Abspaltung Schottische Nationalisten hoffen auf Unabhängigkeit

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Niemand weiß, wie viel Öl übrig ist

Sollten die Schotten sich aber tatsächlich aus der Union verabschieden, hätte das auch für die Ölindustrie Konsequenzen. Die Produktion des Nordsee-Öls trägt rund zwei Prozent zum britischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, umgelegt auf ein unabhängiges Schottland, wären es knapp 20 Prozent des dortigen BIPs.

Was die Briten an der EU stört
Mittelstand könnte beim Brexit-Referendum am 23. Juni den Ausschlag geben Quelle: dpa, Montage
Nationale IdentitätAls ehemalige Weltmacht ist Großbritanniens Politik noch immer auf Führung ausgelegt. London ist gewohnt, die Linie vorzugeben, statt sich mühsam auf die Suche nach Kompromissen zu begeben. „London denkt viel mehr global als europäisch“, sagt Katinka Barysch, Chefökonomin beim Centre for European Reform in London. Die Angst, von EU-Partnern aus dem Süden Europas noch tiefer in die ohnehin schon tiefe Krise gezogen zu werden, schürt zusätzliche Aversionen. Quelle: dpa
Finanztransaktionssteuer und Co.Die Londoner City ist trotz massiven Schrumpfkurses noch immer die Lebensader der britischen Wirtschaft. Großbritannien fühlt sich von Regulierungen, die in Brüssel ersonnen wurden, aber die City treffen, regelrecht bedroht. „Regulierungen etwa für Hedgefonds oder die Finanztransaktionssteuer treffen London viel mehr als jeden anderen in Europa“, sagt Barysch. Allerdings hatte die Londoner City in der Finanzkrise auch mehr Schaden angerichtet als andere Finanzplätze. Quelle: dpa
Regulierungen des ArbeitsmarktsGroßbritannien ist eines der am meisten deregulierten Länder Europas. Strenge Auflagen aus Brüssel, etwa bei Arbeitszeitvorgaben, stoßen auf wenig Verständnis auf der Insel. „Lasst uns so hart arbeiten wie wir wollen“, heißt es aus konservativen Kreisen. Quelle: dapd
EU-BürokratieDie Euroskeptiker unter den Briten halten die Bürokratie in Brüssel für ein wesentliches Wachstumshemmnis. Anti-Europäer in London glauben, dass Großbritannien bilaterale Handelsabkommen mit aufstrebenden Handelspartnern in aller Welt viel schneller aushandeln könne als der Block der 27. Die Euroskeptiker fordern auch, dass der Sitz des Europaparlaments in Straßburg (hier im Bild) abgeschafft wird und die Abgeordneten nur noch in Brüssel tagen. Quelle: dpa
MedienDie britische Presse ist fast durchgehend europafeindlich und prägt das Bild der EU auf der Insel. Das hat auch politische Wirkung. „Ich muss meinen Kollegen in Brüssel dauernd sagen, sie sollen nicht den 'Daily Express' lesen“, zitiert die „Financial Times“ einen britischen Minister. Quelle: dpa

Die meisten Experten gehen davon aus, dass Schottland rund 90 Prozent der britischen Ölreserven in der Nordsee zugeteilt werden, doch niemand weiß genau, wie viel noch übrig ist. Professor Alex Kemp von der Universität von Aberdeen, einer der angesehensten Ölexperten, schätzt die Ölreserven in der Nordsee auf 11,7 bis 35,2 Milliarden Barrel – aus der Erde gepumpt wurden dort seit den Siebzigerjahren mehr als 40 Milliarden Barrel.

In den Umfragen liegen die Befürworter der Union mit England zwar bisher konstant vorne, doch ihr Anteil schwankt. Zuletzt waren es rund 45 Prozent. Rund 13 Prozent der Wähler waren Anfang August noch unentschieden, sie sind hart umkämpft. Viele von ihnen leben in den ärmeren Stadtvierteln im Osten Glasgows.

Unheilige Allianz

In dieser Gegend ist Mary McCabe, eine Veteranin der Unabhängigkeitsbewegung, aktiv. Abends klappert sie mit dem Wählerregister in der Hand Häuser und Wohnungen ab, verteilt Faltblätter der Yes-Kampagne und befragt die Bürger nach ihren Wahlabsichten. Oft steht sie vor verschlossener Tür. Aber ihre gute Laune verliert die enthusiastische Schottin nie. Ebenso unerschütterlich ist ihr Glaube, dass die Regierung im Süden in einer unheiligen Allianz mit den englischen Medien eine Autonomie Schottlands schon seit Jahrzehnten mit unsauberen Mitteln verhindert hat. „Was wir nicht schon alles gehört haben: dass ein unabhängiges Schottland so arm wäre wie Bangladesch!“, empört sie sich. Dabei ergab der McCrone Report von 1974, dass Schottland wegen seines Ölreichtums nicht nur autark, sondern sogar reich wie die Schweiz werden könnte.

Ein Sieg des Ja-Lagers im September ist nicht unmöglich, vor allem wenn der charismatische Volkstribun Salmond in den letzten Wochen alle Register zieht. „Bei den Wahlen zum Regionalparlament 2011 lag er in den Umfragen hinten, holte dann aber beim Endspurt doch noch die Mehrheit“, warnt Alistair Carmichael, Schottland-Minister in London, der auf einer Hebriden-Insel geboren ist.

Was Königin Elizabeth II. über all das denkt, ist nicht bekannt. Wie jedes Jahr weilt sie den Sommer über auf Schloss Balmoral im Osten Schottlands. Ihre Ratschläge an den jeweiligen Premierminister, den sie in den Sitzungswochen des Parlaments traditionell einmal in der Woche zu einem vertraulichen Gespräch empfängt, unterliegen strikter Geheimhaltung. „Keep calm and carry on“ ist jedoch ein Motto, mit dem sie seit mehr als sechs Jahrzehnten schon einige Krisen gemeistert hat. Diese auch? n

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