Wirkungen des Mindestlohns Angela Merkel missachtet die Erwartungen

Bundeskanzlerin Angela Merkel glaubt nicht, dass der Mindestlohn schon jetzt Einfluss auf die Wirtschaft hat. Weit gefehlt. Denn Merkel vergisst einen wichtigen Faktor: Erwartungen.

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Was der deutschen Wirtschaft Mut und Angst macht
Konsum Quelle: dpa
Investitionen Quelle: dpa
Angstmacher: EurokriseSie hat sich dank dem Einschreiten der Europäischen Zentralbank (EZB) merklich beruhigt. Seit ihr Chef Mario Draghi Ende 2012 den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder angekündigt hat, hat nach Ansicht der Finanzmärkte die Gefahr einer Staatspleite in Spanien und Italien deutlich abgenommen. Doch die Ruhe könnte sich als trügerisch erweisen. So reagieren die Börsianer zunehmend nervös auf die Umfrageerfolge von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der bei der Parlamentswahl kommende Woche in Italien wieder kandidiert. Berlusconi will viele Reformen seines Nachfolgers Mario Monti wieder zurücknehmen und beispielsweise die Immobiliensteuer wieder abschaffen. Quelle: REUTERS
Angstmacher: Euro-StärkeDie Gemeinschaftswährung steht unter Aufwertungsdruck. Seitdem die japanische Notenbank ihre Geldschleusen geöffnet hat, ist der Euro um 20 Prozent im Verglich zum Yen gestiegen. Dort sitzen einige der größten Konkurrenten der deutschen Exporteure, darunter Autokonzerne wie Toyota und viele Maschinenbauer. Sie können ihre Produkte dank der Yen-Abwertung billiger anbieten. Quelle: dpa
Auch im Vergleich zu anderen Währungen ist der Euro teurer geworden. Experten warnen bereits vor einem Abwertungswettlauf. Noch können die deutschen Exporteure mit dem Wechselkurs gut leben. Die größere Sorge ist, dass weniger konkurrenzfähige Euro-Länder wie Frankreich oder Italien darunter leiden. Das würde am Ende auch Deutschland treffen, das fast 40 Prozent seiner Waren in die Währungsunion verkauft. Quelle: dpa

Ökonomen staunen, wenn sie Angela Merkels Kommentar zum aktuellen Gutachten der Wirtschaftsweisen hören: "Es ist nicht ganz trivial zu verstehen, wie ein Beschluss, der noch nicht in Kraft ist, jetzt schon die konjunkturelle Dämpfung hervorrufen kann", sagte sie mit Bezug auf den kommenden Mindestlohn in Deutschland.

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Als leidenschaftliche Hochschullehrer der Makroökonomik möchten wir verzweifeln. Da fast alle wirtschaftlichen Vorgänge über die Zeit stattfinden und Implikationen für die Zukunft haben, erklären wir den Studenten schon in den ersten Einführungsvorlesungen immer wieder, dass Erwartungen über die Zukunft das wirtschaftliche Geschehen schon heute beeinflussen.

Menschen, die befürchten müssen, morgen arbeitslos zu werden, kaufen heute keine Autos. Unternehmen, die für morgen höhere Steuern oder niedrigere Umsätze befürchten, investieren schon heute nicht mehr und stellen auch keine Arbeitskräfte mehr ein. Wenn Konsumenten fallende Preise erwarten, dann gehen sie heute nicht mehr auf Einkaufstour und warten stattdessen erst einmal ab, weshalb erwartete fallende Preise – die berüchtigten Deflationserwartungen – ja so gefährlich sind.

Bereits jetzt gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die geplante Mietpreisbremse die Mieten heute stark steigen lässt. Man hat sogar Anhaltspunkte dafür gefunden, dass angekündigte Erbschaftssteuererhöhungen in den USA zu früherem Sterben vor dem Stichtag der Erbschaftssteuererhöhung führen. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.

Egal, ob die irrationalen Instinkte von John Maynard Keynes oder – ganz ordnungspolitisch deutsch – das angebliche Erhardsche Diktum, dass Wirtschaft zu fünfzig Prozent Psychologie sei: Erwartungen sind nach allgemeiner Einschätzung nahezu aller Ökonomen von zentraler Bedeutung für das Verständnis moderner dynamischer Volkswirtschaften.

Es ist dabei wichtig zu betonen, dass ein sicher angekündigter Mindestlohn schon heute Auswirkungen auf das Konjunkturgeschehen haben dürfte, völlig unabhängig davon, auf welcher Seite man sich in der Debatte über die Richtung dieser Auswirkungen befindet.

Wir werden uns also aus der durchaus umstrittenen und leider ungelösten empirischen Debatte heraushalten, ob Mindestlöhne positive oder negative Beschäftigungswirkungen haben. Wir sehen uns auch außer Stande zu beurteilen, ob die aktuelle sogenannte konjunkturelle Eintrübung tatsächlich eher in Verbindung zum Mindestlohn steht oder – wie die Bundesregierung zu wissen behauptet – geopolitische Ursachen hat.

Geisterbahn und keine gute Politik

Wenn man aber wie die Mehrheit der Mitglieder des Sachverständigenrates glaubt, dass Mindestlöhne eher schaden, dann wird man erwarten, dass diese negativen Wirkungen bereits heute auftreten. Unternehmen werden heute schon nicht mehr in neue Projekte investieren und die dann nach Meinung der Kritiker des Mindestlohnes zu teuren Arbeitskräfte einstellen.

Denn: Wenn diese Arbeitskräfte am 1. Januar 2015 zu teuer sind, dann wird man sie in der Regel nicht ein halbes Jahr vorher noch einstellen wollen, um sie dann bei Einführung des Mindestlohnes zu entlassen - was ja gerade in Deutschland nicht mit unerheblichen Kosten verbunden ist.

Wenn man Erwartungen in die Analyse mit einbezieht, zeigt sich eben, dass erwartete Entlassungskosten heutige Einstellungshindernisse darstellen. Mit anderen Worten: Der für nächstes Jahr erwartete Mindestlohn hat bereits heute konjunkturdämpfende Wirkungen.

In welchen Branchen Mindestlöhne bereits fällig sind
FleischindustrieDie Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) fordert einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro für die deutsche Fleischindustrie. In der Branche arbeiten rund 80.000 Arbeitnehmer. Die Bezahlung der Mitarbeiter in der Branche ist bisher über einzelne Haus- oder regionale Tarife geregelt, die nur rund 27. 000 Beschäftigte erfasst. Nach Gewerkschaftsangaben wiesen die Arbeitgeber die Forderung zurück. Dies sei zwar für den Westen möglich, kurzfristig jedoch nicht für die ostdeutschen Bundesländer. Nach mehreren Stunden vertagten die Tarifparteien die Gespräche auf den 17. Dezember. Die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns in Deutschland ist auch Ziel der SPD in ihren Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU. Quelle: dpa
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) warnt vor einem flächendeckenden Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro pro Stunde. Die Politik solle mit einer niedrigeren Lohnuntergrenze - beispielsweise bei sieben Euro - beginnen und sich langsam steigern. Insgesamt würden bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro 17 Prozent der Arbeitnehmer einen höheren Stundenlohn erhalten - die Lohnsumme würde jedoch nur um drei Prozent steigen, so das DIW. Schließlich gebe es viele Niedriglöhner, deren Partner gut verdienen. Das Plus werde dann von der Steuer gefressen. Auch Arbeitslose, die sich etwas dazu verdienen, hätten nichts vom höheren Lohn, da dieser mit den Sozialleistungen verrechnet werde. Der Mindestlohn von 8,50 Euro hätte dagegen zur Konsequenz, dass mehr Unternehmen auf Minijobs als auf Festangestellte setzen und letztlich die Preise bei den sogenannten konsumnahen Dienstleistungen steigen. Frisöre, Kleinst- und Gastronomiebetriebe würden die höheren Lohnkosten an die Kunden weitergeben. Quelle: dpa
In der Friseurbranche wird es ab August 2015 einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro geben. Dem Tarifvertrag wollen laut Angaben von Landesverbänden und der Gewerkschaft Verdi auch mehrere Friseurketten betreten. Bis Ende Juni soll der Vertrag von allen Seiten unterschrieben sein. Der flächendeckende Mindestlohn werde von August 2013 an in drei Stufen eingeführt. Der Osten startet mit 6,50 Euro Stundenlohn, der Westen mit 7,50 Euro. Diese verschiedenen Stufen waren nötig, weil bislang regional sehr unterschiedliche Tarifverträge existierten. In den neuen Bundesländern gab es zum Teil Ecklöhne von nur knapp mehr als drei Euro pro Stunde, wie Verdi-Verhandlungsführerin Ute Kittel sagte. Quelle: dpa
In welchen Branchen Mindestlöhne bereits fällig sindDie Zeitarbeit führt als elfte Branche in Deutschland ab dem 1. Januar 2012 Mindestlöhne ein. Festgelegt ist, dass dann bis zum 31.Oktober 7,89 Euro in Westdeutschland und 7,01 Euro in Ostdeutschland gezahlt werden müssen. Zwischen dem 1. November 2012 und dem 31. Oktober 2013 wird die Lohnuntergrenze dann auf 8,19 Euro in Westdeutschland und 7,50 Euro in Ostdeutschland angehoben. Quelle: Hans-Böckler-Stiftung Quelle: dpa
Im Wach- und Sicherheitsgewerbe gilt seit dem 1. Juni 2011 ein Mindestlohn von 6,53 Euro. Anders als in den meisten Branchen ist der Tarif hier deutschlandweit einheitlich. Zum 1. Januar 2013 sollen die Stundenlöhne steigen, die Beschäftigten können dann mit einem Tarif zwischen 7,50 Euro und 8,90 Euro rechnen. Foto: dpa  Quelle: Hans-Böckler-Stiftung
Wäschereien müssen ihren Beschäftigten im Osten 6,75 Euro die Stunde zahlen. Im Westen liegt der Mindestlohn über einen Euro höher, hier bekommen Angestellte mindestens 7,80 Euro. Quelle: dpa
Reinigungskräfte bekommen für den Innendienst einen Stundenlohn von sieben Euro (Ostdeutschland) und 8,55 Euro (Westdeutschland). Genau 2,78 Euro mehr pro Stunde… Foto: dpa

Wer dagegen ganz linkskeynesianisch an die sogenannte Kaufkrafttheorie des Mindestlohnes glaubt und erwartet, dass vom Mindestlohn besonders arme und konsumfreudige Haushalte profitieren, was dann die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbelt, der wird schon heute konjunktursteigernde Effekte erwarten.

Die Unternehmen werden heute schon investieren und heute schon Arbeitskräfte einzustellen versuchen, um von der zusätzlichen morgigen Nachfrage auch profitieren zu können. Ja, die zusätzliche Nachfrage mag gar heute schon kommen, da die betroffenen Haushalte wissen, dass sie nächstes Jahr mehr in der Tasche haben werden.

Und die Kanzlerin? Sie kann sich das einfach nicht vorstellen. Sie kann sich nicht vorstellen, wie ein bereits angekündigter und fest mit einer großen politischen Mehrheit beschlossener – und damit ziemlich sicher kommender – Mindestlohn die Erwartungen und Handlungen der Wirtschaftsakteure schon heute beeinflusst. Vielleicht liegt diese fehlende Vorstellungskraft ja an ihrem naturwissenschaftlichen Hintergrund, wo es keine erwartungsrückgekoppelten Systeme gibt, die eben in der sozialen Welt allgegenwärtig sind.

Merkels Aussage ergibt eigentlich nur Sinn in zwei Interpretationen: Entweder glaubt sie, dass Mindestlöhne überhaupt keine wirtschaftlichen Auswirkungen haben - weder heute noch morgen. Aber erstens geht das nicht aus ihrem Kommentar hervor und zweitens müsste sie sich dann fragen lassen, warum sie ihn überhaupt macht – nur weil die SPD es so will?

Oder aber sie glaubt, dass die Unternehmen tatsächlich gar nicht in die Zukunft schauen. Wenn das so wäre, hätte die Kanzlerin Recht. Aber Wirtschaftspolitik im Vertrauen darauf zu machen, dass die wirtschaftlichen Akteure so einfach gestrickt sind, gleicht einer Fahrt auf der Geisterbahn - aber keiner guten Politik.

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