Die Bundesregierung sorgt mit einem neuen Zivilschutzkonzept für Wirbel. Das 69-seitige Konzept aus dem Haus von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) fordert die Bürger auf, Vorsorge für den Fall einer Katastrophe oder militärischen Verteidigung zu treffen. Gleichzeitig beschreibt es Maßnahmen, die Krankenhäuser, Behörden und Technisches Hilfswerk ergreifen sollen. Es soll Mittwoch im Kabinett verabschiedet werden.
Warum kommt das Konzept gerade jetzt?
Dass das Konzept zur Notfallvorsorge ausgerechnet jetzt aufpoppt, ist eher Zufall. Eigentlich wurde das Konzept schon vor vier Jahren in Auftrag gegeben. Es gibt zwar seit 2004 das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das als Folge der Elbe-Hochwasserkatastrophe von 2002 entstanden ist. Es empfiehlt den Bundesbürgern bereits seit langem, sich mit dem Anlegen ausreichender Vorräte für den Krisenfall zu wappnen. Doch der Bundesrechnungshof vermisste 2012 ein schlüssiges Gesamtkonzept für den Zivilschutz, das der Bund nach dem Ende des Kalten Krieges vernachlässigt hat. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte das Konzept deshalb 2012 initiiert. Nun will das Kabinett das neue Papier am Mittwoch verabschieden.
Was soll in den Notfallkoffer?
Die Faustformel lautet: Jeder Bürger sollte Lebensmittel für zehn Tage und Trinkwasser für fünf Tage im Keller haben. Je mehr Personen in einem Haushalt leben, desto höher müssen die Vorräte sein. Ziel der vorgeschlagenen Maßnahmen: Die Bevölkerung soll im Notfall zum Selbstschutz fähig sein, bevor staatliche Maßnahmen anlaufen, um eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser, Energie und Bargeld sicherzustellen. Das BBK stellt zudem eine Liste mit den geeigneten Lebensmitteln ins Netz. Die Maxime lautet: keine Experimente. Gelagert werden sollten nur Lebensmittel, die man sonst auch isst. Außerdem soll das Essen auch ohne Kühlung wochenlang haltbar sein.
Welche Aufgaben übernimmt der Staat?
Auch Krankenhäuser und Behörden sollen Vorsorge treffen, und zwar in Form von Pockenimpfstoffen, Antibiotika und Jod-Tabletten. Die Medikamente sollen die Gesundheit bei so genannten ABC-Angriffen schützen. Dabei handelt es sich um Angriffe mit atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Auch Unterstützung für die Armee ist geplant. Falls militärische Einheiten verlegt werden, müssten zivile Einrichtungen etwa dafür sorgen, dass die Straßen frei sind. Bereits Anfang August war bekannt geworden, dass das Konzept die dezentrale Einlagerung von Erdölreserven für 90 Tage, eine staatliche Notversorgung der gesamten Bevölkerung mit Wasser für mindestens 14 Tage durch Brunnen sowie für die Energieversorgung ein "Gesamtkonzept Notstrom" enthält.
Welche Rolle spielt das Technische Hilfswerk?
Geprüft werden soll, inwieweit der Bund Schutzausrüstung zum Atem- und Körperschutz für die Bevölkerung vorhalten muss oder entsprechende Empfehlungen in den Selbstschutz einbezogen werden sollen (etwa Mundschutz in der Hausapotheke). Das Technische Hilfswerk (THW) wird mit dem Konzept verpflichtet, jeweils ein Drittel aller Basiseinheiten und Fachgruppen innerhalb von 24 Stunden flächendeckend oder an mehreren Schwerpunkten gleichzeitig einsetzen zu können.
Textnachrichten im Krisenfall
Wie wird im Katastrophenfall informiert?
Auch in Zukunft sollen die Bürger über die üblichen Wege informiert werden: Radio, Fernsehen, Lautsprecherdurchsagen und Sirenen. Es gab mal 90.000 Sirenen, doch inzwischen stehen nur noch ein Drittel davon auf deutschen Dächern. Dafür sollen Warnungen in Zukunft auch per SMS und im Internet verbreitet werden. Das BBK hat vor einigen Monaten die App „Nina“ auf den Markt gebracht. Sie ist kostenlos und wurde bereits 850.000 mal runtergeladen. Sie informiert bei Unwettern, wenn Blindgänger entschärft werden und notfalls auch bei Angriffen.
Wie groß ist die militärische Gefahr?
Gering. Die Bundesregierung selbst schreibt im neuen Weißbuch, "dass ein Angriff auf das Territorium Deutschlands, der eine konventionelle Landesverteidigung erfordert, unwahrscheinlich" sei. Der Katastrophenschutz ist also keine Folge einer angespannten Sicherheitslage, sondern Ergebnis einer Aktualisierung überholter Konzepte. Ein Großteil der heute noch gültigen Maßnahmen im Not- und Katastrophenfall gehen auf das Konzept der "Gesamtverteidigungsrichtlinien" aus dem Jahr 1989 zurück. Allerdings wird das Verhalten Russlands etwa mit Blick auf die Annektierung der Krim und der Rolle im Ukraine-Konflikt in Nato-Kreisen inzwischen mit großer Sorge gesehen.
Wie sind die Reaktionen auf das Notfallschutz-Konzept?
Dass sich die Bundesregierung Gedanken darüber macht, wie Menschen für den Katastrophenfall vorsorgen, wird eigentlich nicht kritisiert. Die Opposition schlachtet die Initiative aus dem Hause von de Maizière dennoch aus, weil die Bundesregierung die Sorge der Bürger um ihre Sicherheit „durch künstliche Hektik befördert“, so Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Der Politiker spricht von Angstmache. Die Aufforderung zu Hamsterkäufen würde die Menschen „völlig verunsichern“.
Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz kritisiert die Vermischung von ziviler Vorsorge mit militärischen Szenarien und Hinweisen auf terroristische Gefahren. "Ich sehe kein Angriffsszenario, für das sich die Bevölkerung Vorräte anlegen sollte", sagte der Innenexperte. Auf Twitter sorgt das Konzept der Bundesregierung für reichlich Hohn und Spott unter dem Hashtag #hamsterkäufe.