Am 1. Januar 2015 ist es zehn Jahre her, dass die Regierung Schröder die Arbeitsmarkt- und Sozialreform, Hartz IV, einführte. Laut Daten des Bundesarbeitsministeriums und des Deutschen Landkreistags, auf die sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) beruft, haben die Reformen den Bund bis dato mehr als 400 Milliarden Euro gekostet.
Der damalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, wollte mit den Hartz-Reformen den Sozialstaat entlasten und die Arbeitslosen zu mehr Eigenverantwortung bewegen. „Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“, tönte Schröder 2001 in der "Bild"-Zeitung.
Die Hartz-Reformen
Die von dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder eingesetzte Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung von Peter Hartz legte im August 2002 das Hartz-Konzept vor.
Die Gesetze zur Reform des Arbeitsmarktes wurden vier Maßnahmen eingeteilt: Hartz I bis IV.
Das Erste Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt trat am 1. Januar 2003 in Kraft.
Ziel waren die Erleichterungen von neuen Formen der Arbeit und die Förderung der beruflichen Weiterbildung durch die Arbeitsagenturen. Hierfür wurden unter anderem Bildungsgutscheine verteilt. Zudem wurde ein Unterhaltsgeld, gezahlt durch die Arbeitsagentur eingeführt und die Einstellung von Zeitarbeitern erleichtert.
Auch die Zumutbarkeitsregelung wurde aufgeweicht. So mussten Arbeitslose ohne familiäre Bindung fortan ab dem vierten Monat der Arbeitslosigkeit bundesweit für Jobs zur Verfügung stehen.
Der Druck auf die Arbeitslosen wurde weiter erhöht, etwa durch eine Kürzung der Arbeitslosenhilfe und einer Meldepflicht für Arbeitslose. Demnach müssen sich Arbeitnehmer bereits mit Erhalt der Kündigung arbeitssuchend melden. Wer dagegen verstößt, muss mit einer Absenkung des Arbeitslosengelds rechnen.
Das Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt trat ebenfalls am 1. Januar 2003 in Kraft.
Hierbei ging es hauptsächlich um die Regelung der geringfügigen Beschäftigung – der sogenannten Mini- und Midijobs. Weitere Aspekte, die mit Hartz II entstanden, waren die Ich-AGs und die Einrichtung von Jobcentern.
Mit der Hartz-II-Reform wurde die Geringfügigkeitsschwelle für Mini-Jobs von 325 Euro auf 400 Euro im Monat erhöht (aktuell liegt sie bei 450 Euro). Innerhalb dieser Grenze fallen für den Arbeitnehmer keine Steuern an, er zahlt auch keine Sozialversicherungsbeiträge. Bei den Midijobs (Einkommen von 400 Euro bis 800 Euro) gibt es ansteigende Arbeitnehmerbeträge zur Sozialversicherung; Arbeitgeber zahlen den vollen Beitragssatz.
Im wesentlichen Teilen war das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ab Januar 2004 gültig.
Mit Hartz III wurde das Arbeitsamt zur „Agentur für Arbeit“ umstrukturiert. Ein Kernpunkt dabei war die Einführung von Zielvereinbarung, die die einzelnen Agenturen erfüllen mussten. Wie diese Ziele erreicht wurden, blieb weitestgehend den einzelnen Agenturen überlassen.
Die Verwaltung auf Landesebene wurde abgeschafft. Stattdessen wurden sogenannte Job-Center geschaffen, die als zentrale Anlaufstelle für Arbeitslose dienen sollten. Zuvor mussten sie sich beim Sozialamt und beim Arbeitsamt melden.
Mit den Jobcentern wurden auch die Fallmanager eingeführt, die sich um die Langzeitarbeitslose kümmern sollen.
Die tiefgreifendste der vier Reformen, das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt – Hartz IV – trat wesentlich im Januar 2005 in Kraft.
Mit Hartz IV wurde die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zu Arbeitslosengeld II zusammengeführt. Die Arbeitslosenhilfe wurde komplett abgeschafft; die Sozialhilfe beziehen nur noch nicht erwerbsfähige Arbeitslose. Für die Verwaltung des Arbeitslosengelds II ist die Agentur für Arbeit zuständig.
Das bisherige Arbeitslosengeld – also die Leistung, die Arbeitslose durch ihre vormaligen Einzahlungen in die gesetzliche Arbeitslosenversicherung erwarben – hieß ab 2005 Arbeitslosengeld I. Wer arbeitslos ist und zuvor mindestens zwölf Monate in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, erhält 60 Prozent seiner vorherigen Lohns (mit Kind: 67 Prozent). Es kann in der Regel nur für ein Jahr bezogen werden. Nach Ablauf des Arbeitslosengelds I, wird das vom bisherigen Lohn unabhängige Arbeitslosengeld II gezahlt. Ab dem Januar 2015 beträgt der Regelbedarf für einen Alleinstehenden 399 Euro – kann je nach Vermögen aber deutlich geringer ausfallen.
Mit über fünf Millionen Arbeitslosen sei die Bundesrepublik von Weimarer Verhältnissen nicht weit entfernt, las man damals immer wieder in der Presse. In der Weimarer Republik waren es sechs Millionen Arbeitslose. Die Nationalsozialisten nutzten die allgemeine Unzufriedenheit aus für ihren Aufstieg.
2005 steckte die Bundesrepublik wieder in einer großen Depression. Das Ziel der Reformen war es, Deutschland vom Image des „kranken Mannes Europas“ zu befreien und eine Aufbruchstimmung zu schaffen. Doch schon mit der Einführung des Arbeitslosengelds II ergaben sich die ersten Probleme.
Die für die Ausarbeitung der Hartz-Reformen verantwortliche „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung von Peter Hartz ging damals von 2,6 Millionen Bedarfsgemeinschaften an, die einen Anspruch anmelden würden.
Bundesweit forderten schließlich 3,9 Millionen Bedarfsgemeinschaften Unterstützung. Die Folge: Von Entlastung des Sozialstaats konnte keine Rede sein. Die Bundesregierung hatte die für das Arbeitslosengeld II vorgesehenen Mittel für das Jahr 2005 schon im Juli ausgegeben.
Der damalige Wirtschaftsminister, Wolfgang Clement, witterte massenhaften „Sozialbetrug“ als Ursache für die Kostenexplosion. Jeder Fünfte ALG-II-Empfänger kassiere zu Unrecht Hartz IV, sagte er.
Stephan Articus, damals wie heute Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, hielt Betrug nicht für das Kernproblem. „Für die Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II gibt es eine Reihe von Gründen“, sagte er der "Zeit" – Missbrauch zählte er nicht dazu. „Der Gesetzgeber hat zu großzügige Möglichkeiten geschaffen, Haushalte aufzusplitten.“
So konnten beispielsweise junge Arbeitslose den elterlichen Haushalt verlassen, so eine eigene Bedarfsgemeinschaft gründen und hatten damit Anspruch auf das volle Arbeitslosengeld und die Wohnungskosten.
Die Kostenexplosion bei Hartz IV
Ende 2005 summierten sich die Bundesausgaben für die Hartz-Reformen auf 35 Milliarden Euro. Hinzu kamen die Ausgaben der Kommunen, die unter anderem die Wohn- und Heizausgaben der Bedürftigen tragen; sie beliefen sich auf zehn Milliarden Euro.
Auch in den Folgejahren überstiegen die realen Kosten immer wieder die Beträge, mit denen das Finanzministerium gerechnet hatte.
2004 noch hatte der damalige SPD-Finanzminister Hans Eichel 18,7 Milliarden Euro aus Steuermitteln für die bisherige Arbeitslosenhilfe ausgegeben – die Sozialhilfe schlug noch einmal mit rund zehn Milliarden Euro zu Buche.
Nach einem Jahr Hartz IV stand fest: Der Bund gibt mehr Geld aus und bei den Hartz-IV-Beziehern kommt weniger an als zu Zeiten von Sozial- und Arbeitslosenhilfe.
Laut Angaben der "FAZ" hat der Bund von 2005 bis 2013 rund 313 Milliarden Euro ausgegeben; die Kommunen löhnten 92 Milliarden Euro. Ein Großteil der Ausgaben belief sich auf das Arbeitslosengeld II, zu dem die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengeführt wurden. Mit rund 200 Milliarden Euro sollen die Ausgaben den Bundeshaushalt bis dato belasten.
Doch Hartz IV hat nicht nur Geld gekostet. Peter Hartz, der Vorsitzende der Hartz-Kommission, sagte der "FAZ": Die Reform habe „dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist und wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben.“
Die Kritiker der Rot-Grünen Arbeitsmarktreformen sehen solche positiven Änderungen nicht. So räumte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge im Interview mit WiWo Online zwar ein, dass die Zahl der Arbeitslosen gesunken sei – das sei aber nur statistische Makulatur. Warum, erklärte er anhand der Erwerbsaufstocker:
Angestellte, deren Gehalt unter dem Hartz-IV-Niveau liegt, können es aufstocken lassen. Aktuell gibt es 1,3 Millionen solcher Aufstocker. „Dafür gab die Bundesregierung seit 2005 allein 75 Milliarden aus“, sagte Butterwegge. „Das sind Subventionen vom Staat, die Unternehmen belohnen, die Lohndumping betreiben.“
So hätten es beispielsweise Billiganbieter von Postdienstleistungen mit Hilfe des Bundes geschafft, die Deutsche Post zu zwingen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen – um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Zu welchem Zweck?“, fragte Butterwegge. „Die offizielle Statistik wurde geschönt – wir haben weniger Arbeitslose.“
Das große Problem: „Das Arbeitsvolumen hat seit der Jahrtausendwende gar nicht zugenommen. Es ist nur anders verteilt worden. Heute gibt es mehr prekäre Beschäftigung, mehr Leiharbeit und mehr nicht immer gewollte Teilzeit.“
Wirkung von Hartz IV umstritten
Allerdings ist der Blick auf das Arbeitsvolumen umstritten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schreibt, dass das Arbeitsvolumen 2014 auf dem höchsten Stand seit 22 Jahren sei. Arbeitnehmernahe Institute behaupten, es stagniere.
Was sicher ist: Die Arbeitslosenzahl ist seit der Einführung von Hartz IV in Deutschland zurückgegangen – während sie etwa in Frankreich und den USA anstieg. In Deutschland waren 2005 noch 11,7 Menschen arbeitslos – mittlerweile sind es unter sieben Prozent. In Frankreich stieg die Zahl im selben Zeitraum von 9,3 Prozent auf über elf Prozent.
Welche Wirkung Hartz IV auf diese Entwicklung hatte, ist bis heute umstritten. Befürworter von Hartz IV betonen die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch die Reformen; Kritiker monieren, dass vor allem der jahrelange Verzicht auf Lohnerhöhungen vieler deutscher Arbeitnehmer die Ursache sei und Hartz IV lediglich zu einer stärkeren Prekarisierung des Arbeitsmarkts führe.
Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, betont die Erfolge der Reform: Die Arbeitslosenzahl ist merklich gesunken und auch die Langzeitarbeitslosen sind weniger geworden. 2005 waren es noch eine Million, mittlerweile sind es nur noch 700.000.
Während ganz Europa unter den Nachwirkungen der Wirtschaftskrise leidet, ist Deutschland stabil wie nie. Die Arbeitslosigkeit hierzulande ist mittlerweile auf dem Niveau der Achtzigerjahre.
Im Interview mit der "Welt" räumte Weise aber auch ein: „Wir haben mehr als 200.000 Menschen, die sich seit 2005 ununterbrochen in Hartz IV befinden und nie gearbeitet haben. Das ist die Schattenseite der Hartz-IV-Reform.“
Ein Positives gibt es aber: Die Kosten werden aller Voraussicht nach nicht weiter steigen. Weise sagte der Zeitung: „Wir werden 2014 mehr Überschuss machen, als wir bei unseren Planungen erwartet hatten“. Das liegt auch daran, dass die Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen ist.