Zum Tode von Herbert Giersch Deutschland verliert einen seiner besten Ökonomen

Im Alter von 89 Jahren verstarb am 22. Juli 2010 Herbert Giersch, von 1969 bis 1989 Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

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Der Volkswirt und langjährige Quelle: dpa

Giersch war einer der national und international herausragenden deutschen Ökonomen. Seine wissenschaftliche Karriere begann er mit Studien an der Universität Breslau, der Universität Kiel und der Universität Münster, an der er 1948 auch promovierte. Nach seiner Habilitation im Jahr 1950 ging er zunächst zur OEEC nach Paris. 1955 wurde er als ordentlicher Professor an die neugegründete Universität des Saarlands berufen. 1969 wechselte er nach Kiel, wo er die Leitung des Instituts für Weltwirtschaft und einen Lehrstuhl an der Christian-Albrechts-Universität übernahm.

Giersch meldete sich in den Achtziger- und Neunzigerjahren unter anderem auch in der WirtschaftsWoche mit zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen und Analysten zu Wort. Seine Themen waren die Globalisierung, Währungsfragen, der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft und Bildung. Sein letztes ausführliches Interview führte er Ende 2003 mit der Wirtschaftswoche - es trug den Titel "Keine Zeit zum Jammern". Darin widmete sich der Altmeister der deutschen Ökonomenzunft den historischen Ursachen deutscher Standortprobleme, der Rolle der Lohnpolitik und dem Zukunftspotenzial unseres Landes. Themen also von ungebrochener Aktualität.

Als Präsident des IfW machte er das Kieler Institut zu einer international führenden Institution im Bereich der weltwirtschaftlichen Forschung, Politikberatung und Ausbildung. Sein Rat wurde im eigenen Land und im Ausland beachtet und gesucht. Zu seinem großen Bekanntheitsgrad trug auch seine Mitgliedschaft im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bei, dessen Gründungsmitglied Giersch war und dessen wirtschaftspolitische Ausrichtung er bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 1970 maßgeblich prägte.

Auch in zahlreichen anderen wirtschaftspolitischen Gremien war Giersch aktiv. Das hohe Ansehen von Herbert Giersch schlug sich in einer Vielzahl von Ehrungen und Auszeichnungen nieder, darunter drei Ehrendoktortitel, das Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband, die Mitgliedschaft im Orden Pour le Mérite, der Ludwig-Erhard-Preis und der Wissenschaftspreis der Landeshauptstadt Kiel.

Herbert Giersch war eine starke Persönlichkeit, die weltwirtschaftliche Umbrüche frühzeitig erkannte und die Forschung des Instituts für Weltwirtschaft daran ausrichtete. Giersch sprach häufig von der Bringschuld, die die Wissenschaft der Öffentlichkeit gegenüber habe. Entsprechend ist sein Name verknüpft mit einer Vielzahl von wirtschaftspolitischen Reformvorschlägen. Dabei scheute sich Giersch auch nicht, Vorschläge zu machen, die für die jeweiligen Regierungen unbequem waren. Beispiele hierfür sind seine Plädoyers für flexible Wechselkurse, für einen aktiven Strukturwandel der deutschen Wirtschaft oder für Reformen zur Überwindung der von ihm so benannten „ Eurosklerose“.

Zu seinem 85. Geburtstag erschien eine Aufsatzsammlung, die die zentralen Gedanken des wohl einflussreichsten deutschen Nachkriegs-Ökonomen auf 380 Seiten zusammenfasst. "Die offene Gesellschaft und ihre Wirtschaft" ist eine Art Best-of-Album des großen Vordenkers der deutschen Wirtschaftspolitik. Die Aufsätze, Vorlesungen, Kolumnen und Interviews aus fünf Jahrzehnten kreisen um Arbeitslosigkeit, Inflation, Wachstum und Globalisierung.

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