Wirtschaftsforscher Höhere Löhne in Deutschland helfen Europa

Die Konjunktur ist robust, die Inflation niedrig - Gründe genug für höhere Löhne in Deutschland, meint der CDU-Arbeitnehmerflügel. Wirtschaftsforscher stützen die Forderung, weil Europa insgesamt profitieren könnte.

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Gute gefüllte deutsche Lohntüten könnten auch Euro-Krisenländern zu Gute kommen. Quelle: dpa

Berlin Nach Einschätzung von Wirtschaftsforschern können höhere Lohnsteigerungen in Deutschland die Exportchancen europäischer Krisenländer erhöhen. „Schon seit langem weisen wir daraufhin, dass der Anstieg der Löhne in Deutschland zu schwach war, um Preisstabilität und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht zu gewährleisten“, sagte der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn, Handelsblatt Online. In jüngster Zeit habe sich der Trend gedreht. „Das kommt der Konjunktur in Deutschland mit einer kräftigen Binnennachfrage zu Gute.“ Es sei erfreulich, so Horn, dass die Bundesbank das mittlerweile genau so sehe.

Bundesbank-Chefvolkswirt Jens Ulbrich hatte angesichts der derzeit extrem niedrigen Inflation für höhere Abschlüsse geworben. Über Jahre hinweg hätten die Tarifparteien „sehr verantwortungsbewusst Lohnzurückhaltung“ geübt - nun gebe es neuen Spielraum.

Auch der Arbeitsmarktexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, Karl Brenke, sprach sich für spürbare Anhebungen aus. Er wies darauf hin, dass die Lohnentwicklung in Deutschland schwach gewesen und der Verteilungsspielraum nicht ausgeschöpft worden sei. Die Bruttostundenlöhne seien in den letzten zehn Jahren (2003 bis 2013) real um lediglich 1,8 Prozent gestiegen, wegen des Beschäftigungswachstums sei der Anstieg der Bruttolohnsumme mit 6,6 Prozent stärker. „Der Verteilungsspielraum sollte ausgeschöpft werden, so dass höhere Lohnsteigerungen möglich sind“, sagte Brenke Handelsblatt Online. „Das könnte in der Tat die Binnennachfrage anschieben und auch für höhere Importe aus dem Euro-Raum sorgen.“

Ähnlich argumentierte der Arbeitnehmerflügel der CDU. „Höhere Löhne führen zu einem höheren Konsum und stärken die Binnennachfrage, was im europäischen Binnenmarkt auch die Exportchancen der südeuropäischen Partnerländer erhöht“, sagte der Vize der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Christian Bäumler, Handelsblatt Online. Ein spürbares Lohnplus könne damit dazu beitragen, die wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa zu mildern.


Kritik von Metallarbeitgebern

Die Metallarbeitgeber reagierten mit Kritik. Kräftigere Steigerungen der Löhne würden die Investitionsbedingungen verschlechtern und die Unternehmen zwingen, bei Neuinvestitionen auch das Ausland stärker zu berücksichtigen, hieß es aus dem Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Lohnzuwächse hätten Folgen für den Heimatstandort: „Alle Beteiligten sind sich einig, dass eine Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als derzeitiger Konjunkturlokomotive im Euroraum nicht die richtige Maßnahme sein kann.“

Unionspolitiker Bäumler betonte, die Realeinkommen der Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer seien während des vergangenen Jahrzehnts im Gegensatz zu denjenigen in anderen EU-Staaten gesunken. Jetzt müssten sich die unterschiedlichen Lohntrends aufeinander zubewegen - im Interesse der Kaufkraft inner- wie außerhalb Deutschlands: „Ohne Importe nach Deutschland gibt es auch keine Exporte nach Südeuropa.“

Nach Daten des Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung konnten sich die deutschen Arbeitnehmer bei den bisherigen Abschlüssen 2014 über ein so dickes Gehaltsplus freuen wie seit 15 Jahren nicht mehr. Die Tarife stiegen demnach im Schnitt um 3,1 Prozent - wobei einzelne Branchen wie die Chemie (3,7 Prozent auf 14 Monate) oder der öffentliche Dienst von Bund und Kommunen (3,4 Prozent) heraus stachen.

Bereits das Durchschnittsplus lag aber über dem Niveau der Vorjahre sowie deutlich oberhalb der erwarteten Inflationsrate, weshalb Reallohnsteigerungen anstehen. In Deutschland lag die jährliche Teuerungsrate im Juni nur bei 1,0 Prozent.


Frankreichs Löhne sind zu hoch

DIW-Experte Brenke hält es dessen ungeachtet für geboten, dass in Teilen des Euro-Raums die Löhne schwächer als bisher steigen. „In Frankreich etwa sind die Löhne der Produktivität vorausgeeilt“, sagte er. „Zudem müssen die Krisenländer auch wettbewerbsfähige Produkte anbieten, denn ansonsten steigen bei höheren Löhnen in Deutschland zwar die Exporte aus China, aber nicht etwa aus Griechenland oder Portugal.“ Abgesehen vom Tourismus hätten manche Länder wenig an handelbaren Gütern anzubieten.

An der Realität vorbei gehen aus Sicht Brenkes Forderungen, wonach in Deutschland die Löhne steigen müssten, um einer Deflation entgegen zu wirken. „Hierzulande haben wir eine moderate Teuerung, aber keine deflationären Tendenzen“, sagte er. „In einigen Regionen gibt es sogar kräftige Anhebungen der Mieten, überdies wirkt die Energiewende preistreibend, dasselbe ist nächstes Jahr vom Mindestlohn zu erwarten.“

Deflation sei allerdings in Südeuropa ein Thema. Die sehr schwache Preisentwicklung ergebe sich jedoch aufgrund der auferlegten Anpassungsprozesse. „Da die Währung nicht mehr abgewertet werden kann, muss intern abgewertet werden - also via Einkommen,  Löhne und somit Preise“, sagte Brenke.

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