Was haben Sie dagegen, dass die großen Stromkonzerne weniger Profite machen und die Bürger entlastet werden?
Ich habe nichts dagegen, die Bürger zu entlasten. Das ist per se gut, keine Frage. Aber es geht doch darum, ob die Politik nachhaltig ist. Ich befürchte: nein! Per Steuererhöhungen für die Versorger wurden die Kosten für die Verbraucher um bis zu 20 Prozent gesenkt. Das Problem ist, dass die Energieunternehmen keine Profite in gleicher Höhe zuvor gemacht haben. Natürlich haben die Konzerne – Stromversorger, Wasserwerke und die Müllabfuhr – Gewinne gemacht, aber sie haben auch kräftig investiert. Wahrscheinlich könnten sie auch Verluste verkraften, aber nicht in der Höhe. Das ist verrückt und hat gefährliche Folgen.
Fürchten Sie ein Ende der Versorgungssicherheit? Wird es bald dunkel in Ungarn?
Die Folgen sind schon jetzt zu sehen. Konzerne aus Deutschland, wie zum Beispiel E.on, oder aus Frankreich, verlassen das Land. Die Kommunen, die ebenfalls leiden, können nicht weg, und müssen sehen, wie sie die Kosten tragen. Das Ergebnis ist: Es gibt keine Investitionen. Das heißt nicht nur, dass keine neue Leitungen gebaut werden und die Infrastruktur nicht verbessert wird. Nein, sogar die Instandhaltung wird vernachlässigt. Das bekommen die Bürger nicht sofort mit. Einen Aufschrei wird es erst geben, wenn es einen Stromausfall gibt. Ich halte das in absehbarer Zeit nicht für unwahrscheinlich. Darüber hinaus gibt es noch zwei weitere Punkt, die man nicht vergessen darf.
Die umstrittenen Verfassungsänderungen
Die Höchstrichter dürfen Verfassungsänderungen und -zusätze künftig nur mehr noch verfahrensrechtlich, nicht mehr inhaltlich prüfen. Darüber hinaus ist es ihnen verwehrt, sich auf die eigene Spruchpraxis aus der Zeit vor Inkrafttreten der derzeitigen Verfassung im Januar 2012 zu berufen.
Die vom Ministerpräsidenten ernannte Leiterin des Nationalen Justizamtes bekommt eine Vollmacht, um in bestimmten Fällen die Gerichte zuzuweisen.
Es soll die Möglichkeit geben, dass Wahlwerbung in privaten Medien verboten werden kann.
Wenn Obdachlose auf der Straße übernachten, können sie dafür ins Gefängnis kommen.
Die Regierungsmehrheit im Parlament erhält die Möglichkeit willkürlich über die Zuerkennung des Kirchenstatus zu entscheiden.
Der bisher von der Verfassung gewährte Schutz der Familie soll auf Mann und Frau, die miteinander verheiratet sind und Kinder großziehen, eingeengt werden.
Die Finanzautonomie der Universitäten wird durch von der Regierung eingesetzte Wirtschaftsdirektoren („Kanzler“) eingeengt.
Es gibt per Gesetz die Möglichkeit, Universitätsabgänger, die ohne Studiengebühren studiert haben, auf das Bleiben in Ungarn zu verpflichten.
Und zwar?
Die administrative Preissenkungspolitik führt dazu, dass die Leute nicht zum Sparen erzogen werden. Wenn die Preise künstlich niedrig sind, wird keiner sorgsam mit den Ressourcen umgehen. Warum sollen die Bürger energiesparende Kühlschränke kaufen, warum sollen sie Sparlampen verwenden? Es gibt keine Motivation zum schonenden Umgang mit der Energie und unserer Umwelt. Zweitens: Ein jeder ungarischer Staatsbürger, der Strom oder Wasser verbraucht, genießt die Preissenkungen. Auch die Bürger, die ihr Schwimmbecken heizen. Das ist nicht sozial. Es gibt Bürger, die konnten ihre Stromrechnung nicht zahlen. Denen zu helfen, gehört in den Bereich der sozialen Solidarität. Aber alle Bürger zu subventionieren auf Kosten der Unternehmen und der ungarischen Infrastruktur, ist gegen jede wirtschaftliche Vernunft. Das gilt im Übrigen auch für die einheitliche Einkommensteuer. Seit 2010 muss jeder Ungar, egal, welches Einkommen er bezieht, nur noch 16 Prozent davon versteuern.
Davon müssten Sie profitiert haben!
Das stimmt, ich sollte Orbán danken. (lacht) Im Ernst: Mein Gehalt wurde früher mit 42 Prozent besteuert, jetzt mit 16 Prozent. Das ist für mich schön, aber ich halte es nicht für sozial verträglich, ganz zu schweigen von den negativen Konsequenzen für die Einnahmen des Staatshaushaltes. Es gab vor 2010 Leute, die solch ein kleines Einkommen hatten, dass sie nicht einmal 16 Prozent Steuern zahlen mussten. Die zahlen nun drauf. Das kann wirklich sein. Außerdem leidet der Staatshaushalt. Zwei Milliarden Euro fehlen dem Land – Jahr für Jahr.