Manchmal erschließt sich das Wesen einer Stadt bereits an den Namen ihrer Straßen. In Darmstadt sind sie zum Beispiel nach den Physikern Heinrich Hertz und Lise Meitner oder der Chemikerin Marie Curie benannt. Durch das Gewerbegebiet hinter dem Hauptbahnhof verläuft eine „Deutsche Telekom-Allee“, was nicht so ungewöhnlich ist, wie es klingt: Die Telekom hat hier ihren nach Bonn größten Standort. Es gibt auch eine Robert-Bosch-Straße, und es lohnt sich, bei Hausnummer 5 vorbei zu schauen. Hier sitzt das Raumflugkontrollzentrum Esoc, ein Ableger der europäischen Raumfahrtbehörde Esa. Wie es scheint macht Darmstadt, diese ziemlich graue Stadt im hessischen Süden, einiges richtig. Seit 1997 darf sie sich „Wissenschaftstadt“ nennen (eine Auszeichnung des Innenministeriums). Die Bevölkerung wächst, die Zahl der Erwerbstätigen nimmt seit mehr als 15 Jahren zu. Der grüne Oberbürgermeister Jochen Partsch drückt es so aus: „Wir sind der Prototyp einer wissensbasierten kleinen Großstadt.“
Die Top 5 im Zukunftsindex
Heidelberg
Punkte: 58, 4
Der Zukunftsindex setzt sich aus folgenden 13 Einzelindikatoren zusammen: Breitbandversorgung, Abiturquote, Industrie 4.0-Orientierung der Wirtschaft, Anteil der Beschäftigten in Forschung/Entwicklung und kreativen Dienstleistungen, Ingenieurquote, Zahl der Forschungsinstitute und Patentanmeldungen, Anteil der Künstler, Zahl der Theater-und Opernbesuche, Anteil der Hochschulabsolventen in MINT-Fächern und Kreativfächern.
Quelle: IW Consult
Jena
Punkte: 58,5
München
Punkte: 59,9
Erlangen
Punkte: 64,5
Darmstadt
Punkte: 65,9
Und ein Prototyp mit Perspektive: Darmstadt ist Sieger im erstmals von WirtschaftsWoche, ImmobilienScout24 und IW Consult erstellten „Zukunftsindex 2030“. Das Ranking setzt sich aus 13 Einzelindikatoren zusammen und spiegelt wider, wie fit die Städte für die Wissensgesellschaft und das Zeitalter der Digitalisierung sind. „Der Zukunftsindex zeigt vor allem Städte, die im Bereich Forschung und Lehre exzellent ausgestattet sind und attraktive Arbeitgeber am Standort haben. Die besten Zukunftsaussichten haben Städte, die auf hohe Diversität setzen, anstatt auf eine monothematisch ausgerichtete Wirtschaftsstruktur“, sagt ImmobilienScout24-Finanzvorstand Christian Gisy.
Für viele Stadtforscher sind Kreativität und Wissen seit jeher ein nachhaltiger Schlüssel zu Prosperität. Der der britische Stadtplaner Charles Landry etwa hält hoch qualifizierte Einwohner „für die wichtigsten Werte einer Stadt“. Schon vor Jahren erregte der US-Ökonom Richard Florida Aufsehen mit der These, es gebe einen engen Zusammenhang zwischen dem Wohlstand einer Stadt und der Größe der dort lebenden „kreativen Klasse“. In den neuen Zukunftsindex gehen daher nicht nur die Akademikerquote oder die Zahl von Patenten, Forschungsinstituten und Ingenieuren ein. Sondern auch der Anteil von Künstlern und Beschäftigten im Kreativbereich.
Wie kommt es nun, dass Darmstadt oben steht? In keiner anderen Großstadt ist der Anteil der Hochschulabsolventen in so genannten MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) so groß. Hier profitiert Darmstadt von seiner 1877 gegründeten Technischen Universität. Hinzu kommt die Sogwirkung auf High Potentials durch drei Fraunhofer-Institute und das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, das gerade den Bau eines gigantischen Teilchenbeschleunigers vorbereitet. Darmstadt zählt zu den Kommunen mit der höchsten Abiturientenquote und den wenigsten Schulabgängern ohne Abschluss (jeweils Platz 3). Bei der Breitbandversorgung ist die Stadt unter den Top Ten – und auch bei der Zahl der Opern- und Theaterbesuche.