Abwanderung Suche Einwohner, biete Dorf

Spanien und Frankreich spüren den Bevölkerungsschwund: Hunderte kleine Orte sind unbesiedelt und gleichen Geisterstädten. Warum sie trotzdem ihren Reiz haben. Und wie die Regierungen sie mit Leben füllen wollen.

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In diese Länder zieht es deutsche Auswanderer
Eine junge Familie läuft am 04.07.2014 auf dem Flughafen in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) zum Check-In für ihren Flug. Quelle: dpa
Deutschland ist im OECD-Raum das drittwichtigste Herkunftsland von Auswanderern. Quelle: dpa
Laut der OECD sind die deutschen Auswanderer in der Regel jung und gebildet Quelle: dpa
Die Volkswirtschaftslehre-Studentin Luisa verfolgt einen Vortrag Quelle: dpa
Ein Ingenieur "programmiert" am 12.04.2015 am Stand der Firma ABB mittels Bewegungen den Kleinroboter YuMi bei der Hannover Messe Quelle: dpa
Ein Mann hält am 16.10.2009 seinen Reisepass in eine automatische Passkontrolle. Quelle: dpa
Windmühle in Leiden Quelle: gms

Verlassene Dörfer in unberührter Natur finden sich in ganz Spanien und auch im Süden Frankreichs. Meist liegen sie in den schönsten Landschaften: Galizien in Nordwestspanien, den Pyrenäen und deren Ausläufern im Norden, in dünn besiedelten Teilen Kataloniens und von Valencia im Osten. In Frankreich locken das Zentralmassiv, Languedoc und auch Landstriche in der Mitte, in denen die Landwirtschaft nicht mehr rentabel ist.

Anders als in Spanien gibt es in Frankreich seit der Mitte der 70er-Jahre eine starke Bewegung „zurück zur Natur“, Aussteiger, teils politisch bewegt, zogen in Dörfer, denen die Landflucht übel mitgespielt hatte.

Wer durch die schmalen, unbewohnten Gassen eines verlassenen Weilers streift und die teils atemberaubende Aussicht etwa in den Pyrenäen genießt, spielt unwillkürlich mit dem Gedanken: Und wenn ich einfach mit Sack und Pack hierhin ziehe? Ein kleiner, kecker Verführer flüstert ins Ohr: Hängst Du wirklich so an Krach und Smog in deiner Großstadt? Sei kein Weichei, träum nicht vom Süden, nimm ihn dir!

Zweifel am geordneten Leben werden leicht gemacht, weil im Internet und in den Printmedien regelmäßig Geschichten auftauchen mit Titeln wie „Dorf zu verschenken“. Wer genauer hinsieht, stellt allerdings schnell fest: Oft hat hier nur ein schlauer Makler einen Köder ausgeworfen. Zu verschenken hat er nichts, nach einem, zwei günstigen Lockvogel-Angeboten landet man schnell bei Anwesen mit mehreren Häusern und viel Fläche, die allerdings zu fürstlichen Preisen offeriert werden.

Dennoch gibt es viele entvölkerte Dörfer. In Spanien wird ihre Zahl auf mehr als 3000 geschätzt, in Frankreich sind es weniger. Verschenkt wird selten etwas, und wer sich in einem der Geisterdörfer niederlässt, braucht im wahrsten Sinne des Wortes Pioniergeist.

Denn die früheren Einwohner hatten ihre Gründe dafür, dass sie ihre Natursteinhäuser, die vielleicht neben einer romanischen Kirche stehen, gegen eine anonyme Wohnung in einer hässlichen Großstadt tauschten: Es fehlt an allem, woran man gewöhnt ist, von Wasser über Strom bis zur Verkehrsanbindung. Und vor allem an Jobs.

In Spanien hat die Eisenbahn viele Strecken stillgelegt, und wenn nicht gerade der europäische Regionalfonds seine segnende Hand ausstreckte, wurden die Straßen zum letzten Mal asphaltiert, als die Bevölkerungszahl noch dafür ausreichte. Das war oft zu Zeiten Francos. Danach begann auch in Spanien die Abwanderung, entweder in die Städte, oder gleich ins Ausland.

Zurück geblieben sind Siedlungen mit einer Struktur, die manchmal bis ins Mittelalter zurückreicht. Es fällt schwer, sich ihrem Reiz zu entziehen, wenn man auf der Durchreise ist. Jeder grob behauene Stein, jeder Fenstersturz aus Holz, jeder aus zerborstenen Mauern wachsende Feigenbaum scheint einem zuzuraunen: Bleib hier!

Warum die wirtschaftlichen Perspektiven fehlen

Doch was man oft vergisst: Süden bedeutet nicht unbedingt ein liebliches Klima. Nicht nur in den Pyrenäen, auch in südlicheren, bergigen Regionen Spaniens wie Teruel im Osten wird es im Winter „kälter als der Hintern eines Eisbären“ sagt Mercedes, die in Madrid lebt und sich nur am Wochenende in das einsame Gebirge von Guadalajara nördlich der spanischen Hauptstadt zurückzieht.

Doch gerade die wilden Teile der Provinz Aragon haben ihren Reiz. Toni Calvo und seine Frau Maria-Jesus haben dort „Mas Blanco“, ein altes Anwesen, ausgebaut. Jahre lang gab es keinen Strom und kein fließendes Wasser, geheizt wurde mit nur einem Kamin. Wie der Teufel hinter der armen Seele war Toni hinter jedem Besucher her, der seiner Ansicht nach zu verschwenderisch mit dem Wasser umging, das per Lastwagen geliefert wurde. Doch wenn man die Möglichkeit hat, auch nur ein paar Tage in dieser Einsamkeit zu verbringen, spürt man den Reiz: Alle Hektik fällt von einem ab, man kommt mit wenig aus. Das entspannt mehr als ein ganzer Urlaub.

Echte Neusiedler lassen sich ohnehin nicht abschrecken von harten Bedingungen. Dank Solarstrom, moderner Brunnenbohrtechnik und Internet per Satellit ist es auch wesentlich einfacher geworden, sich in verwunschenen Gegenden niederzulassen, ohne wie im Mittelalter leben zu müssen. Das entscheidende Hindernis sind meist die fehlenden wirtschaftlichen Perspektiven.

Wer nicht gerade das Glück hat, seinen Job per Internet erledigen zu können, hat nur eine Alternative: Er muss sich in der Landwirtschaft versuchen und mit extrem wenig Geld, aber äußerst viel Arbeit zurechtkommen.

Die junge Belgierin Nele hat sich mit ihrem Mann darauf eingelassen. In den Pyrenäen am äußersten Südrand Frankreichs, knapp vor der spanischen Grenze bei Saint-Laurent-de-Cerdans, bewirtschaften sie einen kleinen Hof. Wichtigstes Erzeugnis ist der Ziegenkäse, den sie in drei verschiedenen Reifegraden herstellen und auf den Märkten der Umgebung verkaufen.

„Zusammen mit den Zimmern, die wir an Touristen vermieten, reicht das zum Leben“, sagt Nele, während ihr Sohn mit dem Dreirad über die Terrasse aus Natursteinen brettert. Seine Kindheit muss traumhaft sein, auch wenn es ein wenig an Freunden mangelt: Der Hof liegt abseits der Landstraße und ist nur über eine eigene Serpentinen-Piste zu erreichen. Wenn der Kleine schulpflichtig wird, beginnt für die Eltern der Zubringerdienst.

Warum Investoren bisher gescheitert sind

In Frankreich kam 2012 das Thema Wiederbesiedlung verlassener Dörfer richtig in Schwung, weil der Bürgermeister von Courbefy im Département Haute Vienne mit einer gelungenen PR-Aktion sein Dorf mit 21 Häusern zum Kauf anbot. Fernsehteams aller großen Sender schwärmten aus und filmten alle denselben Pool mit grünlichem Wasser: Verschiedene Investoren hatten in den zurückliegenden Jahren vergeblich versucht, das Dorf touristisch zu entwickeln.

Den Zuschlag für rund 500.000 Euro erhielt ein koreanischer Fotograf. Er schnappte das Dorf der TV-Produktionsfirma Endemol vor der Nase weg, die sich vielleicht ein neues Format mit dem Algenpool in der Hauptrolle überlegt hatte. Später kam raus, dass der wirkliche Käufer der koreanische Milliardär Yoo Byung-Eun war. Als im vergangenen Jahr dessen Fähre „Sewol“ kenterte und 300 Menschen in den Tod riss, beging er Selbstmord. In Courbefy steht immer noch das grüne Wasser im Pool.

Erfolgreicher als der Bürgermeister von Courbefy ist der des spanischen Dörfchens Olmeda de la Cuesta auf der trockenen Hochebene von Castilla-La Mancha, wo es im Sommer glühend heiß und im Winter bitterkalt ist. Kein Wunder, dass bis auf 39 standhafte Seelen, ungefähr ein Drittel so viel, wie es Häuser gibt, alle das Handtuch geworfen haben.

Der Bürgermeister José Luis Regacho Duque aber konnte gerade erfolgreich eine Auktion leer stehender Häuser abschließen. Das günstigste ging für 1850 Euro weg. Vielleicht sollte José Luis eine zweite Karriere als Berater sterbender Dörfer starten.

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