Sarah Kirchhoff nimmt die gut sechzigjährige Syrerin herzlich in den Arm: „Sie war die erste hier bei uns“, sagt sie, und die Flüchtlingsfrau ergänzt mit dankbarem Lächeln: „seit Oktober“. Zehn Monate schon wohnt die Frau aus Aleppo, deren Name nichts zur Sache tut, nun schon in Jugenheim, rund eine halbe Stunde vor den Toren der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz. Mit berechtigtem Stolz präsentiert die junge Pfarrerin Kirchhoff zusammen mit Bürgermeister, Landrat und Dutzenden Ehrenamtlern das, was sie in den vergangenen Monaten geschaffen und geschafft haben: eine vorbildliche Aufnahme und beginnende Integration von Flüchtlingen.
40 Ankömmlinge aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und nun auch Armenien haben in dem 1500-Seelen-Ort ein neues Zuhause gefunden. 30 bis 40 ehrenamtliche Helfer kümmern sich als Paten um die Neubürger, begleiten sie bei Behördengängen, bei Arztbesuchen, bugsieren die Gestrandeten ebenso sanft wie gezielt ins tägliche Leben. „Willkommen im Dorf“ heißt die Initiative, die unter Führung der evangelischen Kirchengemeinde entstanden ist. Anerkennung bringt der Besuch von Bundesbau- und Umweltministerin Barbara Hendricks.
Was Flüchtlinge dürfen
Wer eine sogenannte Aufenthaltsgestattung bekommt, darf nach drei Monaten in Deutschland eine betriebliche Ausbildung beginnen. Wer geduldet ist, kann vom ersten Tag an eine Ausbildung machen. In beiden Fällen ist jedoch eine Erlaubnis durch die Ausländerbehörde nötig.
Gleiches gilt für Praktika oder den Bundesfreiwilligendienst beziehungsweise ein freiwilliges, soziales Jahr: Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach drei Monaten ohne Zustimmung der ZAV damit beginnen, wer den Status „geduldet“ hat, darf das ab dem ersten Tag.
Wer studiert hat und eine Aufenthaltsgestattung besitzt, darf ohne Zustimmung der ZAV nach drei Monaten eine dem Abschluss entsprechende Beschäftigung aufnehmen, wenn sie einen anerkannten oder vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss besitzen und mindestens 47.600 Euro brutto im Jahr verdienen werden oder einen deutschen Hochschulabschluss besitzen (unabhängig vom Einkommen).
Personen mit Duldung können dasselbe bereits ab dem ersten Tag des Aufenthalts.
Personen mit Aufenthaltsgestattung können nach vierjährigem Aufenthalt jede Beschäftigung ohne Zustimmung der ZAV aufnehmen.
Als der Gast aus Berlin eintrifft, büffelt gerade eine Gruppe muslimischer Frauen im Deutschkurs. „Heute arbeiten wir mit der Uhr“, sagt die pensionierte Lehrerin, die nun noch einmal Unterricht gibt – für Erwachsene. „Halb Drei, Viertel vor Vier“, gibt sie vor, die Frauen sollen auf einer Uhr die Zeit einstellen. Der große Zeiger, das klappt, aber der kleine steht immer eine Stunde weiter als gewünscht. Ist aber auch nicht einfach. Acht Frauen sitzen um den Tisch, darunter vier mit Kopftuch und zwei mit schulterfreien Tops. Der multikulturelle Spielraum ist weit.
Heidenau als Kontrast
Was für ein Kontrast zu jener Flüchtlingsunterkunft, die Hendricks‘ Parteivorsitzender und Kabinettskollege Sigmar Gabriel ebenfalls am Montag besuchte. Der Wirtschaftsminister hatte spontan die Route seiner Sommerreise geändert und war ins sächsische Heidenau gefahren; dort hatte in den vergangenen Tagen ein rechtsradikaler Mob vor einem zur Behelfsbleibe umgemodelten Baumarkt randaliert und nachts Polizisten brutal angegriffen. „Das ist Pack, das sich hier herumtreibt“, klassifiziert der Vizekanzler die Gewaltchaoten.
Hendricks geht es nicht darum, im PR-Wettlauf zur sich jüngst noch verschärfenden Flüchtlingskrise auch ihr Gesicht zu zeigen. Sie hatte die Station im Mainzer Umland schon vor etlichen Wochen in ihr Besuchsprogramm eingebaut. Schließlich hat das Bauministerium in diesem Jahr den alljährlichen Wettbewerb zur „Initiative Ländliche Infrastruktur“ eigens dem Flüchtlingsproblem gewidmet. „In ländlichen Räumen willkommen“, lautet dieses Mal das Motto.
Jugenheim könnte da problemlos mithalten. „Auf dem Dorf ist manches anders“, sagt Kirchenvorstand Uli Röhm, der Kopf der Initiative. „Da gibt es keine Aufnahmestrukturen wie in großen Städten.“ Hier geht es nur mit engagierten Bürgern. „Unsere Flüchtlinge wohnen mitten im Dorf und nicht abgeschoben am Rand in Containern.“