Zehn Jahre Hartz IV Hartz IV hat den Bund über 400 Milliarden Euro gekostet

Zehn Jahre ist es her, seitdem Hartz IV in Kraft trat. Seitdem hat sich Deutschland vom Armenhaus Europas zur Wirtschaftsmacht entwickelt. Doch die Reform hat auch ihre Schattenseiten.

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Spielzeugfiguren bauen den Schriftzug Hartz IV. Quelle: dpa

Am 1. Januar 2015 ist es zehn Jahre her, dass die Regierung Schröder die Arbeitsmarkt- und Sozialreform, Hartz IV, einführte. Laut Daten des Bundesarbeitsministeriums und des Deutschen Landkreistags, auf die sich die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ) beruft, haben die Reformen den Bund bis dato mehr als 400 Milliarden Euro gekostet.

Der damalige Bundeskanzler, Gerhard Schröder, wollte mit den Hartz-Reformen den Sozialstaat entlasten und die Arbeitslosen zu mehr Eigenverantwortung bewegen. „Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft“, tönte Schröder 2001 in der "Bild"-Zeitung.

Die Hartz-Reformen

Mit über fünf Millionen Arbeitslosen sei die Bundesrepublik von Weimarer Verhältnissen nicht weit entfernt, las man damals immer wieder in der Presse. In der Weimarer Republik waren es sechs Millionen Arbeitslose. Die Nationalsozialisten nutzten die allgemeine Unzufriedenheit aus für ihren Aufstieg.

2005 steckte die Bundesrepublik wieder in einer großen Depression. Das Ziel der Reformen war es, Deutschland vom Image des „kranken Mannes Europas“ zu befreien und eine Aufbruchstimmung zu schaffen. Doch schon mit der Einführung des Arbeitslosengelds II ergaben sich die ersten Probleme.

Die für die Ausarbeitung der Hartz-Reformen verantwortliche „Kommission für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ unter der Leitung von Peter Hartz ging damals von 2,6 Millionen Bedarfsgemeinschaften an, die einen Anspruch anmelden würden.

Bundesweit forderten schließlich 3,9 Millionen Bedarfsgemeinschaften Unterstützung. Die Folge: Von Entlastung des Sozialstaats konnte keine Rede sein. Die Bundesregierung hatte die für das Arbeitslosengeld II vorgesehenen Mittel für das Jahr 2005 schon im Juli ausgegeben.

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Auch Wohnmobile sind WohnungenIm Sommer 2010 hat das Bundessozialgericht dargestellt, dass auch ein Wohnmobil als Wohnung gelten kann - und deshalb auch die Betriebskosten für das Wohnmobil von der Bundesagentur für Arbeit anteilig zu übernehmen ist. Dazu zählen unter anderem Kfz-Steuer und Haftpflichtversicherung, übernommen werden müssen allerdings nicht die Kosten für Sprit und die Wartung des Autos. Quelle: dpa
Kinder von Hartz IV-Empfänger dürfen Geldgeschenke bekommenUnter Umständen darf die Arbeitsagentur großzügige Geschenke mit dem Arbeitslosengeld II verrechnen - auch Geldgeschenke. Es gibt allerdings Ausnahmen: Seit der letzten Hartz-IV-Reform vom April 2011 gelten Geldgeschenke von über 50 Euro pro Jahr nicht mehr automatisch als Einkommen. Voraussetzung ist nur, dass sich diese Geschenke „im Rahmen des Üblichen“ bewegen. Das trifft insbesondere auf Kinder zu, die im Laufe des Jahres Geld von den Großeltern geschenkt bekommen, etwa auch das Geld für den Führerschein muss so nicht angerechnet werden. Geldgeschenke bis zur Höhe von 3100 Euro zur Jugendweihe, Konfirmation, Kommunion oder ähnlichen religiösen Festen sind erlaubt. Außerdem werden monatliche Einkünfte von bis zu zehn Euro nicht auf die Hartz-IV-Leistungen angerechnet. Dabei gilt dieser Freibetrag für jedes Kind der Familie extra, bei Erwachsenen sind es monatlich 30 Euro. Quelle: dpa
Übernahme von FlugkostenDas Jobcenter muss die Kosten für Flüge unter bestimmten Umständen übernehmen, nämlich zum Beispiel dann, wenn die Eltern sich getrennt haben und Mutter oder Vater mit dem Kind ins Ausland gezogen ist. Denn das verfassungsrechtlich geschützte Umgangsrecht sei eine wichtige Stütze für die Entwicklung des Kindes. Quelle: dpa
Es muss nicht das Billig-Grab seinEs sei Hinterbliebenen nicht zuzumuten, "unterschiedliche Angebote bei Bestattungsunternehmern einzuholen, um das billigste auszuwählen". Deshalb müssen Angehörige sich nicht mit der billigsten Bestattung zufrieden geben, wenn diese Hartz IV bekommen haben. Außerdem dürfe es keine pauschale Begrenzung der Ausgaben geben. Quelle: dpa
Umzugskosten werden nur unter Umständen übernommenDie Kosten für einen Umzug müssen nicht unbedingt übernommen werden, vor allem dann nicht, wenn es sich um einen freiwilligen Umzug handelt. Hartz IV-Empfänger erhalten nur dann die Hilfe einer professionellen Möbelspedition, wenn sie aufgrund ihres Alters, einer Behinderung oder wegen kleiner Kinder den Umzug nicht selbst bewerkstelligen können. Höhere Beträge werden außerdem übernommen, wenn der Ortswechsel mit einem neuen Job verbunden ist. Quelle: dpa
Lottogewinne werden umgerechnetJahrelang hatte ein Hartz IV-Empfänger aus Bielefeld Lose gekauft und nichts gewonnen. Dann sahnte er ab, konnte sich aber trotzdem nicht richtig freuen: Denn sein Gewinn wurde als Einkommen angerechnet. Unter dem Strich hatte er also weniger als vorher. Quelle: dpa
Problematische DarlehenHartz-IV-Empfänger dürfen sich Geld leihen, müssen allerdings deutlich machen, dass es sich um einen rückzahlungspflichtigen Kredit handelt - und nicht um eine Zuwendung ohne Rückzahlung. Das würde nämlich als zusätzliches Einkommen zählen und auf das Geld von der Bundesagentur für Arbeit angerechnet. Quelle: dpa

Der damalige Wirtschaftsminister, Wolfgang Clement, witterte massenhaften „Sozialbetrug“ als Ursache für die Kostenexplosion. Jeder Fünfte ALG-II-Empfänger kassiere zu Unrecht Hartz IV, sagte er.

Stephan Articus, damals wie heute Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, hielt Betrug nicht für das Kernproblem. „Für die Kostenexplosion beim Arbeitslosengeld II gibt es eine Reihe von Gründen“, sagte er der "Zeit" – Missbrauch zählte er nicht dazu. „Der Gesetzgeber hat zu großzügige Möglichkeiten geschaffen, Haushalte aufzusplitten.“

So konnten beispielsweise junge Arbeitslose den elterlichen Haushalt verlassen, so eine eigene Bedarfsgemeinschaft gründen und hatten damit Anspruch auf das volle Arbeitslosengeld und die Wohnungskosten.


Die Kostenexplosion bei Hartz IV

Ende 2005 summierten sich die Bundesausgaben für die Hartz-Reformen auf 35 Milliarden Euro. Hinzu kamen die Ausgaben der Kommunen, die unter anderem die Wohn- und Heizausgaben der Bedürftigen tragen; sie beliefen sich auf zehn Milliarden Euro.

Auch in den Folgejahren überstiegen die realen Kosten immer wieder die Beträge, mit denen das Finanzministerium gerechnet hatte.

2004 noch hatte der damalige SPD-Finanzminister Hans Eichel 18,7 Milliarden Euro aus Steuermitteln für die bisherige Arbeitslosenhilfe ausgegeben – die Sozialhilfe schlug noch einmal mit rund zehn Milliarden Euro zu Buche.
Nach einem Jahr Hartz IV stand fest: Der Bund gibt mehr Geld aus und bei den Hartz-IV-Beziehern kommt weniger an als zu Zeiten von Sozial- und Arbeitslosenhilfe.

Im Osten Deutschlands herrscht die größte Armutsgefahr
Ein Mann bettelt auf der Königsstraße in Stuttgart: Auch wenn es auf dem Bild nicht so aussieht: In Baden-Württemberg sind mit 11,4 Prozent die Menschen am wenigsten von Armut bedroht. Die Armutsgefährdung beginnt in Deutschland etwa für einen Alleinlebenden, wenn sein Monatseinkommen unter 892 Euro liegt. Quelle: dpa
Direkt dahinter liegt Bayern mit einem Armutsrisiko von 11,3 Prozent. Quelle: dpa
Der Mond scheint in Frankfurt am Main durch einen leichten Wolkenschleier auf den Fluss und die illuminierte Ignatz-Bubis-Brücke. Die Armutsgefährdungsquote liegt im Bundesland Hessen bei 13,7 Prozent. Quelle: dpa
14,0 Prozent der Menschen in Schleswig-Holstein sind armutsgefährdet. Quelle: dpa
In Rheinland-Pfalz sind 15,4 Prozent der Einwohner von der Armut bedroht. Quelle: dpa
Direkt dahinter reiht sich Niedersachsen mit dem großen Unternehmen Volkswagen ein. Hier liegt die Armutsgefährdung bei 16,1 Prozent. Quelle: REUTERS
Die Armutsgefährdungsquote in Hamburg liegt bei 16,9 Prozent. Quelle: dpa

Laut Angaben der "FAZ" hat der Bund von 2005 bis 2013 rund 313 Milliarden Euro ausgegeben; die Kommunen löhnten 92 Milliarden Euro. Ein Großteil der Ausgaben belief sich auf das Arbeitslosengeld II, zu dem die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengeführt wurden. Mit rund 200 Milliarden Euro sollen die Ausgaben den Bundeshaushalt bis dato belasten.

Doch Hartz IV hat nicht nur Geld gekostet. Peter Hartz, der Vorsitzende der Hartz-Kommission, sagte der "FAZ": Die Reform habe „dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit deutlich gesunken ist und wir die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben.“

Die Kritiker der Rot-Grünen Arbeitsmarktreformen sehen solche positiven Änderungen nicht. So räumte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge im Interview mit WiWo Online zwar ein, dass die Zahl der Arbeitslosen gesunken sei – das sei aber nur statistische Makulatur. Warum, erklärte er anhand der Erwerbsaufstocker:

Angestellte, deren Gehalt unter dem Hartz-IV-Niveau liegt, können es aufstocken lassen. Aktuell gibt es 1,3 Millionen solcher Aufstocker. „Dafür gab die Bundesregierung seit 2005 allein 75 Milliarden aus“, sagte Butterwegge. „Das sind Subventionen vom Staat, die Unternehmen belohnen, die Lohndumping betreiben.“

So hätten es beispielsweise Billiganbieter von Postdienstleistungen mit Hilfe des Bundes geschafft, die Deutsche Post zu zwingen, prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen – um wettbewerbsfähig zu bleiben. „Zu welchem Zweck?“, fragte Butterwegge. „Die offizielle Statistik wurde geschönt – wir haben weniger Arbeitslose.“

Das große Problem: „Das Arbeitsvolumen hat seit der Jahrtausendwende gar nicht zugenommen. Es ist nur anders verteilt worden. Heute gibt es mehr prekäre Beschäftigung, mehr Leiharbeit und mehr nicht immer gewollte Teilzeit.“

Wirkung von Hartz IV umstritten

Allerdings ist der Blick auf das Arbeitsvolumen umstritten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schreibt, dass das Arbeitsvolumen 2014 auf dem höchsten Stand seit 22 Jahren sei. Arbeitnehmernahe Institute behaupten, es stagniere.

Was sicher ist: Die Arbeitslosenzahl ist seit der Einführung von Hartz IV in Deutschland zurückgegangen – während sie etwa in Frankreich und den USA anstieg. In Deutschland waren 2005 noch 11,7 Menschen arbeitslos – mittlerweile sind es unter sieben Prozent. In Frankreich stieg die Zahl im selben Zeitraum von 9,3 Prozent auf über elf Prozent.

von Henning Krumrey, Max Haerder

Welche Wirkung Hartz IV auf diese Entwicklung hatte, ist bis heute umstritten. Befürworter von Hartz IV betonen die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands durch die Reformen; Kritiker monieren, dass vor allem der jahrelange Verzicht auf Lohnerhöhungen vieler deutscher Arbeitnehmer die Ursache sei und Hartz IV lediglich zu einer stärkeren Prekarisierung des Arbeitsmarkts führe.

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, betont die Erfolge der Reform: Die Arbeitslosenzahl ist merklich gesunken und auch die Langzeitarbeitslosen sind weniger geworden. 2005 waren es noch eine Million, mittlerweile sind es nur noch 700.000.

Während ganz Europa unter den Nachwirkungen der Wirtschaftskrise leidet, ist Deutschland stabil wie nie. Die Arbeitslosigkeit hierzulande ist mittlerweile auf dem Niveau der Achtzigerjahre.

Im Interview mit der "Welt" räumte Weise aber auch ein: „Wir haben mehr als 200.000 Menschen, die sich seit 2005 ununterbrochen in Hartz IV befinden und nie gearbeitet haben. Das ist die Schattenseite der Hartz-IV-Reform.“

Ein Positives gibt es aber: Die Kosten werden aller Voraussicht nach nicht weiter steigen. Weise sagte der Zeitung: „Wir werden 2014 mehr Überschuss machen, als wir bei unseren Planungen erwartet hatten“. Das liegt auch daran, dass die Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen ist.

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