Zwar hat es die Alternative für Deutschland knapp verpasst, in den Bundestag einzuziehen. Trotzdem ist ein Ergebnis von 4,8 Prozent mit nur wenigen Monaten Vorlauf eine kleine Sensation. Das hat bisher noch keine Neugründung geschafft. Mag sie auch von vagabundierenden Protestwählern profitiert haben, die bei jeder Wahl dort ihr Kreuz machen, wo es die etablierten Parteien besonders schmerzt – mal bei den Piraten, mal bei der AfD. Aber die große Masse der Wähler kam von der FDP und der Union.
Der relative Erfolg der AfD ist auch die Quittung für eine schönfärberische Europapolitik aller anderen Parteien (bis auf die Linkspartei). Das gilt nicht nur für die Eurorettung. Seit mehr als zehn Jahren gibt es in Deutschland das ungute Gefühl, dass wir zahlen, während die anderen kassieren. Das mag oberflächlich sein, aber es ist der etablierten Politik nicht gelungen, den Nutzen des Binnenmarktes dem Normalbürger zu erklären und zu beweisen.
Verstärkt wurde dieses Gefühl durch die für jeden sichtbare Mogelei bei der Euroeinführung, bei den Rettungspaketen und bei den Erweiterungen der EU. Es wurde ja nicht einmal bestritten, dass beispielsweise Bulgarien und Rumänien die Beitrittsvoraussetzungen in punkto Rechtsstaat und Korruptionsbekämpfung nicht erfüllten. Trotzdem durften sie zum verabredeten Zeitpunkt beitreten. Stets hieß es, ein Zurückweisen würde die europäische Idee beschädigen. Das Gegenteil war richtig, und die Bürger haben es richtig gespürt.
Die Durststrecke des politischen Permafrostes dürfte für die Euroskeptiker denn auch kürzer sein als für die Liberalen. Denn schon im kommenden Sommer dürfte die große Stunde der Alternative gekommen sein. Bei den Europawahlen steht ihr Thema automatisch auf der Tagesordnung und lässt sich nicht mehr wegschweigen. Zudem hat bis dahin Griechenland voraussichtlich seinen nächsten Geldbedarf angemeldet, und wie es – bei Fortsetzung des aktuellen Trends – im Juni unserem französischen Nachbarn geht, darüber traut man sich gar nicht nachzudenken. Der Tisch für die AfD ist im Juni bereitet. Und mit der ansehnlichen Wahlkampfkostenerstattung aus der Bundestagswahl wird die AfD in der Lage sein, einen noch auffälligeren Wahlkampf als diesmal hinzulegen.
Noch gibt sich die Merkel-CDU siegestrunken. Aber sie sollte nicht
übersehen: Wenn sich die AfD stabilisiert, setzt auch auf dem bürgerlichen Flügel eine Zersplitterung ein, wie sie auf im linken Lager bereits seit zwei Jahrzehnten voranschreitet. An der SPD ist zu besichtigen, wohin das führt. Im europäischen Vergleich ist der Vormarsch einer euroskeptischen Partei zwar ein Schritt zur Normalität. Aber eine Zersplitterung der deutschen Parteienlandschaft auf sechs, sieben oder noch mehr Kräfte ist kein Beitrag zur politischen Stabilität.