Koalition spielt Hase- und Igelspiel Die doppelte Außenpolitik

Tibet, Kuba, Syrien - Kanzlerin und Vizekanzler rangeln immer offener um den Kurs der deutschen Außenpolitik. Jetzt geraten parallele Auslandsreisen der beiden zum Schaulauf.

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Wetteifern in der Außenpolitik um die Gunst von Medien und Wählern: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier (SPD). Quelle: Reuters

BERLIN. Beim Skifahren gilt es seit wenigen Jahren den so genannten Parallel-Slalom, bei dem zwei Konkurrenten auf fast identischen Strecken gleichzeitig und nebeneinander starten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier sind gerade dabei, diesen Wettbewerb auch auf die Politik zu übertragen. Denn in dieser Woche buhlen beide bei zwei parallelen Auslands-Reisen um die Aufmerksamkeit der Medien - und demonstrieren zugleich, wie sehr sich die Politik der Kanzlerin und des Vizekanzlers der Großen Koalition auseinander entwickelt haben.

Allein die Reiseziele sind typisch für die außenpolitischen Zentrifugalkräfte in der Großen Koalition: Die eine kümmert sich um diejenigen, die ihre Werte teilen. Der andere kümmert sich bewusst um schwierige Partner, die unsere Werte noch nicht teilen. So besucht die CDU-Chefin Merkel in Lateinamerika mit der Ausnahme Brasiliens nur konservative Länder - die letzten Verbliebenen auf einem Kontinent der Links-Regierungen. Steinmeier dagegen reist nach Russland und sucht dort bewusst an Moskau vorbei mehr Kontakte zur Zivilgesellschaft.

Vorbei ist die Zeit der ersten beiden Jahre der Großen Koalition, in der Merkel und Steinmeier sich bemerkenswert eng abstimmten. Derzeit entwickeln sich beide im Zeitraffer auseinander. Die Union betont die Demokratie, Steinmeier wirbt um Kontakte zu Kuba. Die Kanzlerin empfängt demonstrativ den Dalai Lama, Steinmeier lehnt dies bei der bevorstehenden Visite des geistigen Oberhaupts der Tibeter ab.

"Wir haben mittlerweile zwei Außenpolitiken", kritisiert Werner Hoyer, stellvertretender FDP-Fraktionschef. Eine Mitschuld sieht er in der Personalpolitik der Großen Koalition. "Es war ein Fehler bei den Koalitionsvereinbarungen politisch stubenreine Häuser zu planen", meint Hoyer. Denn anders als bei der rotgrünen Vorgängerregierung müssen Minister keine Staatssekretäre des Koalitionspartners in den "eigenen" Ministerien integrieren. Die Folge ist deutlich sichtbar: Im Auswärtigen Amt haben Sozialdemokraten unter Steinmeier nun fast alle zentralen Positionen besetzt. Merkels Kanzleramt ist dagegen zum Tummelplatz für Diplomaten mit klarem Unions-Ticket geworden.

Solange die Spitze beider Häuser ihre Beamten zur engen Kooperation drängten, war dies noch kein Problem. Zu Unrecht sei es etwa als Zurücksetzung Steinmeiers angesehen worden, als die Kanzlerin im vergangenen Jahr auf der Uno-Vollersammlung reden wollte, betonten Protagonisten beider Lager noch vor kurzem. Das sei nicht gegen den Vizekanzler gerichtet gewesen. Schon immer habe ein Regierungschef in New York Vortritt gehabt - auch Gerhard Schröder vor Joschka Fischer.

Aber nun sei alles anders, räumen Vertreter beider Lager ein. Ein entscheidender Grund auf Unionsseite ist dabei die Ungewissheit, ob nicht doch Steinmeier der Gegner Merkels im Bundestagswahlkampf 2009 sein wird. "Solange das nicht geklärt ist, wird es für ihn eben etwas ruppiger werden", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz (CDU). Einem potenziellen Gegner Merkels will die CDU das Leben nicht zu leicht machen.

Erkennbar nimmt aber auch Außenminister Steinmeier heute weniger Rücksicht - wobei die Vorwürfe, wer nun den Konsens in der Außenpolitik als erster gebrochen hat, wie Pingpong-Bälle von beiden Seiten hin und her gespielt werden. Deshalb ist Steinmeier trotz der kritischen Nachfragen der Kanzlerin nach Syrien gefahren. Deshalb fragt er heute nicht mehr im Kanzleramt nach, wenn er sich für einen Dialog mit Kuba einsetzt. Und deshalb streicht er demonstrativ heraus, er habe nach dem Dalai-Lama-Besuch dafür gesorgt, dass es zwischen Berlin und Peking überhaupt wieder eine halbwegs vertrauensvolle Verständigung gibt.

Auch der Stil des früher als extrem zurückhaltend und verschwiegen geltenden Ostwestfalen hat sich geändert. Aus Kanzleramtszeiten war er es früher gewohnt, still für einen Regierungschef zu arbeiten. Aber er fühlt sich immer häufiger vorgeführt. Schon nach dem Dalai-Lama-Empfang im Kanzleramt ließ Steinmeier öffentlich erkennen, wie sehr ihn eine Politik nervt, bei der sich die Kanzlerin öffentlich profiliert, er aber als Außenminister die zerbrochenen Scherben etwa mit China wieder auffegen muss. In der Union wird im Gegenzug betont, dass der Außenminister seine Rolle maßlos überschätze.

Doch wie sehr sich Steinmeiers Haltung mittlerweile geändert hat, zeigt die von der Union überraschend wieder angestoßene Debatte über einen zentralen nationalen Sicherheitsrat unter Führung der Kanzlerin. Weil Steinmeier dies als direkten Angriff auch auf seine Koordinierungs-Kompetenzen sah, reagierte er vergangenen Montag auf einer SPD-Veranstaltung für seine Verhältnisse ungewöhnlich schroff. "Der vorgeschlagene Weg führt in die Vergangenheit, nicht in die Zukunft." Es könne ja sein, dass die Union die Militarisierung der Außenpolitik wolle. "Gut für das Land ist dies nicht", meinte der sich sonst gerne diplomatisch oder bürokratisch ausdrückende Steinmeier in aller Klarheit. Einigen engen Mitarbeiter stockte danach der Atem. Doch die Worte zeigten Wirkung. Bereits am Folgetag versuchte die Kanzlerin den Streit um den Nationalen Sicherheitsrat mit der Bemerkung zu entschärfen, dass dieser Unions-Vorschlag für diese Legislaturperiode keine Bedeutung mehr habe.

Denn letztlich wissen Merkel und Steinmeier, dass sie den Streit über Außenpolitik nicht zu weit treiben dürfen. Wenn im Ausland nicht mehr erkennbar ist, wofür Berlin steht, schadet sich Deutschland insgesamt. Und keiner der beiden hat in der sensiblen Machtbalance der Großen Koalition die Möglichkeit, seine Meinung wirklich durchzusetzen. Ohnehin wissen beide, dass sie sehr wohl eine gemeinsame ideologische Basis haben. Sowohl Merkel als auch Steinmeier wollen eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen und sehen Israel als zentralen Anker der deutschen Nahostpolitik - und sind deshalb auch in der Iran-Politik nahe beieinander. Der einzige Unterschied im taktischen Vorgehen ist, dass sich Steinmeier trotzdem Gesprächskontakte etwa nach Syrien nicht verbieten lassen will.

Doch derzeit wird dies alles überlagert vom Profilierungsstreit. Den fachte am Pfingst-Wochenende wiederum die Union an: Erst kritisierte CDU-Außenpolitiker Eckhardt von Klaeden Steinmeiers Kuba-Politik. Dann feuerten gleich mehre CDU-Ministerpräsidenten eine Breitseite gegen Steinmeier, weil er sich nicht mit dem Dalai Lama treffen will. "Mangelnde Courage" unterstellte auch CSU-Chef Erwin Huber. Da selbst der vorsichtige niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff auf Steinmeier losgelassen wird, deutet alles auf eine konzertierte Aktion der CDU-Chefin Merkel selbst hin. Ein offener Bruch ist verboten, zunehmendes Sticheln dagegen erlaubt.

Mittlerweile spielen Union und SPD in der Außenpolitik medial zudem das Hase- und Igelspiel. Man gönnt sich nichts mehr, jeder will auch die Felder des politischen Partners besetzen, der gleichzeitig der politische Gegner im Wahlkampf 2009 sein wird. Als klar war, dass die Kanzlerin nach Lateinamerika und die Union eine Lateinamerika-Strategie fährt, organisierte die SPD deshalb zum Wochenanfang einen eigenen Kongress zum selben Thema, Steinmeier legte am Freitag eine grundsätzliche Lateinamerika-Rede nach - ohne die Reise der Kanzlerin zu erwähnen.

Auch hier ließ die Retourkutsche nicht auf sich warten: Noch bevor Steinmeier auf seiner Russland-Reise mit dem neuen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zusammentreffen kann, betont Merkels Regierungssprecher schon, dass der russische Präsident Anfang Juni auch zur Kanzlerin nach Berlin kommen werde.

Letzte Episode im Kleinkrieg um die Lufthoheit in der Außenpolitik ist Burma: Am Freitag leitete Steinmeier die Koordinierungsrunde der Bundesregierung für Hilfsmaßnahmen, im Hintergrund warb er auch in Peking für Druck auf die Machthaber in Rangun. Klar war, dass Berlin ernsthaften Druck machen will, um Hilfslieferungen für die leidende Bevölkerung durchzusetzen. Doch kaum war die Sitzung zu Ende, verkündete schon die Kanzlerin medienwirksam die deutsche Haltung gegenüber Burma.

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