Wer am vergangenen Freitag nichts anderes getan hätte, als abends auf die Kurstafel des britischen Leitindex FTSE zu schauen, hätte nichts Schlimmes erahnt. Zwar stand am Ende ein Minus von 2,5 Prozent. Doch das könnte ein üblicher Freitag gewesen sein, mit Abgaben vor dem Wochenende wegen Zins- und Konjunkturunsicherheiten zum Beispiel oder einfach nur weil das Wetter schlecht war: Regen drückt laut Verhaltensforschern auch auf das Gemüt der Investoren.
Doch der Freitag war alles andere als normal. Genau genommen, gab es sogar eine große Überraschung – weil das Kursminus in London nur 2,5 Prozent und nicht mehr betrug; in Frankfurt waren die Kurse zum Handelsende fast dreimal so stark gestürzt. Der Goldpreis dagegen sprang um zeitweise zehn Prozent binnen weniger Handelssitzungen hoch.
Auch deshalb hat nicht jeder Minuszeichen in seinem Depot.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Mit einer simplen Strategie können Anleger an den Chancen von Aktien teilhaben und gleichzeitig die Risiken begrenzen. Die WirtschaftsWoche hat die Strategie mehrfach vorgestellt (etwa in Ausgabe 3/2012) und regelmäßig verfolgt. Seit Anfang 2009 brachte ein Mischdepot aus Aktien, Anleihen, Gold und Cash insgesamt 88 Prozent Gewinn, 2012 gestartete Anleger liegen gut 30 Prozent vorn.
Kaum zu glauben: Selbst den Brexit-Freitag beendete das Mischdepot mit 1,3 Prozent Gewinn. Eine ausgewogene Mischung im Depot, die Anleger einmal jährlich anpassen, sollte sich auch weiterhin auszahlen.
Keine Angst vor Aktien
Trotz aller Unsicherheit führt kein Weg an Aktien vorbei.
Mit der langfristigen Beteiligung an Unternehmen haben Anleger – in 15-Jahres-Zeiträumen gedacht – seit mehr als 50 Jahren kein Geld mehr verloren, selbst wenn sie zum schlechtesten Zeitpunkt eingestiegen waren. Zweifellos jedoch sind Aktien immer noch nicht günstig, auf Basis der jüngsten Ergebnisse kostet der Dax etwa die 21-fachen Jahresgewinne der in ihm enthaltenen Unternehmen. Richtig günstig wäre das Zehnfache. Und doch: Auswirkungen des Brexits werden mit großer Wahrscheinlichkeit „nicht groß genug sein, um die Weltwirtschaft in eine Rezession zu treiben“, sagt Joachim Fels, Global Economic Advisor des Anlagegiganten Pimco.
These: Die Börsen haben ihre Tiefs noch nicht erreicht.
Das bisherige Jahrestief um 8700 Punkte wird in nächster Zeit anvisiert; auch ein nochmaliger starker Absturz in die Zone 7000/7500 Punkte ist gut möglich. Das Allzeithoch von mehr als 12 300 Punkten aus dem Frühjahr 2015 wird dieses Jahr nicht mehr übertroffen.
Strategie: Wichtiger als der Indexstand ist die Betrachtung der einzelnen Aktien. Langfristanleger sollten Geschäftsmodelle kaufen, keine Indizes und keine Konjunkturszenarien, keinen Brexit oder „Doch-nicht-Brexit“. Strategisch interessant sind angesichts internationaler Unsicherheiten von Terror über die US-Wahl bis zur Zinspolitik der US-Notenbank derzeit vor allem Aktien mit einem starken heimischen Bezug. „Die deutsche Industrie bleibt trotz der Gefahren aus der Brexit-Entscheidung gelassen“, konstatiert Daniel Hartmann, Senior Analyst bei Bantleon. Der Mobilfunkvertrieb Freenet, der Versorger Lechwerke, die Stuttgarter Börse Euwax oder die Direktbank Comdirect sind vom Brexit wenig betroffen und bieten feine Dividendenrenditen von bis zu sieben Prozent. Langfristig stabil sind familiendominierte, schuldenfreie Unternehmen wie Dax-Wert Beiersdorf. Und für Schwergewicht Siemens ist Großbritannien zwar der viertgrößte Markt mit vier Milliarden Euro Umsatz (5,3 Prozent der Gesamterlöse). Wer jedoch wie die Münchner seit 1843 auf der britischen Insel tätig ist, für den sollte ein Brexit eher ein laues Lüftchen sein.
Anleihen: Tiefer geht’s immer
Der größte Fehler, den Anleger seit Jahren machen konnten, ist es, den vermeintlich unattraktiven, weil niedrige Zinsen bietenden Anleihemarkt zu meiden. Stattdessen hofften viele immer wieder auf Tagesgeldzinsen von drei oder vier Prozent. Nun bringen die Bankkonten null bis ein kleines bisschen, während mit Anleihen auch dieses Jahr fulminant verdient werden konnte. So hat seit Jahresbeginn beispielsweise eine Investition in eine noch zehn Jahre lang laufende Anleihe des Sportartikelkonzerns Adidas acht Prozent Wertzuwachs gebracht, über Kursgewinne plus Zins.
These: Der Brexit führt tendenziell dazu, dass die Zinsen für Spitzenbonitäten, wie Bundesanleihen sie haben, weiter sehr niedrig bis negativ bleiben.
Sollte die jüngste Dollar-Stärke nicht nur temporär bleiben, könnte dies auf die Rohstoffpreise drücken. Dies würde wiederum die Inflationserwartungen erneut in die Tiefe schicken, (US-)Zinserhöhungen wären spätestens dann obsolet.
Strategie: Gerade wegen der Extremniedrigzinsen sollten Anleger Anleihen nicht außer Acht lassen. Je nach Laufzeit lassen sich bei Adressen von Adidas bis Sixt 0,8 bis 2,4 Prozent Zinsen holen. Im Durchschnitt bringen die Papiere 1,3 Prozent Rendite über 6,7 Jahren Restlaufzeit. Nicht viel, aber doch rentierlicher und womöglich auch sicherer als eine mittelfristige Bankeinlage, gerade bei hohen Summen.
Gold: Kein Comeback, war nie weg
Gold sei riskant, schwanke stark, Anleger machten selten Gewinne – Gerüchte, von denjenigen in die Welt gesetzt, die an Gold nichts verdienen: den Verwaltern von Vermögen in den Banktürmen also. Die Fakten: Der Goldpreis wird 2016 aller Voraussicht nach von den vergangenen 18 Jahren 17 Mal im Plus abgeschlossen haben, in Euro gerechnet, alles andere ist uninteressant.
„Die wachsende Unsicherheit hinsichtlich wirtschaftlicher sowie politischer Entwicklungen beflügelt den Preis“, sagt Ronald-Peter Stöferle, Fondsmanager bei Incrementum.
These: 20 bis 25 Prozent des liquiden Vermögens gehören weiterhin in Gold. Wer Immobilien besitzt, kommt mit der halben Quote aus. Das Edelmetall ist Krisenversicherung, nicht Renditeanlage.
Strategie: Anleger sollten Gold physisch halten, gestreut in Unzen und Barren, oder als Tauschreserve auch in kleineren Einheiten.