Frau Voßhoff, Sie sind seit zwei Jahren Datenschutzbeauftragte des Bundes. Die Opposition kritisiert, man würde Ihre Stimme kaum wahrnehmen. Warum sind Sie so ruhig?
Andrea Voßhoff: Mit meinem Amtsantritt habe ich eine Behörde übernommen, die mangels ausreichender personeller Ausstattung nur in Teilen ihrem gesetzlichen Auftrag einer funktionsfähigen Aufsicht und Kontrolle nachkommen kann. Der Schwerpunkt meiner Arbeit konzentriert sich daher darauf, dies zu ändern. Mit einer deutlichen Personalaufstockung in diesem Jahr ist hier ein erster Schritt erfolgt.
Zur Person
Voßhoff, 57, ist seit Ende 2013 Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Als Bundestagsabgeordnete stimmte die CDU-Politikerin vor acht Jahren für die Vorratsdatenspeicherung. Heute ist sie vehemente Gegnerin - und gilt auch bei der Opposition inzwischen als Kämpferin für den Datenschutz.
Ende vergangenen Jahres hat sich Brüssel auf eine europäische Datenschutz-Grundverordnung verständigt. Sind damit alle Bedenken, Unternehmen wie Google und Facebook könnten persönliche Daten missbrauchen, vom Tisch?
Ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht stärkt den Datenschutz im digitalen Zeitalter erheblich. Unternehmen können sich in Europa ab 2018 nicht mehr aussuchen, in welchem Land das niedrigste Datenschutzniveau gilt. Unternehmen, die ihren Sitz nicht in Europa haben, aber auf dem europäischen Markt Kunden akquirieren, haben europäisches Datenschutzrecht anzuwenden. Das ist sehr zu begrüßen, auch wenn ich mir in der Grundverordnung an einigen Stellen klarere Formulierungen und Definitionen von Grundbegriffen gewünscht hätte, wie zum Beispiel bei der Frage, welche Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung der Bürger zur Nutzung ihrer persönlichen Daten vorliegen müssen.
Inwiefern?
Im Gesetz sollten die Voraussetzungen für eine Einwilligung klar formuliert und nicht auslegungsbedürftig sein. So hätte ich mir gewünscht, das Gesetz hätte generell immer eine ‚ausdrückliche‘ Einwilligung vorgesehen. Jetzt reicht unter bestimmten Voraussetzungen die ‚unzweideutige‘. Dies ermöglicht Interpretationsspielräume, die es den Unternehmen erlauben, die Einwilligung in pauschalen Erklärungen zu verstecken, die der Nutzer dann stillschweigend akzeptiert.
Das heißt, Sie fürchten trotz der Datenschutz-Grundverordnung den Datenmissbrauch durch Unternehmen wie Google und Apple?
Ich will keinem Unternehmen Missbrauch unterstellen. In einer zentralen Frage, ob der Nutzer auch erkennen kann, was mit seinen Daten geschieht, sollte es jedoch keine Interpretationsspielräume geben. Ich denke, dass wir in Zukunft stärker darauf achten müssen, ob Einwilligungen tatsächlich auch freiwillig erteilt worden sind.
Drückt das europäische Recht den deutschen Schutz nach unten?
Ich denke nicht. Viele Grundprinzipien wie die Zweckbindung, der Gesetzesvorbehalt und die Datensparsamkeit, die wir im deutschen Recht kennen, wurden in der Grundverordnung übernommen. Zudem haben die Mitgliedsstaaten über Öffnungsklauseln an einigen Stellen die Möglichkeit der nationalen Ausgestaltung. Aber grundsätzlich gilt: Der Datenschutz in der EU-Verordnung ist hoch und gut. Der große Vorteil ist die europäische Einheitlichkeit. Das ist zudem auch für Unternehmen ein riesiger Vorteil, da sie sich künftig nicht mehr mit 28 nationalen Datenschutzregimen auseinander setzen müssen. Das hat Strahlkraft für die Notwendigkeit, auch internationale Datenschutzstandards zu entwickeln.
Datenschutz als Wettbewerbsvorteil
Ihre Behörde ist seit Anfang des Jahres vom Bundesinnenministerium unabhängig. Was wird nun besser?
Die Behörde ist jetzt eine eigenständige oberste Bundesbehörde, in etwa vergleichbar mit dem Bundesrechnungshof. Das stärkt die Stellung der Behörde und damit den Datenschutz erheblich. Durch die Datenschutzgrundverordnung erhalten die Aufsichtsbehörden zudem zusätzlichen Sanktionsmöglichkeiten. Unternehmen müssen bei Verstößen mit hohen Bußgeldern rechnen.
Das heißt, die Unternehmen müssen sich jetzt warm anziehen?
Nur dann, wenn sie den Datenschutz missachten. Die in der Datenschutzgrundverordnung vorgesehenen Sanktionsmöglichkeiten sollten die Unternehmen vielmehr dazu motivieren, den Datenschutz als einen Wettbewerbsvorteil zu verstehen. Datenschutz sollte als Qualitätsmerkmal bei Unternehmensentscheidungen eine stärkere Rolle spielen.
Bislang sind Sanktionen den 16 Datenschutzbeauftragten der Länder vorbehalten. Sie dürfen bislang nur formell anprangern. Macht diese Struktur überhaupt noch Sinn, wenn Ihre Bundesbehörde in Zukunft auch Strafen verhängen darf?
Deutschland ist das einzige Land, in dem die Datenschutzaufsicht föderal aufgebaut ist. Mit der Grundverordnung wird sich daran nichts ändern. Die Herausforderung wird sein, in Rechtsfragen auch national zu einheitlichen Entscheidungen zu kommen. Dazu müssen wir uns in Zukunft noch enger abstimmen, denn Europa erwartet, dass wir mit einer Stimme sprechen.
Wie fällt Ihr Urteil über die Bundesregierung nach der Hälfte der Legislaturperiode aus?
Positiv ist die Herstellung der völligen Unabhängigkeit meiner Behörde und die damit verbundene personelle Aufstockung. Es ist ein wichtiges Signal zur Stärkung der Datenschutzaufsicht. Die Bundesregierung hat zunächst zögerlich, dann aber konsequent an der Umsetzung der europäischen Datenschutzgrundverordnung mitgearbeitet. Jetzt muss die Bundesregierung zügig die notwendigen Anpassungen im nationalen Recht in Angriff nehmen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht negativ ist die nach wie vor offene Umsetzung des Beschäftigtendatenschutzes sowie die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung.
Die Sie selbst einmal vor Ihrer Zeit als Bundesdatenschutzbeauftragte unterstützt haben…
Das war vor acht Jahren. In der Zwischenzeit hat es unter anderem ein Urteil des EuGH gegeben, das den massiven Grundrechtseingriff einer Vorratsdatenspeicherung betont und hohe Hürden für eine Wiedereinführung aufgestellt hat. Dies hat mich zu der Bewertung veranlasst, dass der Nutzen für die Sicherheitsbehörden unter den neuen strengen Auflagen nicht mehr in Relation zu dem massiven Grundrechtseingriff steht, den die Vorratsdatenspeicherung für die Bürger bedeutet. Aus diesem Grund habe ich auch das aktuelle Gesetz kritisiert. Ich bezweifle, dass die Vorgaben des EuGH eingehalten werden, nach denen eine flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ohne zumindest den Ansatz eines konkreten Anlasses nicht zulässig ist.