Economics Job Market Rumors Die Gerüchteküche der Volkswirte

Anonym, einflussreich, umstritten - Das ist das Web-Forum Economics Job Market Rumors. Das von einem Unbekannten betriebene Portal hat sich zu einer zentralen Diskussionsplattform in der VWL entwickelt.

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Wenn es um ihre berufliche Zukunft geht, sind auch Ökonomen nicht immer zimperlich. Das zeigt das Internet-Forum Economics Job Market Rumors. Quelle: AFP

New York Für Volkswirte, die gerade ihre Promotion abgeschlossen haben, ist es in diesen Tagen das wichtigste Thema: „Habt Ihr schon Anrufe?“ – „Wie viele Bewerbungsgespräche?“ – „Keine Antworten!!!“ – „Das Warten ist so furchtbar...“

Rund um den Jahreswechsel geht die Jobsuche für Nachwuchsvolkswirte stets in ihre heiße Phase. Anfang Januar, auf der Jahrestagung der „American Economic Association“ in Chicago, führen alle VWL-Fakultäten Nordamerikas und viele europäische Hochschulen Vorstellungsgespräche mit den Kandidaten. Im Internet schreiben sich die Bewerber schon jetzt ihren Frust von der Seele – vor allem auf einer Webseite namens „Economics Job Market Rumors“ (EJMR).

Rauer Umgangston

Dieses Diskussionsforum hat sich zu einer der ersten Adressen der Zunft entwickelt – wenn auch nicht zu einer der feinsten. Gerüchte und Insiderinformationen machen hier die Runde und es gibt manchen guten Ratschlag. Doch zugleich werden Professoren beschimpft, schlechte Witze gerissen, Fehlinformationen verbreitet. Oft benehmen sich die Nutzer wie schlecht erzogene, betrunkene Teenager und nicht wie die wissenschaftliche Elite von morgen.

Die Seite ist so beliebt wie anachronistisch in einer Zeit, in der Facebook und Co. immer besser, komplizierter und neugieriger werden. EJMR ist eine Art digitales schwarzes Brett, in schlichtem Design und simpler Bedienung – und vollständig anonym. Die Nutzer können sich noch nicht einmal unter einem  Pseudonym registrieren. Die Software teilt ihnen Fantasienamen zu – zum Beispiel „Economist 3acb“ oder „Economist 6014“.

„Was ist die beste ökonomische Fakultät in Deutschland?“, fragt etwa „Economist 04c7“. Jemand empfiehlt Rinteln, wo es seit 1810 keine Universität mehr gibt. „Warum sind die Deutschen so dumm?“, fragt einer zurück. Zwei andere skandieren „Sieg Heil“-Parolen. Zwischendrin erklärt „Economist 9947“: „Bonn ist am besten in Mikrotheorie, Mannheim bei Makro und angewandter Mikro. Bei Finanzwissenschaften liegen Frankfurt und Mannheim gleichauf. Und München? Ist einfach die schönste Stadt.“

50000 bis 60000 individuelle Besucher zieht das Forum jeden Monat an,sie rufen mehr als zwei Millionen Seiten auf. All das zumindest behauptet Kirk, der Betreiber der Seite. Das Problem ist, dass man nicht weiß, ob es stimmt. Denn man weiß nicht, wer Kirk ist. Er ist so anonym wie die Besucher seiner Website. Das einzige, was EJMR preisgibt, ist eine E-Mail-Adresse. Die deutet darauf hin, dass Kirk in Großbritannien sitzt. Möglicherweise. Eine Recherche bei Internet-Suchverzeichnissen fördert tatsächlich eine Adresse in England zutage, in einem Gewerbegebiet zwischen Portsmouth und Southampton, natürlich anonym. Die Internetadresse www.econjobrumors.com ist beim US-Domainhändler Enom registriert. Der hat, ausgerechnet, seinen Sitz in Kirkland, einem Vorort von Seattle – und bietet seinen Kunden Identitätsschutz an.


Die Anonymität ist Anreiz und Problem gleichzeitig

Auf ein Interview mit dem Handelsblatt lässt sich Kirk ein – anonym und per E-Mail. Warum die Heimlichtuerei? „Weil EJMR häufig Neuigkeiten über Kontroversen in der VWL-Szene enthüllt, könnte es meiner Karriere abträglich sein, als Moderator der Seite bekannt zu sein.“

Die junge, akademische Zielgruppe macht die Seite interessant für Bannerwerbung. Der US-Managerverband Vistage wirbt dort ebenso wie die Kaufhauskette Macy’s. Ein Dauerkunde ist die Online-Stellenbörse Econ-Jobs.com, die EJMR im Design so ähnlich ist, dass man einen Zusammenhang zwischen beiden vermuten könnte. Das bestreitet Kirk. Er wolle zwar mit seiner Seite auch Geld verdienen, doch sei sie „in erster Linie ein Hobby“.

Kirk betreibt die Seite seit einem guten Jahr. Gegründet wurde sie vor einigen Jahren von einem ebenfalls anonymen Internetnutzer, der sich „Tatonnement“ nannte. In ihren Anfängen war sie ein ernsthaftes akademisches Forum, und teilweise funktioniert sie auch heute noch so – etwa wenn sich Absolventen darüber austauschen, wie die Jobaussichten bei der Weltbank sind oder weshalb man von einer Top-Hochschule zu einer kleineren Uni wechselt („nettere Kollegen, mehr Geld“). In der Diskussion um die Eigenplagiate des Schweizer Ökonomen Bruno Frey war EJMR ein wichtiges Forum.

Das interessiert auch viele Lehrstuhlinhaber. Rüdiger Bachmann etwa, Professor für Makroökonomik an der RWTH Aachen und vor kurzem aus den USA zurückgekehrt, schaut einmal pro Woche in das Diskussionsforum, „in Spitzenzeiten auch mal täglich“ auf die Seite. Die Unsinnsdebatten stören ihn, „die wertvollen Informationen muss man suchen“. Doch immer wieder gebe es sie: „Vor allem in der heißen Zeit des Jobmarkts. Da wird gepostet, wer von welcher Uni eingeladen wurde und wie viele Angebote ein Kandidat hat.“

Der Reiz der Website, die Anonymität, ist zugleich ihr großes Problem. In einem Ratgeber für junge Volkswirte, herausgegeben vom Bonner Forschungsinstitut IZA, empfiehlt Cornell-Professor John Cawley, Nachwuchsökonomen sollten das Forum besser ignorieren. Er habe beim Start der Website große Hoffnungen gehabt „im Glauben, es könne sich zu einer wichtigen Informationsbörse entwickeln. Leider strotzt es vor irrelevanten und anstößigen Beiträgen.“

Kirk widerspricht: Höchstens zehn Prozent der Beiträge seien zu beanstanden. „Sie werden schnell gelöscht oder sinken ans Ende der Seite, wo sie keiner beachtet.“ Er moderiere die Seite sehr wohl, „allerdings sehr diskret“. Vielen Nutzern ist das zu wenig. „Kirk, warum lässt du zu, was aus diesem Forum wird?“, beschwert sich, stellvertretend für viele, „Economist bd7c“. „Das läuft wirklich aus dem Ruder.“

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