Wirtschaftsrat-Treffen Wer hat Angst vor Rot-Rot-Grün?

Beim Jahrestreffen des CDU-nahen Wirtschaftsrates diskutieren international renommierte Politiker und Unternehmer über die Zukunft Europas. Doch vor allem geht es um eins: Angela Merkel und ein neues Profil für die CDU.

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Im kommenden Jahr stehen Bundestagswahlen an, doch schon jetzt versuchen sich die Parteien neu zu positionieren.

Berlin Das Maritim-Hotel in der Berliner Stauffenbergstraße gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Außerhalb des Hotels zeigt die Polizei Präsenz, im Hotel kontrollieren Security-Leute die Ausweise. Hier, im Maritim-Hotel findet der diesjährige Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrates statt. Prominenz aus Politik und Wirtschaft hat sich angesagt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist da, der Vorstandschef der Deutschen Bank, John Cryan, der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jeroen Dijsselbloem. Und die Veranstaltung geht los, obwohl der ehemalige französische Präsident Nicolas Sarkozy noch nicht eingetroffen ist.

Das Who is Who ließe sich problemlos fortführen, über EU-Digitalkommissar Günther Oettinger bis hin zu Daimler-Chef Dieter Zetsche. Auch FDP-Chef Christian Lindner sitzt auf einem Podium, wie auch erstmals mit Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ein Spitzenpolitiker der Grünen. Spätestens mit diesem Redner beginnen die Spekulationen um die Frage, welche Regierung sich die Unternehmerschaft denn ab Herbst 2017 in Deutschland wünscht – neben der Frage nach der Zukunft Europas mit oder ohne Großbritannien.

Über das „Europa in der Zeitenwende“ diskutiert der Wirtschaftsrat an diesem Dienstag in Berlin. Zwei Tage noch, dann stimmen die Briten darüber ab, ob sie Europa verlassen und damit als ordnungspolitische Stimme in der EU ausfallen wie auch als sicherheitspolitischer Anker. Plötzlich wäre die Heimat des weltweit größten Finanzplatzes in Europa nur noch ein einem Drittstaat angesiedelt anstatt Teil der politischen Union zu sein.

„Europa steht vor großen Herausforderungen“, stimmt der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Werner M. Bahlsen die 2.500 Teilnehmer auf die nahende Volksabstimmung in Großbritannien über den Verbleib in der EU ein. Großbritannien solle nicht die EU verlassen, sondern alles tun, um sie besser zu machen, fordert Dijsselbloem. Und dabei eine führende Rolle spielen. Und Wolfgang Schäuble sagt: „Ich hoffe, die Briten bleiben in der EU“, sagte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Für Deutschland wäre mit dem Austritt ein großer Schaden verbunden. Eines sei aber klar: Selbst wenn die Briten der EU erhalten bleiben, „können wir nicht so weiter machen wie bisher“.

Denn nicht nur in Großbritannien sei die Skepsis groß. Auch in anderen Ländern würden die Zweifel am europäischen Gedanken wachsen – sowohl am rechten wie auch am linken Rand. Man habe häufig den Kontakt zum Bürger verloren. „Vielleicht“, so Schäuble, „ist Europa auch zu selbstverständlich geworden als dass man es noch schätzen kann“. Seine Erfahrung sei, dass sich Europa gerade in Krisen weiter entwickele. „Die Krise ist so groß, da ist mir um Europa nicht bange“, schloss Schäuble.

Dann spricht Deutsche Bank-Chef Cryan und stimmt den Wirtschaftstag schon auf turbulente Zeiten ein. „Die Tage rund um das Referendum werden für die Kapitalmärkte ein Härtetest“, sagte Cryan. „Ich kann Ihnen jedoch versichern, dass wir uns bei der Deutschen Bank gut darauf vorbereitet haben“, sagte der gebürtige Brite. Und er habe großes Vertrauen, dass auch die Notenbanken die Stabilität der Märkte genau im Blick haben. Er persönlich hoffe, „dass unsere Sorgen unbegründet sind“, sagte er mit Blick auf den drohenden Brexit.


Das andere wichtige Thema

Doch es gibt noch ein wichtige Thema: der Bundestagswahlkampf. Deshalb geht es bei dem Treffen der Unternehmer, Politiker und Medienvertretern längst auch um einen Stimmungstest in der CDU-nahen Unternehmerschaft. Am Abend wird Kanzlerin Angela Merkel auftreten und als CDU-Chefin ein Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft halten. Das ist aus Sicht der Unternehmerschaft wichtiger denn je. Nach zweieinhalb Jahren Große Koalition und etlichen sozialpolitischen Beschlüssen von der Rente mit 63 bis zur Mütterrente und der wenig glücklichen Bewältigung der Flüchtlingskrise herrscht Frustration: Einmal im Jahr befragt der Wirtschaftsrat seine Mitglieder. Von den 2.500 Teilnehmern finden nur noch 58 Prozent das wirtschaftspolitische Profil der Union gut oder sehr gut, 2013 unter der Koalition mit der FDP waren es gut 70 Prozent.

Die Sehnsucht nach dem schwarz-gelben Bündnis scheint groß. So halten drei von vier Befragten das Profil der Liberalen für gut oder sehr gut, bei den Grünen hingegen sind es gerade einmal 15 Prozent. Die AfD hat bei den Unternehmern im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich verloren. Vier von Fünf Befragten vermissen vielmehr ein marktwirtschaftliches Korrektiv im Bundestag, noch einmal etwas mehr als 2015. Allein der Umstand, dass die Union ohne neue Schulden im Haushalt auskommen will und die Steuern nicht erhöhen will, begrüßen die Mitglieder. Hingegen gibt es viel Kritik in der Sozialpolitik, der Energie- und der Digitalpolitik. So fordert der Rat ein eigenes Digitalministerium, um den Breitbandausbau weitaus schneller als bisher voranzubringen.

In der nicht-öffentlichen Mitgliederversammlung des Wirtschaftsrates gab es bereits reichlich Kritik an der Politik der Regierung Merkel. „Wissen Sie, wofür SPD steht?“, fragte der Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger, in die Runde. „Sigmar plündert Deutschland.“
Der Applaus in der Runde war ihm gewiss, ist die Unzufriedenheit doch groß. „Es muss sich ändern“, sagte etwa der Chef des Logistikers Fiege, Hugo Fiege, dem Handelsblatt. „Wir haben nicht das Gefühl, dass das wirtschaftspolitische Profil der CDU gewachsen wäre in der großen Koalition.“ Es bedürfe „in wichtigen Politikbereichen einer grundsätzlichen Änderungen“.

Kritik kam auch von pfälzischen Getränkeunternehmer Peter Eckes. Das Unternehmerlager wolle eine prosperierende Wirtschaft, sagte er dem Handelsblatt. „So wie es einst Ludwig Erhardt formuliert hat ist es notwendig, dass die Wirtschaft funktioniert; dann geht es allen wieder gut.“ Die CDU müsse „den Kurs wieder finden und das Lager der Wirtschaft, des Mittelstandes stärken“.
Der Ehrenvorsitzende des Wirtschaftsrates, Kurt Lauk, nannte das wirtschaftspolitische Profil der Union „eindeutig verbesserungsfähig“. Die Industrie, die die Wettbewerbsstärke Deutschlands ausmache, finde in der Politik kaum Berücksichtigung. Er kritisierte, wie die Regierung mit der Digitalisierung umgehe. „Die Politik ist angesichts der Dynamik in der digitalen Welt viel zu langsam“, kritisierte Lauk, der in den USA in Aufsichtsräten mehrerer Digitalunternehmen sitzt. Datenschutz sei wichtig, aber es bestehe die Gefahr, dass die Verbraucher „zu Tode geschützt werden“.

Und so wird Merkel nach dem EM-Fußballspiel Deutschland gegen Nordirland noch einmal vor die Unternehmerschaft treten und erklären, dass CDU und CSU für die Wirtschaftspolitik stehen und es ja gerade wieder SPD-Chef Sigmar Gabriel ist, der – Wirtschaftsminister hin oder her – die Nähe zur Linken und den Grünen sucht, um eine Mehrheit jenseits des bürgerlichen Lagers zu schmieden. Für die soziale Marktwirtschaft stehen am Ende zwar alle, es geht indes um die richtige Reihenfolge.

Die lautet aus Sicht der Wirtschaft: Erst erwirtschaften, dann verteilen. Das habe Schwarz-Rot nicht eingehalten. Die Angst vor Rot-Rot-Grün dürfte indes die Bürgerlichen im Zweifel mit Merkel versöhnen, auch, wenn sie eine klare bürgerliche, marktwirtschaftliche Regierung vermissen.

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