Wirtschaftsethiker Karl Homann "Der linke Funke ist übergesprungen"

Der Wirtschaftsethiker Karl Homann über den Akzeptanzverlust der sozialen Marktwirtschaft, die Schuld an der Finanzkrise und das Versagen der Politik.

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Homann, die Welt steckt in einer der schwersten Wirtschaftskrisen, ausgelöst durch Exzesse an den Finanzmärkten. Zerstört sich der Kapitalismus selbst?

Homann: Der Kapitalismus ist weltweit nicht in Gefahr. Dafür ist die globale Akzeptanz zu groß. Und gegenüber planwirtschaftlichen Systemen bleibt der Kapitalismus insgesamt deutlich überlegen, auch wenn es in größeren Abständen zu kathartischen Krisen kommt.

Verliert die Marktwirtschaft in Deutschland nicht deutlich an Akzeptanz?

In Deutschland und in Kontinentaleuropa ist der Kapitalismus tatsächlich gefährdet. Seit über 20 Jahren sinkt bei uns die Zustimmung zur sozialen Marktwirtschaft.

1968 gab es Krawalle, und es ging es darum, das kapitalistische System zu überwinden. Verglichen damit ist es heute doch ausgesprochen ruhig.

Damals demonstrierten Intellektuelle und nicht die Arbeitermassen, die sehr gut in und mit dem System lebten. Heute springt der linke Funke auf die Bürger über, das zeigt sich auch beim Linksruck in unserer Parteienlandschaft bis in die Union hinein.

Warum haben wir diese Akzeptanzkrise? Gerade auf deutschem Boden hat sich doch gezeigt, dass die Marktwirtschaft Wohlstand und sozialen Ausgleich schafft, nicht die Planwirtschaft.

Die Vorbehalte gegenüber der Marktwirtschaft und ihrem Wettbewerbsprinzip stecken in uns viel tiefer, als dass gute Erfahrungen allein dies ändern können. Unsere Grundbegriffe und Leitvorstellungen sind in vormodernen Gesellschaften entstanden. Platon, Aristoteles, das Alte und das Neue Testament haben uns geprägt, was Solidarität, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit betrifft. Typisch ist die Geschichte vom Heiligen Martin. Der gilt als moralisches Vorbild, weil er seinen Mantel teilte. Für wirtschaftlichen Erfolg ist in der Kirche dagegen noch nie jemand heiliggesprochen worden, auch wenn er Tausenden frierenden Menschen zu Brot und Mänteln verholfen hat. Wirtschaften und damit verbundener Konkurrenzkampf rangieren in unserem abendländischen Wertesystem ganz unten.

Moment. Selbst in der Antike gab es Olympische Spiele, und auch heute hat niemand etwas gegen sportlichen Wettstreit.

Natürlich denkt niemand daran, vom FC Bayern München zu verlangen, schwächere Bundesliga-Mannschaften mit Punkten querzusubventionieren. Aber wenn ein konkurrierendes Unternehmen in Existenznot gerät...

...wie zum Beispiel Opel...

...und Tausende Arbeitsplätze gefährdet sind, gilt ein Abbau als unsolidarisch – und auf das angebliche Marktversagen reagiert der Staat mit Subventionen. Dann bricht das alte Misstrauen gegenüber der Wirtschaft wieder auf. Das hängt auch mit den Erfahrungen aus der vorindustriellen Zeit zusammen. Bis 1820 gab es nahezu kein Wirtschaftswachstum. Unter den Bedingungen eines solchen Nullsummenspiels konnte jemand nur reich werden, wenn er anderen etwas wegnahm.

Aber seither wächst der Wohlstand – dank kapitalistischer Anreize.

Das Dilemma ist, dass die Menschen die ökonomischen Zusammenhänge nicht richtig verstehen. Und sobald sie etwas nicht verstehen, folgen sie unmittelbar ihren moralischen Intuitionen.

Viele Menschen sagen, gierige Banker seien an der Finanzkrise Schuld. Haben sie nicht recht?

Damit kann ich nichts anfangen. Gier hat es zu allen Zeiten gegeben. Gier ist eine wichtige Antriebskraft für die Menschen, um zu Wohlstand zu gelangen. Und jetzt soll die Gier schuld an der Krise sein?

Was denn sonst?

Nicht die Menschen sind schuld, sondern das System. Die vom Systemimperativ Wettbewerb ausgehenden Anreize treiben die Menschen zu nachhaltigem Gewinnstreben an.

Aber hat nicht die Gier in diesem System zu Exzessen geführt?

Was hätte denn der Einzelne dagegen tun sollen? Banker, die sich vor zwei, drei Jahren geweigert hätten, bestimmte hochverzinsliche Papiere ihren Kunden anzubieten, hätten doch mit Entlassung rechnen müssen. Im gegebenen System des Wettbewerbs haben sich die Banker rational verhalten, auch wenn alle zum Schaden des Ganzen gehandelt haben. Ökonomen sprechen vom Gefangenendilemma.

Einige Banker haben bewusst die bestehenden Regeln ausgehebelt und, etwa bei der Hypo Real Estate, Papiere nach Irland oder anderswo ausgelagert, um sie der staatlichen Kontrolle zu entziehen. Ist das nicht verwerflich?

Es ist ein Kontrollfehler des Staates. Die Politik hat nicht mit der Entwicklung der Finanzmärkte Schritt gehalten und den Aufsichtsrahmen nicht entsprechend angepasst.

Also ist die Politik für die Krise verantwortlich?

Ich staune jedenfalls über die Selbstgerechtigkeit von Politikern, die erst beim Abstecken des Ordnungsrahmens und ihren Kontrollpflichten versagen und nun dem Markt beziehungsweise den Bankern die Schuld zuschieben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanzminister Peer Steinbrück haben immerhin im Sommer 2007 beim G8-Treffen in Heiligendamm auf strengere Vorschriften an den Finanzmärkten gedrängt, wenn auch vergebens.

Das Gefangenendilemma wiederholt sich auf der politischen Ebene. Im internationalen Wettbewerb verhielten sich Amerikaner und Briten ebenfalls völlig rational. Man könnte die Weltwirtschaftskrise als Summe verschiedener Gefangenendilemmata betrachten.

Brauchen wir also die Krise, um aus den Gefangenendilemmata ausbrechen und die Regeln nun ändern zu können?

Das ist der Punkt. Der Leidensdruck musste groß genug sein. Beim G20-Gipfel in London haben selbst Amerikaner und Briten strengeren Regeln für die Finanzmärkte zugestimmt. Das ist ein Erfolg der Deutschen, und ich scheue mich nicht zu sagen, dass unsere soziale Marktwirtschaft, die dem Markt einen klaren Ordnungsrahmen vorgibt, Vorbild für die Welt sein sollte.

Zuvor haben Sie aber gesagt, dass in Deutschland die soziale Marktwirtschaft in Gefahr sei. Heißt das, die Welt entwickelt sich weiter und Deutschland zurück?

So ist das zu befürchten. Die Bundesregierung betreibt derzeit mit ihren Konjunkturpaketen einen Ad-hoc-Interventionismus. Gerade jetzt wäre aber die Zeit für Ordnungspolitik, damit die Marktwirtschaft ihre wohlstandstreibenden Kräfte in wohlgeordneten Bahnen entfalten kann.

Bundespräsident Horst Köhler mahnt die Manager, zu den Grundsätzen des ehrbaren Kaufmanns zurückzukehren. Hat er da nicht recht?

Er fordert zugleich aber auch bessere Regeln, sonst wäre das der Versuch, Systemfehler mit personalen Appellen zu lösen. Dabei sagen selbst unsere Lebensweisheiten wie „Der Ehrliche ist der Dumme“, dass dies nicht ausreichen kann.

Wie beurteilen Sie das Verhalten unserer Manager und Unternehmer in der Krise?

Es ist bedauerlich, dass unsere Top-Manager bei TV-Talkshows wie Anne Will nicht in der Lage sind, die Marktwirtschaft als moralisches System zu erklären. Doch das ist nicht ihre Schuld, da es diese Diskussion seit 40 Jahren nicht gegeben hat.

Was sollten sie denn sagen?

Zu sagen, dass die Marktwirtschaft zu mehr Wohlstand führt, reicht nicht. Die Menschen wollen moralische Antworten. Man müsste erklären, dass und warum die Marktwirtschaft die der modernen Welt angepasste institutionalisierte Nächstenliebe ist. Schließlich leben selbst Menschen, die nach unserer Definition arm sind, heute viel länger, weil unser System die gesundheitlichen und sozialen Versorgungseinrichtungen finanziert.

Welche Lehren müssen die Manager in ihren eigenen Unternehmen ziehen?

Auch Unternehmen sind Systeme, in denen Regeln gelten. Nehmen wir den Fall Siemens: Da haben doch nicht korrupte Manager in die eigene Tasche gewirtschaftet. Nein, die haben entsprechend den – bis 1998 vom Staat subventionierten – Gepflogenheiten in ihrem System gehandelt. Umso wichtiger ist es, dass das Thema Ethik in Unternehmen und in der Betriebswirtschaftslehre nicht länger als Orchideenfach gering geschätzt wird.

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