Wohlstandsstudie Die Reichen werden reicher und reicher

Die Ungerechtigkeit setzt sich fort: Seit den 1980er Jahren geht der größte Teil des Wohlstandsgewinns an die reichsten Menschen der Welt. Die ärmere Bevölkerung profitiert kaum, zeigt eine Studie von Thomas Piketty.

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Der Inbegriff des Luxuslebens: Ein Rolls-Royce vor dem Hotel Badrutts Palace im Wintersport- und Ferienort St. Moritz. Ein Leben, das für immer größere Teile der Bevölkerung nicht erreichbar sein wird. Quelle: dpa

Berlin Die Reichen werden immer reicher, die Armen bleiben arm. Mit dieser These seines Buches „Kapital im 21. Jahrhundert“ wurde der französische Ökonom Thomas Piketty vor drei Jahren weltberühmt und für seine Zuspitzung „Kapitalrendite schlägt Arbeitslohn“ von anderen Ökonomen heftig kritisiert. Jetzt legt er mit einer internationalen Forschergruppe nach: An diesem Donnerstag präsentieren er und sein Kollege Gabriel Zucman in Paris den „Welt-Ungleichheitsreport 2018“.

Mit dem Ergebnis: Die Ungleichheit zwischen reich und arm hat weltweit seit den 1980er Jahren zugenommen. Überall sichert sich das reichste eine Prozent einen großen Teil des Nationaleinkommens; während der Anteil der ärmeren Bevölkerungshälfte sinkt.

Trotzdem ist Ungleichheit kein Schicksal, betonen die Ökonomen: „Es kommt auf die Politik und auf die Institutionen an.“ Denn die Staaten unterscheiden sich sehr stark darin, wie gut es den Reichsten gelingt, sich einen hohen Anteil am jeweiligen Nationaleinkommen zu sichern: Die reichsten zehn Prozent verfügten 2016 in Europa über 37 Prozent, in China über 41 Prozent, in USA und Kanada über 47 Prozent, in Indien über 55 Prozent, und im Mittleren Osten gar über 61 Prozent des nationalen Einkommens.

Der Ungleichheitsbericht wälzt Big Data: 19 Ökonomen und mehr als 100 Zuarbeitern trugen volkswirtschaftliche Daten über das Bruttoinlandsprodukt, Haushaltseinkommen, Einkommensteuern, Reichtums-Rankings und Sozialstudien seit Beginn des 20. Jahrhunderts zusammen. Sie versuchten, aus der schieren Masse Muster herauszulesen und der Frage nachzugehen, was Ungleichheit verstärkt und was Gleichheit fördert. „Es kommt uns nicht darauf an, dass alle die gleiche Meinung zum Thema Ungleichheit teilen“, schreiben die Ökonomen. Wobei sie nicht verschweigen, dass sie selbst eine starke Zunahme von Ungleichheit klar negativ werten: Diese könne „Auslöser für politische, wirtschaftliche und soziale Katastrophen“ sein. Das Ziel des Reports ist jedenfalls ambitioniert: Die Ökonomen wollen die Faktenbasis liefern, auf der sich dann jeder seine Meinung bilden soll.

In den vielen Kurven und Balken finden sich durchaus auch ungewöhnliche Ergebnisse. Etwa für Deutschland: Die reichsten zehn Prozent verfügten 2013 über 40 Prozent des Einkommens – und das war auch schon 1913 so. Beim obersten einen Prozent sank der Anteil am Volkseinkommen sogar, von 18 auf 13 Prozent.

Dafür ist der Klub der Reichen sehr stabil: Vor allem die Familien, die den industriellen Mittelstand seit Ende des 19. Jahrhunderts bildeten, gehören konstant zur Oberschicht. Erst seit den 1980er Jahren schafften es höhere Angestellte und Manager, in diesen Club vorzustoßen. Die Sozialpolitik in Deutschland sorgte aber  seit der Weimarer Republik dafür, dass die höchsten Einkommen anders als in den USA nicht völlig abhoben. Erst seit 1995 stieg der Anteil des reichsten Prozents deutlich.

Eines zeigt die Studie überdeutlich: Europa und die USA unterscheiden sich erheblich bei der Verteilung des Wohlstands. In den USA sank der Anteil der ärmeren Bevölkerungshälfte am Nationaleinkommen von 22 Prozent im Jahr 1980 auf nur noch 13 Prozent 2015. Gleichzeitig stieg der Anteil des einen Top-Prozents der Einkommensbezieher von 11 auf 22 Prozent. In Westeuropa schaffte es der Anteil des reichsten Prozents dagegen nur von zehn auf zwölf Prozent. Der Anteil der ärmeren Bevölkerungshälfte sank relativ moderat von 24 auf 22 Prozent.

Bei der Entwicklung der Vermögen schreiben die Ökonomen, dass vor allem dort, wo der Wert öffentlicher Güter abnahm, etwa in den USA, der private Reichtum besonders zulegte. Das stützt ihren Befund, dass die Ungleichheit dort weniger zunimmt, wo öffentliche Schulen den Kindern ärmerer Familien den Aufstieg durch Bildung ermöglichen. Und für Regierungen, die eine Zunahme der Ungleichheit nicht tatenlos hinnehmen wollen, empfehlen sie ein stark progressives Steuersystem. Seit Ende der 1970er-Jahre bis zur Finanzkrise hätten Steuerreformen vor allem die Spitzensteuersätze abgebaut. In jenen Industriestaaten, in denen das stark geschah, sei die Ungleichheit am stärksten gestiegen. Neben Bildung empfehlen Piketty und Kollegen zudem, dass auch die Zugänge zu den gut bezahlten Jobs für Absolventen aus ärmeren Familien verbessert werden müssten: Das berühmte Vitamin B verhindere, dass allein die Leistung für den Aufstieg zähle.

Dass es den Autoren nicht wirklich allein um die Aufbereitung von Fakten geht, zeigt auch ihr Plädoyer für eine Politik gegen wachsende Ungleichheit: Wenn alles so weiter laufe, dann werde bis 2050 die globale Mittelschicht von ihrem  Anteil von 30 Prozent am Wohlstand weitere zehn Prozent an die Reichsten verlieren: Regierungen sollten dem Modell des europäischen Sozialstaats folgen, empfehlen Piketty und Co. 

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