Wohlstandsindex 58 Prozent haben Angst vor der Zukunft

Der Wohlstand der Deutschen steigt seit fünf Jahren. Doch das Vertrauen in die Zukunft sinkt, wie der Nationale Wohlstandsindex zeigt. Die Ängste sind also nicht ökonomischer Natur. Wovor sich die Deutschen fürchten.

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Das Vertrauen der Deutschen in die Zukunft sinkt, trotz stabilem Wohlstand. Quelle: Fotolia

In Deutschland gibt es mehr Gewinner und weniger Verlierer. Das ist das Ergebnis des heute veröffentlichten Nationalen WohlstandsIndex für Deutschland (NAWI-D), den das Markt- und Sozialforschungsinstitut Ipsos in Zusammenarbeit mit Zukunftsforscher Opaschowski seit fünf Jahren kontinuierlich erhebt. Der Anteil der Deutschen, die sich selbst als besonders wohlhabend einschätzen, ist demnach seit 2012 um sieben Prozentpunkte auf 49,1 Prozent gestiegen. Zeitgleich ist der Anteil derjenigen, die sich als nicht wohlhabend sehen, von 20,8 auf aktuell 16,0 Prozent gesunken. Soziale Ungleichheiten gibt es weiterhin, das Lager der sozial Ausgegrenzten wird aber kleiner.

Zwischen 2012 und 2017 wurden mittlerweile 40.000 Personen ab 14 Jahren in Deutschland repräsentativ danach befragt, was sie persönlich mit Wohlstand verbinden und wie sie derzeit ihre eigene Lebenslage einschätzen. Im Gegensatz zu aggregierten Größen wie dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) erfolgt die Berechnung des Wohlstands im NAWI-D aus der Perspektive der Bürger.

WohlstandsIndex 2017: Das Wohlstandsverständnis der Deutschen

Damit man sagen kann, dass ein Mensch in Wohlstand lebt, muss eine Reihe an ökonomischen, individuellen, gesellschaftlichen und ökologischen Voraussetzungen erfüllt sein. Dieses umfassende Wohlstandsverständnis der Bevölkerung sprengt den herkömmlichen Wohlstandsbegriff, der sich bisher fast nur in materiell-monetären Bestimmungen erschöpfte.

58 Prozent haben Angst vor der Zukunft

Doch trotz des gestiegenen Wohlstands haben die Deutschen Zukunftsängste. „Der Anteil derjenigen, die sich glücklich fühlen, steigt seit 2012 konstant“, heißt es bei IPSOS. „Dennoch können heute nur 42 Prozent mit Bestimmtheit sagen, dass sie keine Angst vor der Zukunft haben.“  Zukunftsangst scheint mehr als andere Indikatoren durch äußere Einwirkungen beeinflussbar zu sein: Die Zustimmung zur Aussage „habe keine Angst vor der Zukunft“ sinkt beispielsweise im Dezember 2015, nach den Anschlägen von Paris und auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, rapide ab, erholt sich aber schnell. Ebenso wie Mitte 2013 auf einem Höhepunkt der Eurokrise.

Es seien, so die Autoren, nicht so sehr ökonomischen Gründe, die wieder Zukunftsängste aufkommen lassen. Vermutlich fürchten viele Bürger, dass Faktoren wie Freiheit oder friedliches Zusammenleben nicht als selbstverständlich gesichert für ihre Zukunft gelten.

„Der Wohlstand steigt, das Gefühl der Bevölkerung, weiterhin gut leben zu können, aber nicht im gleichen Maß“, sagt Opaschowski. „Die Bürger sind mit ihrem erreichten Wohlstandsniveau durchaus zufrieden, sind sich aber ihrer Zukunft nicht mehr sicher. In unsicheren Zeiten wünscht sich die Bevölkerung von Politik und Gesellschaft einen schützenden Sicherheitsrahmen - vom sicheren Arbeitsplatz über den sozialen Frieden im Land bis zur verlässlichen Gesundheits- und Altersvorsorge.“

Wunsch nach Eigentum und Reisen wächst

Gegenüber 2012 definieren die Deutschen heute den Wohlstand zwar nicht neu, aber doch pointierter. Neben finanzieller Sorgenfreiheit (78 Prozent), sicherem Einkommen (70 Prozent) und gesichertem Arbeitsplatz (65 Prozent) ist ihnen der Besitz von Eigentum (71 Prozent) ebenfalls wichtig und als weiterer Sicherheitsaspekt in den letzten fünf Jahren um ganze 14 Prozentpunkte gestiegen. Vielleicht, so die Studienautoren, sei es ein Indiz für schon weitgehend erfüllte Grundbedürfnisse, wenn Wohlstandsaspekte wie sich so gut wie alle „materiellen Wünsche“ (67 Prozent) und „alle Reisewünsche erfüllen zu können“ (56 Prozent) in den letzten fünf Jahren im zweistelligen Prozentbereich gewachsen sind. Auch eine gute medizinische Versorgung spielt 2017 in der Wohlstandsdefinition mit plus acht Prozentpunkten eine größere Rolle als noch 2012.

Immaterieller Wohlstand steht in der Priorität etwas zurück: Seine „Meinung frei äußern können“ von etwas mehr als jedem Dritten (36 Prozent) als gesellschaftlicher Wohlstand bewertet: gewissermaßen als Voraussetzung fürs Wohlbefinden und dafür, das Beste aus dem Leben machen zu können.


Wohlstandsdefizite Zukunftsvorsorge

Auch wenn der Wohlstand ein hohes Niveau erreicht hat, zeigen sich zwischen dem Wohlstandsverständnis und der Wohlstandswirklichkeit noch erhebliche Defizite. Für mehr als drei Viertel der Deutschen bedeutet Wohlstand ein Leben ohne finanzielle Sorgen (77%), doch für weniger als die Hälfte (42%) ist dies auch Realität. Einen erheblichen Nachholbedarf meldet die Bevölkerung auch bei der finanziellen Zukunftsvorsorge (-20 Prozentpunkte), dem sicheren Einkommen (-16) und dem gesicherten Arbeitsplatz/ der gesicherten Rente (-11) an. Defizitär empfinden die Menschen ebenso die medizinische Versorgung. Gerade mal die Hälfte der Deutschen gibt an, sich eine voll zufriedenstellende medizinische Versorgung leisten zu können.

Junge Deutsche mit Wohlstanddefiziten

In der Werbung gern als auf der Sonnenseite des Lebens stehend dargestellt, haben junge Deutsche bezüglich ihres Wohlstands das Nachsehen. Zwar ist ihre Definition von Wohlstand, ebenso wie die des Bevölkerungsdurchschnitts, bei den 14-bis 24-Jährigen von Sicherheitsaspekten geprägt. Gerade in diesen Bereichen empfinden die Jungen jedoch deutliche Defizite, die überwiegend ihrem Alter geschuldet sind. So haben sie mehrheitlich keinen sicheren Arbeitsplatz und damit auch kein gesichertes Einkommen und besitzen weniger Eigentum als der Durchschnitt der Deutschen. Nur 33 Prozent dieser Gruppe behaupten von sich, keine finanziellen Sorgen zu haben, entsprechend können sie auch eher nicht im voll zufriedenstellendem Ausmaß für ihre Zukunft vorsorgen und sich auch nicht alle materiellen Wünsche erfüllen.

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Auch hat diese Gruppe weniger Zeit für sich und lebt weniger mit der Natur. Die einzigen drei Bereiche, in denen sie punkten können, reichen nicht, um die Gesamtbilanz zu schönen: sie kommen mehr mit Menschen aus anderen Kulturen zusammen, haben eine Beschäftigung, die Sinn macht, und fühlen sich gesünder als der Durchschnitt der Deutschen.

Kaum eine Spur von Altersarmut

Altersarmut scheint dagegen, anders als in vielen Berichten, kein zu verallgemeinerndes Thema der Gegenwart zu sein. Der NAWI-D macht deutlich, dass es den Älteren nach deren subjektivem Empfinden generell gut geht. Nur 15 Prozent der älteren Bevölkerung ab 65 Jahren stufen sich auf der unteren Wohlstandsskala ein, mehr als dreimal so viele (51 Prozent) dagegen ganz oben.

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