fahrrad. Der taubstumme Syrer hat in der Garage des Pfarrhauses eine kleine Fahrradwerkstatt eingerichtet, repariert dort die Drahtesel, die die Trägerinitiative für die Flüchtlinge geschenkt bekommt. Sein eigenes Gefährt hat er technisch hochgerüstet, mit aufladbarer Batterie, an der sich Handys betreiben lassen, mit Blinkern – und mit einer Deutschlandfahne. Für den Hendricks-Besuch hat er sich in einen feinen Anzug mit lilafarbener Krawatte geworfen. „Hier sind Freundschaften entstanden“, sagt Pfarrerin Kirchhoff. „Wir sind jedes Mal traurig, wenn einer eine Wohnung findet.“ Integrationserfolge können also sogar weh tun.

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