Zukunft der Arbeitswelt Nahles stellt sich dem kritischen re:publica-Publikum

Co-Working-Spaces, mobiles Arbeiten bis hin zu TTIP: Unter dem Motto „Arbeitenviernull“ diskutierten Besucher der re:publica mit Andrea Nahles. Vor diesem Publikum hatte die Arbeitsministerin „doch ein bisschen Schiss“.

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Das Interesse an Nahles und an ihren Themen unter dem Motto „Arbeitenviernull“ war groß, Hunderte waren gekommen und diskutierten lebhaft mit.

Berlin Als „Wunschkonzert“ künftiger Arbeitswelten war es angekündigt. Tatsächlich wurde es eine lockere Diskussionsveranstaltung, ein munterer Schlagabtausch von und mit Andrea Nahles. Unter dem Motto „Arbeitenviernull“ hatte die Bundesarbeitsministerin auf der zehnten re:publica zum Bürgerdialog geladen – oder zu einem „Townhall Meeting“, wie es heute heißt. Gemeinsam mit den Besuchern der Digitalkonferenz sollte die Frage erörtert werden, in welcher digitalen Arbeitswelt wir leben wollen und was getan werden muss, damit sie Realität wird.

Den Dialog mit dem Hashtag #Arbeitenviernull führt Nahles bereits seit April vergangenen Jahres. In einem teils öffentlichen, teils fachlichen Dialog treibt sie die Diskussion über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft voran. Eine eigene Webseite macht den Dialogprozess transparent. Auf der Seite, aber auch über die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter können Bürger mitdiskutieren und Zwischenergebnisse direkt kommentieren.

Den Kontakt zum Volk dürfte Nahles also durchaus gewöhnt sein. Vor dem re:publica-Publikum hatte sie aber „doch ein bisschen Schiss“. Sicher würden die – in digitalen Fragen meist gut informierten – Besucher der Internetkonferenz „ganz andere Fragen stellen als üblich“.

Tatsächlich war das Interesse an Nahles und an ihren Themen in der Berliner Station groß. Rappelvoll war die Halle, hunderte waren gekommen und diskutierten lebhaft mit. Wer Fragen hatte, durfte sich mit einem Mikrofon zu Wort melden oder direkt vorne bei Andrea Nahles auf dem Podium Platz nehmen. Jeder Diskussionsteilnehmer wurde mit Handschlag begrüßt und selbstverständlich geduzt.

So vielfältig das re:publica-Publikum, so unterschiedlich die Einwürfe. Dem einen lag das Thema Co-Working-Spaces am Herzen, dem anderen das mobile Arbeiten oder die Bürokratie, die in kleinen Unternehmen und Agenturen den Arbeitsalltag behindert.

Es gab aber auch andere Fragen, die Nahles ebenso beantwortete. So beschrieb eine Zuschauerin das Problem, dass Menschen, die vor 30 Jahren Gewerkschafter und im Herzen immer SPDler waren, ihre Ansprüche in der heutigen Politik der SPD nicht wiederfinden würden. Aus dem Publikum meldete sich ein Rollstuhlfahrer, der wissen wollte, was geplant sei, damit Arbeitgeber künftig mehr Menschen mit Behinderungen einstellen.

Es werde eine Maßnahme bundesweit umgesetzt, die bereits in Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz realisiert worden sei. „Wir haben bald deutschlandweit das so genannte Budget für Arbeit“, so Nahles. Mit dieser Geldleistung könne jeder Mensch mit Behinderungen Chefs quasi überreden, ihn einzustellen.

„Das ist nicht schön“, findet Nahles selbst, „ich hätte auch lieber, es würde ohne Geld klappen.“ Tatsache sei aber, dass in Deutschland immer noch 37.000 Betriebe keinen einzigen Schwerbehinderten einstellten, obwohl sie deswegen eine Ausgleichsprämie zahlen müssten. „Das interessiert die gar nicht“, kritisiert Nahles.


TTIP: „Eine geile Sache für Arbeitnehmer“?

Anschließend setzte sich die Bürgermeisterin einer kleinen norddeutschen Gemeinde zu ihr auf die Bühne. Sie hoffe, dass im Prozess von #Arbeitenviernull auch an die Arbeit im öffentlichen Dienst gedacht werde. Sie beispielsweise würde ihren Mitarbeiter im Rathaus gerne flexibleres Arbeiten ermöglichen. Aber das sei nicht nur aus Gründen des Datenschutzes schwer.

„Es gibt auch immer noch die Erwartungshaltung, dass man möglichst lange im Büro sitzt.“ Tatsächlich würden manche Menschen „ihre ganzen Karrieren dadurch aufbauen, dass sie abends am längsten im Büro sitzen“, sagt Nahles. „Da müssen die Chefs etwas Anderes vorleben“, spielte die Arbeitsministerin den Ball an die Bürgermeisterin aus Norddeutschland zurück.

Und dann kam plötzlich Tilo Jung nach vorne. Der Videoblogger, der mit seinen Fragen und Interviews den Berliner Journalismus aufmischt, setzte sich neben Andrea Nahles. „Ich hatte heute ein Interview vereinbart mit ihr, aber das wurde abgesagt, deswegen bin ich eben jetzt hier“, so der unkonventionelle Journalist. Da musste auch die Bundesarbeitsministerin lachen.

Eine von Jungs Fragen beschäftigte sich mit einem brandaktuellen Thema: Ob denn TTIP eine „geile Sache für Arbeitnehmer“ sei, wollte er wissen. Nahles' Antwort kam prompt: „Vom jetzigen Verhandlungsstand aus ist das absolut keine geile Sache, sondern genau das Gegenteil.“

Einige Punkte würden erhebliche Probleme bereiten, zum Beispiel das Thema Kinderarbeit. „Ich weiß nicht, wie es da zu echten Verabredungen kommen kann“, zweifelt Nahles. Sie könne TTIP jedenfalls „keine Unbedenklichkeitserklärung“ ausstellen. „Wir können froh sein, wenn wir mit denen das verabreden können, was wir hier in Europa für unterste Kante halten.“

Und so verging die Stunde wie im Flug. Am Ende langer Beifall für Nahles. Sie hatte sich doch tapfer geschlagen – selbst vor dem kritischen Publikum der re:publica.

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