Zivilschutzkonzept Wie durch das Bohei um die Hamsterkäufe Panik entsteht

Die Bundesregierung will am Mittwoch ein neues Zivilschutzkonzept beschließen. Schon diskutiert die Republik über Sinn und Notwendigkeit von Hamsterkäufen. Ein Medienwissenschaftler erklärt Mechanismen, die dahinter stecken.

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Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Quelle: dpa

Die Bundesregierung will, dass die Bevölkerung Vorräte für Katastrophenfälle anlegt. Das ist Teil des Zivilschutzkonzepts des Bundesamts für Katastrophenhilfe. Erstmals seit dem Kalten Krieg werden alle möglichen Bedrohungen durchgespielt: Von Terrorangriffen über Naturkatastrophen hin zu Cyberangriffe auf Kraftwerke. Ist ein solches Konzept Panikmache?
Hans-Bernd Brosius: Die Politik und die Sicherheitskräfte haben die Aufgabe, solche Vorsorgemaßnahmen wie Katastrophenpläne zu erstellen. Das Problem ist ein anderes. Aktuell betrachten alle das Thema durch die Terrorismusbrille. Einige Journalisten haben entdeckt, dass es seit Jahren eine Initiative der Bundesregierung gibt, die Richtlinien für Katastrophenfälle zu überarbeiten. Die berichten darüber und der Rezipient denkt, die Ursache-Wirkungs-Beziehung ist verkehrtherum.

Hans-Bernd Brosius ist Dekan der Sozialwissenschaftlichen Fakultät und Kommunikationswissenschaftler. Quelle: Privat

Das heißt?
Ein einfaches Beispiel: Das Triebwerk eines Flugzeugs fällt aus. Darüber würde niemand berichten. Interessant ist so ein Ereignis nur, wenn am Tag vorher ein Flugzeug abgestürzt ist. Das Gleiche gilt für das Zivilschutzkonzept. Das Ereignis findet statt und die Journalisten sagen, es findet statt wegen des Terrorismus. Das ist typisch in besonderen Zeiten. Über den eigentlichen Anlass wäre aber ohne die begleitenden Umstände nie berichtet worden.  

Reflektiert Journalismus solche Ereignisse und Tendenzen oder befeuert er sie selbst?
Er befeuert sie. Daran ist aber nicht nur der Journalismus schuld, die Rezipienten handeln ebenfalls dementsprechend: Sie lesen von einem Ereignis und suchen gezielt nach Informationen, die ihre Meinung bestätigen oder sie entkräften. Dadurch entsteht eine Nachrichtenlage, die der Rezipient selbst mitkonstruiert hat und die nicht unabhängig von ihm da wäre.

Zurück zum Zivilschutzkonzept: Der Fraktionsvize der Grünen, Konstantin von Notz, sagt, die Vermischung von ziviler Vorsorge mit Hinweisen auf Terrorgefahr und ziviler Vorsorge sei problematisch. Ist seine Kritik berechtigt?
Der Plan ist ja nicht entstanden, um all diese Aspekte zu vermischen, der Plan ist längst vor der akuten Terrorbedrohung entstanden. Katastrophenplaner müssen natürlich verschiedene Ursachen berücksichtigen. Die Kritik an der Bundesregierung kann ich nicht teilen. All diese Faktoren werden erst in der Wahrnehmung durcheinander geschmissen. 

Frankreich und der Terror

Die Medien thematisieren das Sicherheitskonzept intensiv, auch in den sozialen Netzwerken schreiben Tausende darüber. Welche Auswirkungen hat das?
Die intensive Thematisierung des Zivilschutzkonzepts schürt Ängste. Die sozialen Netzwerke verstärken solche Tendenzen. Auf einmal können alle etwas zum Thema sagen, so entsteht noch stärker der Eindruck von Panik. Zudem werden in den sozialen Netzwerken vor allem kurze Artikel weitergeleitet, in denen keine Beurteilung über die Relevanz des Themas stattfindet – in dem Fall des Zivilschutzkonzepts.

Erst bestimmte die Wirtschaftskrise die Berichterstattung, dann die Flüchtlingskrise, jetzt reden wir nach den ersten IS-Anschlägen in Deutschland von einer Sicherheitskrise. Benutzen Journalisten den Krisenbegriff zu inflationär?
Ob etwas eine Krise ist oder nicht, definieren wir in der Berichterstattung und der Rezeption letztlich selber. Da ist kein abschließendes Urteil möglich. Wir können uns vielleicht darauf einigen, dass das, was in Griechenland ab 2010 geschah, eine Krise war. Begriffe wie „Skandal“, „Krise“ oder „Katastrophe“ werden sehr inflationär benutzt, gerade im Online-Bereich.

Was sind die Konsequenzen?
Mittelfristig führt das dazu, dass die Menschen so etwas bemerken und nicht mehr darauf anspringen. Im besten Fall bevorzugen sie irgendwann Berichte, die etwas tiefgründiger sind und die Thematik einordnen.

"Die Menschen können bei Gewalt nur schwer wegsehen"

Das heißt der Rezipient wird immun gegen solche Mittel?
Im Allgemeinen ja, bei bestimmten Themen trifft das allerdings nicht zu. Wann immer es heißt, es gibt Tote, hat der Rezipient die Tendenz, es anzuklicken. Es ist tragisch, dass drei Deutsche im Ijsselmeer von einem Mast erschlagen wurden. Obwohl kaum Menschen davon betroffen sind, weil die meisten kein Segelboot haben und nicht am Ijsselmeer leben, wird darüber berichtet und es wird gelesen. Die Menschen können bei Gewalt und Tod nur schwer wegsehen.

Große Terroranschläge in Europa

Eine Studie aus dem Jahr 2014 zeigt, Medienberichterstattung verzerrt den Blick hin zum Negativen - auf Themen wie etwa die Mordrate in einem Land, die Zahl der Muslime, die Höhe der Jugendarbeitslosigkeit. Warum ist das so?
Die tatsächlichen Mordzahlen gehen zurück, die Angst vor Mord in der Bevölkerung steigt aber. Das ist hochinteressant. Gerade in dieser zeitlichen Entwicklung wird die Schere deutlicher. Meine These ist: Wenn nur ein Mord in Deutschland geschähe, würden die Medien 14 Tage darüber schreiben und die Bevölkerung wäre deutlich ängstlicher als aktuell.

Welcher Mechanismus steckt dahinter?
Negative Nachrichten erhalten mehr Aufmerksamkeit. Sie werden ausführlicher rezipiert, besser behalten und beeinflussen stärker wie Menschen Sachverhalte bewerten als positive Nachrichten. Angenommen Sie leben im Urwald. Dort sehen Sie eine Orchidee, über die können Sie sich freuen. Dann sehen Sie einen Tiger und fliehen. Die Flucht vor dem Tiger sichert ihr Überleben. Negative Informationen sind von größerer Relevanz als positive für uns Menschen.

So schützen sich große Flughäfen vor Terror

Dieser Drang nach negativen Nachrichten kann im Extremfall dazu führen, dass Journalisten - aber auch Politiker - zu voreiligen Schlüssen neigen. Etwa bei dem Amoklauf in München, der lange für einen Terroranschlag gehalten wurde.
So etwas ist gefährlich, weil es die Arbeit der Behörden und der Polizei ganz konkret behindert. Das zeigt noch einmal, was ich meine: Es wäre nie als Terrorakt interpretiert worden, wenn wir nicht vorher Terrorakte in Deutschland erlebt hätten. Wir bringen alle Ereignisse mit diesem Thema in Verbindung. Tötet ein türkischstämmiger Mensch seine Freundin, wird das aktuell überall aufgegriffen, weil es durch die Islamistenbrille betrachtet wird. Ansonsten wäre das im lokalen Raum berichtet worden, aber sonst eben nicht.

Lernen die Medien dazu durch die Häufung solcher Ereignisse?
Ich habe nicht den Eindruck. Das ganze System, die Abläufe, das Wertschöpfungsmodell, das dahinter steckt kann nicht dazu führen, dass die Medien lernen. Die wenigsten Journalisten warten ab, bis Informationen gesichert sind. Sie können das nicht, weil sie persönlich betroffen sind. Wer schnell liefert, profitiert über Klickzahlen und Reputation.

Das trifft doch nur auf einen Teil der Journalisten zu.
Es gibt Ausnahmen, aber an ihnen gesundet das System nicht.

Terroristische Einzeltäter in Europa

Hat die Panikmache konkrete Folgen?
Das sehe ich nicht, weil das Interesse meist schnell wieder abflaut. Ein gutes Beispiel dafür ist Griechenland. Die Krise dort wird heute kaum noch thematisiert, obwohl die Probleme noch genauso groß sind wie vor zwei Jahren. Genauso wird nach jedem Amoklauf eine Verschärfung der Waffengesetze gefordert und ein Verbot von Killerspielen. Letztlich passiert meist wenig, was ja auch gut so ist. Eine Gesellschaft kann sich ja nicht von solchen Einzelereignissen treiben lassen.

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