Viele Flüchtlinge dürfen in Bayern und Baden-Württemberg ihren Wohnort auch nach Anerkennung des Asylantrags nicht frei wählen. Mindestens zwei weitere Bundesländer - Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt - wollen diese Vorgabe des Bundes im Integrationsgesetz demnächst umsetzen. Andere haben noch keine Entscheidung getroffen, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Klar gegen die sogenannte Wohnsitzauflage hat sich bislang nur Rheinland-Pfalz gestellt.
Die Befürworter der Regelung wollen verhindern, dass in bestimmten Großstädten soziale Brennpunkte entstehen, in denen besonders viele Syrer, Afghanen oder Menschen anderer Herkunft leben. Die Wohnsitzauflage sei ein Mittel gegen die Bildung von Parallelgesellschaften, sagt die bayerische Sozialministerin Emilia Müller (CSU). Die anerkannten Flüchtlinge sollen in der Regel der Kommune zugewiesen werden, in der sie bereits während des Asylverfahrens untergebracht waren. Dies bedeutet für viele, dass sie maximal drei Jahre lang weiter in einer ländlichen Region bleiben müssen - sofern sie keine Ausbildung oder Arbeit an anderem Ort finden.
Die konkrete Zuständigkeit liegt meist bei den Ausländerbehörden; mit dem Integrationsgesetz wird ein neuer Paragraf 12a ins Aufenthaltsgesetz eingefügt. Wer sich nicht am zugewiesenen Wohnort aufhält, hat keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen. Die bundesweit gültige Gesetzgebung bedeutet, dass Ausländer in dem Bundesland leben müssen, in dem sie ihr Asylverfahren durchlaufen haben.
Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU
Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen Praktika mit Abweichungen vom Mindestlohn auf mindestens sechs Monate verlängert werden, um einen Berufseinstieg zu erleichtern. Schon heute sind Abstriche von den 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde bei betrieblichen Einstiegsqualifizierungen von bis zu zwölf Monaten möglich. Die CDU-Spitze verzichtete nach Protest der SPD und des Arbeitnehmerflügels der Union darauf, anerkannte Flüchtlinge mit Langzeitarbeitslosen gleichzustellen. Auch dann wäre eine Abweichung vom Mindestlohn von bis zu sechs Monaten möglich gewesen.
Quelle: CDU-Bundesvorstand / Reuters, Stand: 15.02.2016
Eine Anstellung in der Leiharbeitsbranche soll nach drei statt derzeit erst 15 Monaten möglich sein. Bei gemeinnützigen Organisationen soll stärker dafür geworben werden, Flüchtlinge in den von den Jobcentern geförderten Ein-Euro-Jobs zu beschäftigen.
Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sollen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nur erhalten, wenn sie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen, keine Straftaten begangen haben und ihren Lebensunterhalt sichern können. Auch der Familiennachzug soll von der erfolgreichen Teilnahme an Integrationskursen abhängig gemacht werden.
Die Hürde für eine frühe Teilnahme an Integrationskursen oder Förderprogrammen der Arbeitsagenturen noch vor Abschluss des Asylverfahrens soll höhergelegt werden. Laut dem im Oktober beschlossenen Asylpaket I reicht dafür bisher eine "gute Bleibeperspektive" aus. Diese wird bei Asylsuchenden aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von über 50 Prozent angenommen. Laut CDU-Papier soll "künftig eine 'sehr gute Bleibeperspektive' entscheidend sein, weil wir insbesondere Syrern und Irakern helfen wollen".
Die CDU strebt Gesetze von Bund und Ländern an, in denen verbindliche Integrationsvereinbarungen festgelegt werden sollen. In den Aufnahmeeinrichtungen sollen ein Basissprachkurs und ein Kurs zu Grundregeln des Zusammenlebens Pflicht sein und mit einem Abschlusstest versehen werden.
Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten soll ihr Wohnsitz zugewiesen werden, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern können. Ausnahmen sollen möglich sein, wenn die Betroffenen am Wohnort ihrer Wahl einen Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung nachweisen können.
Die CDU will prüfen lassen, ob die Schulpflicht für Flüchtlinge ohne Schulabschluss über das bisher geltende Alter von 18 Jahren hinausgehen soll. Im Entwurf stand noch eine angestrebte Altersgrenze von 25 Jahren.
Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen soll die Regelung voraussichtlicht zum 1. Dezember eingeführt werden. Integrationsminister Rainer Schmeltzer (SPD) sieht darin die Möglichkeit für eine gerechte Verteilung unter den Kommunen und auch integrationspolitische Vorteile. Mehrere große Städte etwa im Ruhrgebiet beklagen einen starken Zuzug von Flüchtlingen aus anderen Bundesländern. Das könne zur Überforderung einzelner Städte führen, warnt der Städtetag NRW.
Auch Sachsen-Anhalt will die Wohnsitzauflage in den nächsten Monaten einführen. Vorher gibt es noch Gespräche mit den kommunalen Spitzenverbänden sowie innerhalb der Koalition von CDU, SPD und Grünen. In allen anderen Ländern gibt es noch keine Entscheidung. Meistens beraten sich die zuständigen Ministerien mit den Kommunen. „Ziel ist es, eine einvernehmliche wie auch rechtssichere und unter den Aspekten der Integration sinnvoll gestaltete Regelung zu finden“, heißt es etwa im schleswig-holsteinischen Innenministerium.
Mitunter sind sich auch Koalitionspartner nicht einig. So wird die Wohnsitzauflage in Thüringen von Grünen und Linken abgelehnt, die SPD ist dafür - und ihr Landesvorsitzender Andreas Bausewein ist zugleich Oberbürgermeister von Erfurt. In Mecklenburg-Vorpommern muss nach der Wahl erst noch eine neue Regierung gebildet werden.
Hingegen hat sich Rheinland-Pfalz gegen eine Wohnsitzauflage innerhalb des Bundeslands entschieden, dort können Ausländer mit anerkanntem Asylstatus ihren Aufenthalt frei wählen. „Wir beobachten bislang keine entsprechenden Wanderungsbewegungen anerkannter Flüchtlinge in unserem Bundesland“, sagt Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne). Daher gebe es bislang keine Notwendigkeit für Einschränkungen. Die Landesregierung von SPD, FDP und Grünen behalte die Entwicklung aber im Blick und befinde sich hierzu im Dialog mit den Kommunen.
Die Hilfsorganisation Pro Asyl hält die Wohnsitzauflage für eine Hürde der Integration von Flüchtlingen: „Wir gehen davon aus, dass dadurch am Ende mehr Menschen in die staatliche Versorgung rutschen.“
Dagegen hat der Städte- und Gemeindebund die Bundesländer aufgefordert, einheitlich den Wohnsitz vorzugeben. Dazu seien sie per Bundesgesetz ermächtigt, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Gerd Landsberg, dem Radiosender MDR Aktuell in Halle. Die Wohnsitzauflage sei ein „wichtiger Baustein, um zu einer gleichmäßigen Verteilung von Flüchtlingen zu kommen“.