Sollten die Schotten sich aber tatsächlich aus der Union verabschieden, hätte das auch für die Ölindustrie Konsequenzen. Die Produktion des Nordsee-Öls trägt rund zwei Prozent zum britischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei, umgelegt auf ein unabhängiges Schottland, wären es knapp 20 Prozent des dortigen BIPs.
Die meisten Experten gehen davon aus, dass Schottland rund 90 Prozent der britischen Ölreserven in der Nordsee zugeteilt werden, doch niemand weiß genau, wie viel noch übrig ist. Professor Alex Kemp von der Universität von Aberdeen, einer der angesehensten Ölexperten, schätzt die Ölreserven in der Nordsee auf 11,7 bis 35,2 Milliarden Barrel – aus der Erde gepumpt wurden dort seit den Siebzigerjahren mehr als 40 Milliarden Barrel.
In den Umfragen liegen die Befürworter der Union mit England zwar bisher konstant vorne, doch ihr Anteil schwankt. Zuletzt waren es rund 45 Prozent. Rund 13 Prozent der Wähler waren Anfang August noch unentschieden, sie sind hart umkämpft. Viele von ihnen leben in den ärmeren Stadtvierteln im Osten Glasgows.
Unheilige Allianz
In dieser Gegend ist Mary McCabe, eine Veteranin der Unabhängigkeitsbewegung, aktiv. Abends klappert sie mit dem Wählerregister in der Hand Häuser und Wohnungen ab, verteilt Faltblätter der Yes-Kampagne und befragt die Bürger nach ihren Wahlabsichten. Oft steht sie vor verschlossener Tür. Aber ihre gute Laune verliert die enthusiastische Schottin nie. Ebenso unerschütterlich ist ihr Glaube, dass die Regierung im Süden in einer unheiligen Allianz mit den englischen Medien eine Autonomie Schottlands schon seit Jahrzehnten mit unsauberen Mitteln verhindert hat. „Was wir nicht schon alles gehört haben: dass ein unabhängiges Schottland so arm wäre wie Bangladesch!“, empört sie sich. Dabei ergab der McCrone Report von 1974, dass Schottland wegen seines Ölreichtums nicht nur autark, sondern sogar reich wie die Schweiz werden könnte.
Ein Sieg des Ja-Lagers im September ist nicht unmöglich, vor allem wenn der charismatische Volkstribun Salmond in den letzten Wochen alle Register zieht. „Bei den Wahlen zum Regionalparlament 2011 lag er in den Umfragen hinten, holte dann aber beim Endspurt doch noch die Mehrheit“, warnt Alistair Carmichael, Schottland-Minister in London, der auf einer Hebriden-Insel geboren ist.
Was Königin Elizabeth II. über all das denkt, ist nicht bekannt. Wie jedes Jahr weilt sie den Sommer über auf Schloss Balmoral im Osten Schottlands. Ihre Ratschläge an den jeweiligen Premierminister, den sie in den Sitzungswochen des Parlaments traditionell einmal in der Woche zu einem vertraulichen Gespräch empfängt, unterliegen strikter Geheimhaltung. „Keep calm and carry on“ ist jedoch ein Motto, mit dem sie seit mehr als sechs Jahrzehnten schon einige Krisen gemeistert hat. Diese auch? n