Verlassene Dörfer in unberührter Natur finden sich in ganz Spanien und auch im Süden Frankreichs. Meist liegen sie in den schönsten Landschaften: Galizien in Nordwestspanien, den Pyrenäen und deren Ausläufern im Norden, in dünn besiedelten Teilen Kataloniens und von Valencia im Osten. In Frankreich locken das Zentralmassiv, Languedoc und auch Landstriche in der Mitte, in denen die Landwirtschaft nicht mehr rentabel ist.
Anders als in Spanien gibt es in Frankreich seit der Mitte der 70er-Jahre eine starke Bewegung „zurück zur Natur“, Aussteiger, teils politisch bewegt, zogen in Dörfer, denen die Landflucht übel mitgespielt hatte.
Wer durch die schmalen, unbewohnten Gassen eines verlassenen Weilers streift und die teils atemberaubende Aussicht etwa in den Pyrenäen genießt, spielt unwillkürlich mit dem Gedanken: Und wenn ich einfach mit Sack und Pack hierhin ziehe? Ein kleiner, kecker Verführer flüstert ins Ohr: Hängst Du wirklich so an Krach und Smog in deiner Großstadt? Sei kein Weichei, träum nicht vom Süden, nimm ihn dir!
Zweifel am geordneten Leben werden leicht gemacht, weil im Internet und in den Printmedien regelmäßig Geschichten auftauchen mit Titeln wie „Dorf zu verschenken“. Wer genauer hinsieht, stellt allerdings schnell fest: Oft hat hier nur ein schlauer Makler einen Köder ausgeworfen. Zu verschenken hat er nichts, nach einem, zwei günstigen Lockvogel-Angeboten landet man schnell bei Anwesen mit mehreren Häusern und viel Fläche, die allerdings zu fürstlichen Preisen offeriert werden.
Dennoch gibt es viele entvölkerte Dörfer. In Spanien wird ihre Zahl auf mehr als 3000 geschätzt, in Frankreich sind es weniger. Verschenkt wird selten etwas, und wer sich in einem der Geisterdörfer niederlässt, braucht im wahrsten Sinne des Wortes Pioniergeist.
Denn die früheren Einwohner hatten ihre Gründe dafür, dass sie ihre Natursteinhäuser, die vielleicht neben einer romanischen Kirche stehen, gegen eine anonyme Wohnung in einer hässlichen Großstadt tauschten: Es fehlt an allem, woran man gewöhnt ist, von Wasser über Strom bis zur Verkehrsanbindung. Und vor allem an Jobs.
In Spanien hat die Eisenbahn viele Strecken stillgelegt, und wenn nicht gerade der europäische Regionalfonds seine segnende Hand ausstreckte, wurden die Straßen zum letzten Mal asphaltiert, als die Bevölkerungszahl noch dafür ausreichte. Das war oft zu Zeiten Francos. Danach begann auch in Spanien die Abwanderung, entweder in die Städte, oder gleich ins Ausland.
Zurück geblieben sind Siedlungen mit einer Struktur, die manchmal bis ins Mittelalter zurückreicht. Es fällt schwer, sich ihrem Reiz zu entziehen, wenn man auf der Durchreise ist. Jeder grob behauene Stein, jeder Fenstersturz aus Holz, jeder aus zerborstenen Mauern wachsende Feigenbaum scheint einem zuzuraunen: Bleib hier!