+++ Brexit-Nachrichtenüberblick+++ Nigel Farage: "Jetzt lachen Sie nicht mehr"

Viele Politiker wurden heute scharfzüngig. Am späten Nachmittag trafen dann die Staats- und Regierungschefs der EU zusammen, um über die Konsequenzen aus dem britischen Votum zu beraten. Der Tag im Überblick.

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Was die Briten an der EU stört
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten über die Konsequenzen aus dem britischen Votum für einen Austritt aus der Europäischen Union. Der scheidende britische Premierminister David Cameron will über den Ausgang des Referendums informieren. Im Folgenden die Entwicklungen am Dienstag im Überblick.

+++ Sigmar Gabriel: "Out heißt out" +++

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erklärt in Stuttgart, Großbritannien könne jetzt nicht die Vorteile mit der EU aushandeln, ohne Pflichten zu übernehmen und damit noch andere Länder zum Austritt anstiften. "Out heißt out - das bedeutet, die Briten müssen zu ihrer Entscheidung stehen."

+++ Börsen erholen sich etwas von Brexit-Verlusten +++

Die ersten Anleger haben sich nach der Brexit-Entscheidung wieder an den deutschen Aktienmarkt zurück gewagt. Am Dienstag erholte sich der Dax etwas von seinen massiven Verlusten der vergangenen zwei Handelstage. Zeitweise stieg der deutsche Leitindex um mehr als 3 Prozent. Er beendete den Tag mit einem Plus von 1,93 Prozent auf 9447,28 Punkte. Der MDax der mittelgroßen deutschen Werte erholte sich um 1,88 Prozent auf 19 276,46 Punkte. Der Technologiewerte-Index TecDax gewann 2,22 Prozent auf 1554,71 Punkte.

Europaweit sah es ähnlich aus: Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 stieg um 2,27 Prozent auf 2758,67 Punkte und auch in London und Paris legten die Börsen in dieser Größenordnung zu. In den USA gewann der Dow Jones Industrial zum Handelsschluss in Europa 0,8 Prozent. Händler und Marktstrategen warnten aber vor verfrühtem Optimismus.

+++ Nigel Farage: "Jetzt lachen Sie nicht mehr" +++

Der Chef der nationalistischen britischen Partei Ukip, Nigel Farage, wird im EU-Parlament ausgebuht. Er sagte, Großbritannien werde nicht das einzige Land sein, das die Gemeinschaft verlasse. Unterstützung bekamt er von der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen, die das Brexit-Votum als „außerordentlichen Sieg für die Demokratie“ feiert. Farage genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Vor 17 Jahren habe man ihn noch für seine Brexit-Kampagne ausgelacht, sagte er. „Jetzt lachen Sie nicht mehr, oder?“

Wo die großen Brexit-Baustellen sind

+++ Valls: Rein oder raus +++

Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls fordert ein entschlossenes Handeln der EU. "Jetzt ist nicht die Zeit für diplomatische Vorsicht", sagt er zum Auftakt einer Parlamentsdebatte über die Brexit-Abstimmung. "Wir müssen die Eiterbeule aufstechen." Europa brauche von den Briten Klarheit: "Entweder verlasse sie die (Europäische) Union oder sie bleiben."

+++ Schottische Regierungschefin reist zu EU-Gipfel +++

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will am Mittwoch zum EU-Gipfel nach Brüssel reisen. Sie werde dort die Position Schottlands nach dem Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU darlegen, sagte Sturgeon. Vor den Abgeordneten im schottischen Parlament sagte sie, dass ein Ausscheiden aus der EU dem Willen der schottischen Wähler zuwiderlaufen würde. Gleichzeitig mahnte sie rasche Entscheidungen nach dem Votum an. Es könne nicht drei Monate lang nichts passieren, sagte sie.

Welche Branchen besonders betroffen sind
AutoindustrieDie Queen fährt Land Rover – unter anderem. Autos von Bentley und Rolls-Royce stehen auch in der königlichen Garage. Die britischen Autobauer werden es künftig wohl etwas schwerer haben, ihre Autos nach Europa und den Rest der Welt zu exportieren – je nach dem, was die Verhandlungen über eine künftige Zusammenarbeit ergeben. Auch deutsche Autobauer sind betroffen: Jedes fünfte in Deutschland produzierte Auto geht nach Angaben des Branchenverbandes VDA ins Vereinigte Königreich. Autos deutscher Konzernmarken haben danach auf der Insel einen Marktanteil von gut 50 Prozent. BMW verkaufte in Großbritannien im vergangenen Jahr 236.000 Autos – das waren mehr als 10 Prozent des weltweiten Absatzes. Bei Audi waren es 9, bei Mercedes 8, beim VW-Konzern insgesamt 6 Prozent. Für Stefan Bratzel wird der Brexit merkliche negative Auswirkungen auf die Automobilindustrie haben, die im Einzelnen noch gar nicht abschließend bewertet werden können. „Der Brexit wird so insgesamt zu einem schleichenden Exit der Automobilindustrie von der Insel führen“, sagt der Auto-Professor. „Wirkliche Gewinner gibt es keine.“ Quelle: REUTERS
FinanzbrancheBanken brauchen für Dienstleistungen innerhalb der EU rechtlich selbstständige Tochterbanken mit Sitz in einem EU-Staat. Derzeit können sie grenzüberschreitend frei agieren. Durch den Brexit werden Handelsbarrieren befürchtet. Quelle: REUTERS
FinTechsDie Nähe zum Finanzplatz London und die branchenfreundliche Gesetzgebung machten Großbritannien in den vergangenen Jahren zu einem bevorzugten Standort für Anbieter internetbasierender Bezahl- und Transaktionsdienste, im Branchenjargon „FinTech“ genannt. Das dürfte sich nun ändern. Der Brexit-Entscheid werde bei den rund 500 im Königreich ansässigen FinTechs „unvermeidlich“ zu einer Abwanderung von der Insel führen, erwartet Simon Black. Grund dafür sei, so der Chef des Zahlungsdienstleisters PPRO, da ihr „Status als von der EU und EWR anerkannte Finanzinstitutionen nun gefährdet ist“. Simon erwartet von sofort an eine Verlagerung des Geschäfts und die Schaffung neuer Arbeitsplätze außerhalb von Großbritannien. „FinTech-Gewinner des Brexits werden meines Erachtens Amsterdam, Dublin und Luxemburg sein.“ Als Folge entgingen Großbritannien, kalkuliert Black, „in den nächsten zehn Jahren rund 5 Milliarden Britische Pfund an Steuereinnahmen verloren“. Quelle: Reuters
WissenschaftAuch in der Forschungswelt herrscht beidseits des Kanals große Sorge über die Möglichkeiten zukünftiger Zusammenarbeit. Die EU verliere mit Großbritannien einen wertvollen Partner, ausgerechnet in einer Zeit, in der grenzüberschreitende wissenschaftliche Zusammenarbeit mehr denn je gebraucht werde, beklagt etwa Rolf Heuer, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. „Wissenschaft muss helfen, Grenzen zu überwinden.“ Venki Ramakrishnan, der Präsident der Royal Society, fordert, den freien Austausch von Ideen und Menschen auch nach einem Austritt unbedingt weiter zu ermöglichen. Andernfalls drohe der Wissenschaftswelt „ernsthafter Schaden“. Wie das aussehen kann, zeigt der Blick in die Schweiz, die zuletzt, nach einer Volksentscheidung zur drastischen Begrenzung von Zuwanderung, den Zugang zu den wichtigsten EU-Forschungsförderprogramme verloren hat. Quelle: dpa
DigitalwirtschaftDie Abkehr der Briten von der EU dürfte auch die Chancen der europäischen Internetunternehmen im weltweiten Wettbewerb verschlechtern. „Durch das Ausscheiden des wichtigen Mitgliedslands Großbritannien aus der EU werde der Versuch der EU-Kommission deutlich erschwert, einen großen einheitlichen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, um den Unternehmen einen Wettbewerb auf Augenhöhe mit Ländern wie den USA oder China zu ermöglichen“, kommentiert Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer beim IT-Verband Bitkom, den Volksentscheid. Daneben werde auch der Handel zwischen den einzelnen Ländern direkt betroffen: 2015 exportierte Deutschland ITK-Geräte und Unterhaltungselektronik im Wert von 2,9 Milliarden Euro nach Großbritannien geliefert; acht Prozent der gesamten ITK-Ausfuhren aus Deutschland. „Damit ist das Land knapp hinter Frankreich das zweitwichtigste Ausfuhrland für die deutschen Unternehmen.“ Quelle: REUTERS
ChemieindustrieDie Unternehmen befürchten einen Rückgang grenzüberschreitender Investitionen und weniger Handel. Im vergangenen Jahr exportierte die Branche nach Angaben ihres Verbandes VCI Produkte im Wert von 12,9 Milliarden Euro nach Großbritannien, vor allem Spezialchemikalien und Pharmazeutika. Das entspricht 7,3 Prozent ihrer Exporte. Von der Insel bezogen die deutschen Firmen Waren für 5,6 Milliarden Euro, vor allem pharmazeutische Vorprodukte und Petrochemikalien. Quelle: REUTERS
ElektroindustrieNach einer Umfrage des Ifo-Instituts sehen sich besonders viele Firmen betroffen (52 Prozent). Das Vereinigte Königreich ist der viertwichtigste Abnehmer für Elektroprodukte „Made in Germany“ weltweit und der drittgrößte Investitionsstandort für die Unternehmen im Ausland. Dem Branchenverband ZVEI zufolge lieferten deutsche Hersteller im vergangenen Jahr Elektroprodukte im Wert von 9,9 Milliarden Euro nach Großbritannien. Dies entspreche einem Anteil von 5,7 Prozent an den deutschen Elektroausfuhren. Quelle: dpa

+++ Schulz: Rückzieher der Briten sollte nicht ausgeschlossen werden +++

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat sich dafür ausgesprochen, den Briten im Zweifelsfall einen Rückzieher von ihrer Brexit-Entscheidung zu ermöglichen. Wenn das Vereinigte Königreich zu anderen Erkenntnissen komme oder die Menschen noch einmal nachdenken wollten, sollte „das ganz sicher unterstützt werden“, sagte der SPD-Politiker kurz vor dem Start des EU-Gipfels in Brüssel. Schulz machte allerdings auch klar, dass deswegen nicht der Start der Austrittsverhandlungen hinausgezögert werden dürfe. Unter anderem wegen der langfristigen Finanzplanung der EU sei keine Zeit zu verlieren. „Was ist mit der Forschungsfinanzierung? Was ist mit der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit? Das sind ganz praktische Fragen, die (...) jetzt angepackt werden müssen“, sagte Schulz.

+++ Cameron will keine Konfrontation bei EU-Austritt +++

Der britische Premier David Cameron will beim EU-Austritt seines Landes offensichtlich eine direkte Konfrontation mit den europäischen Partnern vermeiden. „Ich will, dass dieser Prozess so konstruktiv wie möglich (ist)“, sagt Cameron vor Beginn des EU-Gipfeltreffens in Brüssel. Er hoffe, dass „das Ergebnis auch so konstruktiv wie möglich“ sein könne. Es sollte künftig eine sehr enge Beziehung zwischen der EU und seinem Land geben. Cameron wird laut Diplomaten am Abend den übrigen 27 EU-Staats- und Regierungschefs erklären, wie er die Lage nach dem historischen Brexit-Referendum sieht und wie er den weiteren Ablauf einschätzt.

+++ Juncker zu Brexit-Wortführer: "Warum sind Sie hier?" +++

In einer Aussprache des Europaparlaments zum Brexit-Votum hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker anders als sonst kein Englisch gesprochen. In der Regel hält Juncker zumindest einen Teil seiner Parlamentsansprachen auch in dieser EU-Amtssprache. Bei der Parlamentssondersitzung in Brüssel sprach er jedoch lediglich Deutsch und Französisch. Nur an den rechtspopulistischen Brexit-Wortführer Nigel Farage wandte er sich einmal in der Sprache des Vereinigten Königreichs: „Ich bin überrascht, dass Sie hier sind. Sie haben für den Austritt gekämpft, die Bürger haben dafür gestimmt“, sagte Juncker. „Warum sind Sie hier?“

Die größten Netto-Zahler der EU
Touristen in Helsinki Quelle: dapd
Eine Windkraftanlage nahe Dänemark Quelle: dapd
Der Wiener Opernball Quelle: dpa
Da Atomium in Belgien Quelle: REUTERS
Eine Mitarbeiterin in der Schwedischen Botschaft in Minsk Quelle: REUTERS
Frau Antje Quelle: AP
Das Colosseum Quelle: REUTERS

+++ Fitch: Brexit gefährdet mittelfristig auch andere Länderratings +++

Die Ratingagentur Fitch erwartet nach dem Brexit-Votum der Briten auch Rückschläge für andere europäische Volkswirtschaften. Die Belastungen dürften zwar nicht so groß ausfallen wie die für das Vereinigte Königreich selbst, erklärten die Fitch-Experten am Dienstag. Mittelfristig könnten sich aber auch die Bonitätsbewertungen für andere Länder verschlechtern. Als Reaktion auf den Ausgang des Referendums hat Fitch - ebenso wie die Konkurrenzagentur Standard & Poor's (S&P) - bereits das Rating für Großbritannien gesenkt.

+++ BaFin gegen London als Sitz von fusionierter Börse +++

Die Finanzaufsicht BaFin ist gegen London als Sitz einer deutsch-britischen Börse. "Es ist schwer vorstellbar, dass der wichtigste Börsenplatz im Euro-Raum von einem Standort außerhalb der EU gesteuert wird", sagte der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, am Rande einer Konferenz in Frankfurt. "Da wird man sicher nachjustieren müssen." Die Deutsche Börse und die Londoner LSE sollen nach den bisherigen Plänen nach ihrem Zusammenschluss den Sitz in London haben. Nach dem Brexit ist die Kritik an dieser Entscheidung in Deutschland gewachsen.

+++ Bundeskanzlerin Merkel hält Regierungserklärung +++

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Geschlossenheit der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten gefordert. „Es gilt jetzt nach vorne zu schauen und alles daran zu setzen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und anschließend alle notwendigen Entscheidungen zu treffen“, sagte Merkel im Bundestag in einer Regierungserklärung zum britischen Brexit-Referendum in Großbritannien. Jeder Vorschlag, der die EU der 27 als Ganzes aus dieser Krise führen könne, sei willkommen. „Jeder Vorschlag, der dagegen die Fliehkräfte stärkt, die Europa schon so sehr strapazieren, hätte unabsehbare Folgen für uns alle. Er würde Europa weiter spalten“, sagte Merkel in der Sondersitzung des Parlaments. Sie werde sich dafür einsetzen, das zu verhindern. „Ich sehe gute Möglichkeiten, dass uns das gelingen kann.“

Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid

+++ Steuerhöhungen in Großbritannien nach dem Brexit +++

Die Briten müssen sich auf Steuererhöhungen und Einschränkungen bei den staatlichen Leistungen einstellen. Finanzminister George Osborne kündigte an, die Regierung werde einschneidende Schritte zur Sicherung der Finanzstabilität ergreifen müssen, um die Folgen des Votums für den EU-Austritt zu bewältigen. Auf eine Frage, ob das auch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen einschließe, antwortete er im BBC-Radio: "Ja, absolut". "Wir müssen dem Land und der Welt zeigen, dass die Regierung in der Lage ist, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten zu handeln", sagte Osborne. Es sei eine zentrale Herausforderung, nach der Brexit-Entscheidung Finanzstabilität zu bewahren.

+++ Britischer Minister regt zweites Referendum an ++

Nach der britischen Volksabstimmung für einen EU-Austritt hat der Gesundheitsminister des Landes ein zweites Referendum vorgeschlagen. Darin solle es aber nicht darum gehen, einen Brexit doch noch abzuwenden, schreibt Jeremy Hunt in einem Gastbeitrag für den „Daily Telegraph“. Vielmehr müssten die Bedingungen, unter denen Großbritannien die EU verlasse, den Wählern nochmals zur Abstimmung vorgelegt werden. Dies könne entweder in einem weiteren Referendum geschehen oder über das Wahlprogramm seiner konservativen Partei bei den nächsten Parlamentswahlen. Hunt ist der Zeitung zufolge der erste britische Minister, der sich für ein solches Folge-Referendum ausspricht. Aus seiner Sicht sollte London die Austrittsklausel in Artikel 50 des EU-Vertrags nicht sofort ziehen, weil dann eine zweijährige Verhandlungsfrist beginnen würde, nach deren Ablauf Großbritannien ohne jede Abmachung aus der Union fliegen könnte: „Bevor wir also die Uhr ticken lassen, sollten wir einen Deal aushandeln und ihn dem britischen Volk vorlegen.“

+++Osborne verzichtet auf Cameron-Nachfolge+++

Großbritanniens Finanzminister George Osborne, lange Zeit einer der Favoriten auf die Nachfolge von Premierminister David Cameron, will sich nicht für den Posten bewerben. „Ich bin nicht die Person, die die Einigkeit bieten kann, die meine Partei braucht“, schrieb der konservative Politiker in einem Gastbeitrag für die britische „Times“. Er sei aus dem EU-Referendum als „kontroverse Person“ hervorgegangen. Osborne hatte für den Verbleib in der EU geworben. Die Frage, ob Großbritannien in der EU bleiben soll, hat die konservativen Tories tief gespalten. Als ein wahrscheinlicher Nachfolger Camerons gilt Londons früherer Bürgermeister Boris Johnson, der sich an die Spitze des Brexit-Lagers gestellt hatte. Laut einer am Dienstag veröffentlichte Umfrage des Instituts YouGov für die „Times“ liegt allerdings Innenministerin Theresa May, die gegen den Brexit war, in der Gunst der Tory-Wähler vorn. Der nächste Parteichef wird in der Regel von den Mitgliedern gewählt, er soll im Herbst feststehen.


"Wir müssen Europa entgiften"
Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien muss Europa aus Sicht von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel zur Überwindung der Vertrauenskrise sozialer und gerechter werden. Es gebe eine „massive Spaltung zwischen Gewinnern und Verlierern“ in der Europäischen Union, sagte der Vizekanzler am Samstag in Bonn zum Auftakt einer Reihe von SPD-Regionalkonferenzen. Ob sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland in Zukunft weiter positiv entwickle, hänge entscheidend davon ab, ob Europa „stabil und kräftig“ bleibe. Gabriel betonte, Deutschland sei „Nettogewinner“ und nicht „Lastesel der Europäischen Union“, wie oft behauptet werde. Der Blick der Welt auf Europa werde sich ohne Großbritannien in der EU verändern. Rund 25 Millionen Menschen suchten in Europa Arbeit, darunter viele junge Leute - das sei „verheerend“, betonte Gabriel. „Da geht die Idee Europas verloren“ - und das erzeuge Wut und Verachtung. Der Zorn richte sich gegen das „Sparregime aus Brüssel“ und oft ebenfalls gegen Berlin. Klar sei daher, „dass wir Europa entgiften müssen“. Die EU sei von Anfang an auch als „Wohlstandsprojekt“ gedacht gewesen. Das gehöre dringend wieder stärker in den Fokus. Die EU-Schuldenländer brauchten mehr Freiraum für Investitionen in Wachstum, Arbeit und Bildung, forderte Gabriel. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den britischen Premierminister scharf kritisiert. Auf die Frage, was er davon halte, dass David Cameron erst im Oktober zurücktreten will, warf Schulz dem Premier vor, er nehme aus parteitaktischen Überlegungen erneut einen ganzen Kontinent „in Geiselhaft“. dpa dokumentiert den Wortlaut: „Offen gestanden: Ich finde das skandalös. Zum wiederholten Male wird ein ganzer Kontinent in Geiselhaft genommen für die parteiinternen Überlegungen der konservativen Partei Großbritanniens. Er hat vor drei Jahren, als er in seiner Partei unter Druck stand, den Radikalen am rechten Rand der Tories gesagt: Ich gebe Euch ein Referendum, dafür wählt Ihr mich wieder. Das hat geklappt. Da wurde ein ganzer Kontinent verhaftet für seine parteiinternen taktischen Unternehmungen. Jetzt ist das Referendum gescheitert. Jetzt sagt der gleiche Premierminister, ja, Ihr müsst aber warten, bis wir (...) mit Euch verhandeln, bis der Parteitag der Konservativen im Oktober getagt hat. Dann trete ich zurück, dann gibt's einen neuen Parteichef, der wird dann Premierminister. Also ehrlich gesagt: Man kann einen Parteitag auch morgen früh einberufen, wenn man das will. Ich finde das schon ein starkes Stück, das der Herr Cameron mit uns spielt.“ Quelle: dpa
Obama, Brexit Quelle: AP
Putin, Brexit Quelle: REUTERS
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: REUTERS
Portugals Präsident Marcelo Rebelo de Sousa erklärt, dass der Ausgang des Referendums „uns alle nur traurig stimmen kann“. In einer vom Präsidialamt am Freitag in Lissabon veröffentlichten Erklärung betonte das 67 Jahre alte Staatsoberhaupt aber auch: „Das Europäische Projekt bleibt gültig.“ Allerdings sei es „offensichtlich“, so Rebelo de Sousa, dass „die Ideale (der EU) neu überdacht und verstärkt“ werden müssten. Quelle: dpa
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz Quelle: dpa

+++ EU-Konservative nehmen Cameron vor Gipfel in die Pflicht +++

Die Konservativen und Christdemokraten im EU-Parlament nehmen den scheidenden britischen Premier David Cameron in die Pflicht. „Von Premier Cameron erwarten wir, dass er beim Gipfel Klarheit schafft, wie es nach dem Referendum weitergehen soll“, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Der Gipfel beginnt am Dienstagnachmittag in Brüssel. Zuvor kommt das Europaparlament zu einer Sondersitzung zusammen. „Er (Cameron) hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass für sein Land und Europa keine Phase der Unsicherheit eintritt“, fuhr Weber fort. Die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Staaten müssten bei dem zweitägigen Spitzentreffen „ein Signal der Besonnenheit, Geschlossenheit und Stärke“ geben.

+++ Brexit-Gespräche spätestens bis Mai 2019 beenden +++

Der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, will die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien spätestens vor der nächsten Europawahl abgeschlossen wissen. „Wann die Verhandlungen über den Brexit beginnen müssen, ist weniger wichtig, als dass sie bis zum Mai 2019 abgeschlossen sein müssen“, sagte Lambsdorff der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Dienstagsausgabe). Dann finde die nächste Europawahl statt, und an der könne Großbritannien „natürlich nicht mehr“ teilnehmen. „Deswegen brauchen wir jetzt einen verlässlichen Fahrplan, denn Politik und Wirtschaft brauchen Planungssicherheit.“


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