+++ Der Nachrichtenüberblick +++ Schottische Regierung droht mit Brexit-Veto

In der Labour-Partei tobt jetzt ein Machtkampf und die Schotten wollen den EU-Ausstieg noch verhindern. Die Reaktionen auf die Brexit-Entscheidung im Überblick.

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David Cameron Quelle: dpa

Nach dem Brexit-Votum wächst in der Europäischen Union der Druck auf Großbritannien, die Konsequenzen zu ziehen. Deutschland und die anderen fünf EU-Gründerstaaten fordern rasche Austrittsverhandlungen. Der britische Premier David Cameron hatte seinen Rücktritt bis Oktober angekündigt – die Verhandlungen solle erst sein Nachfolger führen. Die Reaktionen und Nachrichten vom Sonntag im Liveblog.

  • EU-Spitzen fordern von Briten schnellen Antrag auf Austritt
  • Brexit-Befürworter Johnson soll Camerons Justizminister auf seiner Seite haben
  • Mehrheit der Schotten in Umfrage für Unabhängigkeit
  • Knapp drei Millionen Briten unterzeichnen Petition für zweites Referendum

+++ Schottische Regierungschefin droht mit Brexit-Veto

Die Chefin der schottischen Regionalregierung Nicola Sturgeon hat gedroht, das schottische Parlament könne sich einem Brexit widersetzen. Sie könne sich kaum vorstellen, dass Großbritannien ohne die Zustimmung der schottischen Volksvertreter Gesetze verabschieden könne, die einen Brexit besiegelten, sagte Sturgeon der BBC am Sonntag. „Die Option, dass wir etwas ablehnen, was Schottlands Interessen zuwiderläuft, liegt natürlich auf dem Tisch“, sagte sie.

Sie gehe allerdings davon aus, dass die britische Regierung eine Zustimmung des schottischen Regionalparlaments nicht für notwendig hält, um den gesetzlichen Rahmen für einen Brexit zu schaffen. „Wir werden sehen, wo diese Diskussion endet“, sagte Sturgeon.

Die Schotten hatten - anders als die Mehrheit der Briten - bei dem Referendum am Donnerstag gegen einen Austritt des Königreichs aus der EU gestimmt. Seitdem sucht die Regierung in Edinburgh nach Wegen, um Schottlands Zugang zum Binnenmarkt zu erhalten. Auch ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum ist im Gespräch.

+++ EU-Außenbeauftragte kündigt Initiative für Gipfel an +++

Nach dem Schock des Brexit-Votums muss sich Europa nach Einschätzung der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini grundlegend verändern und dabei vor allem gemeinsame Interessen wie die Außen- und Sicherheitspolitik in den Mittelpunkt stellen. Für den EU-Gipfel Anfang der Woche in Brüssel kündigte die Italienerin im Interview des „Corriere della Sera“ am Sonntag eine entsprechende Initiative an. „Ich denke, es ist nützlich, etwas vorzulegen, das Selbstvertrauen bringt. Wir haben die Mittel, die Kraft und die Verantwortung, das zu tun. Auch wenn sich viel verändern muss.“

Als Schlüsselbereich nannte Mogherini die europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Es sollte Schluss sein mit der Illusion einer Art Weltpolizei, „die Demokratie exportiert“. Vielmehr sollte mit Blick auf die gemeinsamen Interessen aller Länder in der EU - etwa mit Blick die Lage im Mittelmeerraum - entsprechend gehandelt werden. „Benötigt werden eine gemeinsame Vision und gemeinschaftliches Handeln.“ Mogherini sprach sich dafür aus, das Verhältnis zur Nato zu verstärken, zugleich aber die eigenen Fähigkeiten zur Verteidigung weiterzuentwickeln und entsprechend in jedem Land zu investieren.

Mogherini trifft sich am Montag mit US-Außenminister John Kerry in Brüssel. Laut „Corriere“ war eigentlich am Wochenende ein Treffen in Rom geplant. Mogherini sagte dem Blatt aber, sie müsse in Brüssel bleiben. Am Dienstag werden die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel über den Austritt Großbritanniens aus der EU beraten.

+++ Schatten-Außenminister +++

Der nach dem Brexit-Referendum unter Druck geratene Labour-Chef Jeremy Corbyn hat einen seiner schärfsten Kritiker aus dem Schattenkabinett im britischen Parlament geworfen. Hilary Benn, bisher Schatten-Außenminister der Opposition, hatte öffentlich bezweifelt, dass der Parteilinke Corbyn mögliche Neuwahlen in den kommenden Monaten gewinnen könne. „Es gibt kein Vertrauen in unsere Fähigkeit, die nächste Wahl zu gewinnen, die früher als erwartet kommen kann“, hatte Benn in einem Statement gesagt. Er ist einer der angesehensten und erfahrensten Labour-Politiker in Großbritannien. Es galt am Sonntag als möglich, dass mehrere Mitglieder des Schattenkabinetts aus Protest zurücktreten würden.

Corbyn wird vorgeworfen, sich nicht entschieden genug für den Verbleib in der Europäischen Union eingesetzt zu haben. Viele Labour-Stammwähler haben für den Brexit gestimmt. Am Montag berät die Labour-Fraktion über ein Misstrauensvotum gegen Corbyn, der im vergangenen Herbst überraschend an die Parteispitze gewählt wurde und wenig Unterstützung unter den Abgeordneten hat.

+++ Altmaier: Entscheidung liegt allein in London +++

Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) geht nicht davon aus, dass die britische Regierung bereits am Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel einen Antrag auf den Austritt aus der Gemeinschaft stellen wird. „Dafür habe ich überhaupt keinen Hinweis, dass dies geschehen wird, sondern ich glaube eher, dass dieser Antrag in den nächsten Wochen oder Monaten gestellt wird, möglicherweise auch erst von einer neuen Regierung“, sagte Altmaier im „Deutschlandfunk“. Dagegen hatte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) die Regierung in London vor einer langen Hängepartie gewarnt, die zu noch mehr Verunsicherung führe. „Deshalb erwarten wir, dass die britische Regierung jetzt liefert. Der Gipfel am kommenden Dienstag ist hierfür der geeignete Zeitpunkt“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Nach Ansicht Altmaiers liegt die Entscheidung allein in London. „Diese Frage, ob und wann ein Mitgliedsland, das austreten möchte, einen solchen Antrag stellt, die muss in jedem Land selbst entschieden werden“, sagte er im Deutschlandfunk. „Das sollten wir nach meiner Auffassung, nach meiner persönlichen Auffassung, respektieren.“

+++ Fraktionen des EU-Parlaments drängen Briten +++

Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid

Der Druck auf London zur schnellstmöglichen Umsetzung Brexit-Entscheidung wächst. Nach den Spitzen der europäischen Institutionen und den Außenministern ‎der sechs EU-Gründerstaaten fordert nun auch das Europäische Parlament ‎die Regierung in London auf, unverzüglich die Verhandlungen zum Austritt aus der EU einzuleiten. Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ wollen die vier ‎großen Fraktionen des Parlaments - EVP, Sozialdemokraten, Liberale und ‎Grüne - Premierminister David Cameron auffordern, den Austrittswunsch beim ‎Treffen der Staats- und Regierungschefs am nächsten Dienstag zu erklären ‎und so das Austrittsverfahren zu starten.
Das sei nötig, „um schädliche ‎Ungewissheit für alle zu vermeiden und um die Integrität der Union zu ‎wahren“, heißt es in einem Entschließungsantrag für die Sondersitzung des ‎Europäischen Parlaments, der dem Blatt vorliegt. Die Fraktionen heben hervor, „dass jedwede neue Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und ‎der EU nicht vor dem Abschluss der Austrittsvereinbarung vereinbart werden ‎darf“.‎

+++ Camerons Justizminister für Johnson? +++

Der britische EU-Kritiker Boris Johnson ist laut einer Zeitung der Nachfolge von Premierminister David Cameron einen wichtigen Schritt nähergekommen. Justizminister Michael Gove habe Johnson am Samstag angerufen und dem früheren Londoner Bürgermeister seine Unterstützung zugesagt, berichtete die „Sunday Times“ am Sonntag. Gove gehörte beim historischen Referendum am Donnerstag ebenfalls zu den EU-Gegnern. Cameron, der für einen EU-Verbleib geworben hatte, will wegen des Brexit-Votums bis spätestens Oktober zurücktreten. Die regierende konservative Partei von Cameron und Johnson ist wegen der EU-Frage tief gespalten. Laut „Sunday Times“ wird Innenministerin Theresa May in den nächsten Tagen noch in das Rennen einsteigen. May hatte für einen EU-Verbleib geworben. Sie kann deswegen wahrscheinlich auf Unterstützung aus dem Cameron-Lager zählen.

+++ CDU-Politiker für schnelle EU-Aufnahme Schottlands +++

Der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum hat sich für eine baldige Aufnahme Schottlands in die EU ausgesprochen. „Die EU wird weiter aus 28 Mitgliedstaaten bestehen, denn ich rechne mit einem neuerlichen Unabhängigkeitsreferendum in Schottland, das dann Erfolg haben wird“, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für EU-Angelegenheiten im Bundestag der „Welt am Sonntag“. „Einen Aufnahmeantrag des EU-freundlichen Landes sollten wir schnell beantworten.“

Knappes Drittel der Deutschen will ebenfalls ein Referendum

+++ 59 Prozent der Schotten in Umfrage für Unabhängigkeit +++

Eine deutliche Mehrheit der Schotten spricht sich laut einer Umfrage für eine Abspaltung von Großbritannien aus. 59 Prozent der Befragten sind jetzt für die Unabhängigkeit, wie aus der Erhebung für die Zeitung „Sunday Post“ hervorgeht. Beim letzten Referendum zu der Frage im Jahr 2014 waren es nur 45 Prozent. Die Mehrheit war dafür, im Vereinigten Königreich zu bleiben. Eine Sorge war damals, dass Schottland nicht mehr Teil der Europäischen Union sein könnte. Nach dem Brexit-Votum hat sich die Stimmung geändert – in Schottland stimmten 62 Prozent der Bürger für den britischen EU-Verbleib. Sollte sich Schottland tatsächlich von Großbritannien abspalten, könnte das Land wieder der EU beitreten.

+++ Umfrage: Knappes Drittel der Deutschen will ebenfalls ein Referendum +++

Fast jeder dritte Bundesbürger spricht sich auch in Deutschland für ein Referendum über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union aus. Das geht aus einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die „Bild am Sonntag“ hervor. 29 Prozent seien demnach für eine solche Volksabstimmung, 63 Prozent lehnten dies ab. 63 Prozent der Deutschen finden das Brexit-Votum der Briten laut Emnid schlecht, nur elf Prozent gut. Zwei von drei Personen sprachen sich dafür aus, dass die EU jetzt grundlegend reformiert werden sollte. 21 Prozent sehen dafür keine Notwendigkeit. Für die Erhebung wurden am Freitag 500 repräsentativ ausgewählte Personen befragt.

+++ Neues Brexit-Referendum: 2,8 Millionen Briten dafür +++

Millionen Briten fordern ein zweites Referendum über die Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union. Eine offizielle Online-Petition an das Parlament in London hatte am Sonntagmorgen bereits 2,8 Millionen Unterzeichner. Diese verlangen, dass es eine neue Volksabstimmung geben soll, wenn die Wahlbeteiligung unter 75 Prozent liegt oder weniger als 60 Prozent der Wähler für oder gegen den Brexit stimmen. Beide Bedingungen treffen auf das Ergebnis des Referendums zu. Die Petition wurde bereits vor dem Votum am 23. Juni ins Netz gestellt. Sie findet derzeit rasant Zuspruch. Pro Minute kommen mehr als 3000 digitale Unterschriften hinzu. Starken Zuspruch findet die Petition im Raum London, wo der Widerstand gegen einen Brexit groß ist.

+++ Belgier wird Brexit-Beauftragter der EU +++

Ein belgischer Diplomat soll den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) vorbereiten. EU-Ratspräsident Donald Tusk benannte am Samstag Didier Seeuws für die Verhandlungen mit London, wie ein Sprecher mitteilte. Seeuws leitet derzeit das Ressort für Verkehr, Telekommunikation und Energie im Europäischen Rat. Nach der historischen Entscheidung dringen die EU-Mitgliedstaaten auf ein schnelles Ausscheiden Großbritanniens. Sie sehen sich unter Zeitdruck für eine Neuordnung, da in mehreren Ländern nach dem Brexit-Votum Befürworter eines EU-Austritts Aufwind erhalten.
Bei dem Referendum am Donnerstag hatte sich eine Mehrheit von fast 52 Prozent der britischen Wähler für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ausgesprochen, rund 48 Prozent votierten für einen Verbleib.

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