Andreas Georgiou Griechenlands Sündenbock für die Statistiktricks

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Andreas Georgiou gilt in der Athener Politik nun als "Ausländer"

Zum ersten Konflikt mit dem siebenköpfigen Aufsichtsrat kommt es, als er die halbjährlichen Zahlen nicht zur Abstimmung stellen will. „Ein absurder Vorgang“, erinnert sich Georgiou. „Wir ermitteln Zahlen, und dann soll man darüber abstimmen? Das ergibt doch keinen Sinn.“

Von nun an wird Georgious Arbeit immer schwieriger. Hilfe, sagt er heute, habe er von seinem Kollegen von Eurostat bekommen. „Von griechischer Seite wurden uns nur Steine in den Weg gelegt.“ Die Mitarbeiterzahl schrumpft, der politische Druck steigt. Irgendwann wird sein E-Mail-Account vom Aufsichtsratsvize geknackt, so schildert Georgiou es. Der Mann ohne Netzwerk in der Athener Politik gilt nun als Ausländer, der „mit dem IWF unter einer Decke steckt“.

2013 wird Georgiou angeklagt. Er habe das griechische Defizit aus dem Jahre 2009 „künstlich aufgebläht“. Seine Gegner behaupten, dadurch sei Griechenland mit einer schlechteren Position in die Verhandlungen um das erste Rettungspaket gegangen, und somit sei dem Land ein Schaden von 170 Milliarden Euro entstanden. Darauf steht lebenslange Haft.

Die größten Pleitestaaten der Welt
Norwegische Insel Quelle: dpa
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Brunnen am österreichischen Parlamentsgebäude Quelle: dpa
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Big Ben und Westminster Abbey Quelle: REUTERS

Dreimal wird das Verfahren eingestellt, dreimal wieder aufgenommen – zuletzt am 29. Mai dieses Jahres. Außerdem wird Georgiou wegen Pflichtverletzung angeklagt. Auch dieses Verfahren wird mehrfach eingestellt und wieder aufgenommen. Weil Georgiou 2014 in einer Pressemeldung fragte, wie es sein könne, dass zwar er sich vor Gericht verantworten müsse, nicht aber sein Vorgänger, wird er von eben jenem Vorgänger wegen Rufmord angeklagt. Im Mai dieses Jahres stellt ein Gericht fest: Georgiou habe zwar die Wahrheit gesagt, hätte dies aber nicht öffentlich äußern dürfen.

„Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die Verfahren immer wieder eröffnet werden“, sagt Gerry O’Hanlon, der über Elstat an Eurostat berichtet. Hanlon vermutet politische Gründe. „Für viele Menschen in Griechenland ist Georgiou der Sündenbock für die Austeritätspolitik.“ Eine Mitarbeiterin der Behörde sagt über Georgiou, die Enttäuschungen hätten ihn verbittert, am Ende hätte es keine Kommunikation mehr zwischen Elstat und anderen Behörden gegeben. Innerhalb der Elstat hätte Georgiou mit Misstrauen und Mikromanagement reagiert. „Er hat öffentlich seine Vorgänger beschuldigt“, sagt die Frau und zuckt mit den Schultern. „Was hat er erwartet?“

Nachfolger Thanopoulos hat sich eingearbeitet. Ein Mensch, der Fußball und Witze liebt. Erst vor Kurzem ist er an die personalisierten Steuerdaten gekommen, was seinem Vorgänger nicht gelang. So etwas funktioniere eben nur, wenn man Beziehungen aufbaue.

Thanopoulos ist bemüht, einen guten Eindruck von Elstat zu vermitteln. Im März etwa, da habe Premier Alexis Tsipras Wirtschaftswachstum verkündet. Er, der Elstat-Chef, habe öffentlich widersprochen, indem er wenige Tage später ganz andere Zahlen gemeldet habe. „Ich bekomme keine Anrufe von Politikern, die mir sagen, was ich zu veröffentlichen habe.“

Und doch bleiben Fragen: Wie unabhängig kann eine Behörde arbeiten, deren ehemaliger Direktor mit Verfahren überzogen wird?

Und wann werden Politiker erneut versuchen, auf die Statistik Einfluss zu nehmen? Der nächste Prozess gegen Andreas Georgiou beginnt im Juli.

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