WirtschaftsWoche: Herr Professor Kerber, die Finanzmärkte haben auf die Ankündigung der EZB, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen, mit Jubel und Kursgewinnen reagiert. Ist das die Lösung der Krise?
Markus Kerber: Die EZB ist mit ihrer Entscheidung in neue Dimension vorgestoßen. Die unlimitierte Bereitschaft zum Ankauf von Staatsanleihen ist ökonomisch gleichbedeutend mit der Staatsfinanzierung über die Notenpresse, die nach Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verboten ist. Die Finanzmärkte bejubeln das, weil die EZB den Spielern auf den Märkten Sicherheit verschafft. Die Kurse für Staatsanleihen können nicht ins Bodenlose fallen und die Anleger wissen, dass sie nicht auf ihren Papieren sitzen bleiben. Schon die bisher limitierten Anleihekäufe der EZB haben die Marktpreise und den Wettbewerb verzerrt, unlimitierte Käufe werden diese negativen Effekte noch verstärken.
Kritiker fürchten, der Reformdruck in den Krisenländern werde durch die Käufe nachlassen.
Kauft die EZB Staatsanleihen, stützt sie deren Kurse und drückt die Zinsen nach unten. Das senkt den Reformdruck für die Krisenländer. Geht ein Krisenland Bankrott und zahlt seine Anleihen nicht vollständig zurück, sitzt die EZB auf einem Haufen von Schrottanleihen, deren Wert unbestimmt ist. Abgesehen von den Belastungen für das Eigenkapital macht sich die EZB dadurch zum Gefangenen ihrer eigenen Politik. Eine Zentralbank, die sich so deutlich in die Fiskalpolitik einmischt wie die EZB, ist in ihren geldpolitischen Entscheidungen nicht mehr frei. Die EZB hat ihre Unabhängigkeit missbraucht, indem sie ihr Mandat eigenmächtig erweitert hat. Dadurch ist die Unabhängigkeit der EZB zur größten Gefahr für Starkwährungsländer wie Deutschland, die Niederlande, Finnland und Österreich geworden. Denn die Notenbank befindet sich nicht in der Hand von Stabilitätspolitikern sondern von Vertretern aus Weichwährungsländern. Diese verfolgen in erster Linie die Interessen ihrer Länder. Dabei nutzt der Präsident der EZB, Mario Draghi, seine Macht in einer nassforschen Art aus, die alles bisher da gewesene in den Schatten stellt.
Der Instrumentenkasten der EZB
Wieder einmal blicken alle in der Euro-Schuldenkrise gebannt nach Frankfurt: die Europäische Zentralbank (EZB) soll es im schlimmsten Fall richten, mit ihrem Waffenarsenal intervenieren und so die Märkte beruhigen.
Zwar streiten sich Fachleute und auch die Notenbanker darüber, wie effektiv, nachhaltig und sinnvoll weitere Eingriffe der Geldpolitik sein könnten. Fest steht aber: die EZB verfügt als einzige Institution über einen gut gefüllten und theoretisch sofort verfügbaren Instrumentenkasten, um angeschlagenen Banken unter die Arme zu greifen, Institute im Falle eines Bank-Runs mit neuem Geld zu schützen und durch ihre Finanz-Feuerkraft wenigsten für eine begrenzte Zeit wieder für Ruhe an den Börsen zu sorgen.
Vor dem Wahlsonntag in Athen verdichten sich die Hinweise, dass die großen Notenbanken der Welt gemeinsame Sache machen und die Märkte mit Geld fluten könnten. Eine solche konzertierte Aktion der Zentralbanken gab es schon einmal - Anfang Oktober 2008, kurz nach dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, als weltweit die Finanzströme zu versiegen drohten.
In der aktuellen Krise rund um die Überschuldung Griechenlands und anderer südeuropäischer Länder hat bislang nur die britische Notenbank angekündigt, dass sie gemeinsam mit dem Finanzminister in London ihren Bankensektor zum Schutz vor aus Griechenland überschwappenden Problemen mit 100 Milliarden Pfund fluten will. Am Freitag sorgte die Aussicht auf eine gemeinsame Intervention der Zentralbanken zunächst für bessere Stimmung an den Märkten.
Aktuell steht der Leitzins der EZB bei 0,75 Prozent. Die Notenbank kann natürlich jederzeit an dieser in normalen Zeiten wichtigsten Stellschraube drehen. Es wäre ein historischer Schritt: Noch nie seit Bestehen der Währungsunion lag der Schlüsselzins für die Versorgung des Finanzsystems mit frischer Liquidität niedriger.
Allerdings nimmt der Spielraum der EZB mit jeder weiteren Leitzinssenkung ab - schließlich rückt damit die Nulllinie unausweichlich immer näher. Fachleute erwarten, dass die Zentralbank mit weiteren Zinssenkungen so lange wartet wie nur möglich, um für den Fall echter Verwerfungen an den Finanzmärkten, wie sie etwa bei einem Austritt der Griechen aus der Euro-Zone drohen würden, noch Munition zu haben.
Um den Geldmarkt wiederzubeleben und die Banken zu ermuntern mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zu geben, könnte die EZB den sogenannten Einlagezinssatz auf null Prozent kappen. Dieser Zins liegt aktuell bei 0,25 Prozent. Das bedeutet, dass Banken, die keiner anderen Bank mehr trauen, immerhin noch Geld dafür bekommen, wenn sie überschüssige Liquidität bei der EZB parken. Bei einem Einlagezinssatz von einem Prozent entfiele der Anreiz dies zu tun. Doch ob die Banken der EZB den Gefallen tun oder das Geld dann lieber horten, ist fraglich. Aktuell parken sie jedenfalls knapp 800 Milliarden Euro in Frankfurt.
Im Dezember und im Februar ist es der EZB gelungen, mit zwei jeweils drei Jahre laufenden Refinanzierungsgeschäften die Gemüter der Banker wenigstens für eine Zeit lang zu beruhigen. Damals sicherten sich die Geldhäuser insgesamt rund eine Billion Euro bei der Zentralbank zum Billigtarif von nur einem Prozent.
Einige Experten glauben, dass weitere langlaufende Geschäfte dieser Art das durch die Unsicherheit über die Zukunft der Euro-Zone untergrabene Vertrauen wieder zurückbringen könnten. Die Banken, die sich um den Jahreswechsel bei der EZB bedient haben, sind allerdings ohnehin bis mindestens Ende 2014 abgesichert. Außerdem kann jede Bank darüber hinaus bei den wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäften der Notenbank aus dem Vollen schöpfen.
Damit den Banken die Sicherheiten nicht ausgehen, die diese als Pfand bei den Refinanzierungsgeschäften mit der Notenbank stellen müssen, kann die EZB weitere Erleichterungen bei den Anforderungen beschließen. Sie kann dabei auch selektiv nach Ländern vorgehen, um gezielter zu helfen. Allerdings sind Erleichterungen bei den Sicherheiten immer auch ein Politikum, weil dadurch die Risiken steigen, die die Zentralbank durch die Refinanzierung in ihrer Bilanz ansammelt. Im Fall der Fälle müssten diese von den Steuerzahlern der Mitgliedsländer getragen werden.
Die EZB hat seit Mai 2010 Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder für mehr als 200 Milliarden Euro gekauft. Das im Fachjargon SMP (Securities Markets Programme) genannte Programm ist wegen seiner möglichen Nebenwirkungen in Deutschland und einigen anderen nord- und mitteleuropäischen Ländern umstritten. Es ruht derzeit, kann allerdings jederzeit wieder vom EZB-Rat in Kraft gesetzt werden.
Ob es allerdings noch seine erhofften positiven Wirkungen am Bondmarkt entfalten kann, ist unklar. Wegen der Erfahrungen bei der Umschuldung Griechenlands im Frühjahr dürften wenige private Investoren wie Banken oder Versicherungen der EZB folgen und wieder in den Markt gehen, weil sie fürchten, dass die Zentralbank erneut einen Sonderstatus als Gläubiger durchsetzen könnte, wie sie es im Fall Griechenland getan hat.
Theoretisch kann die EZB neben Staatsanleihen auch andere Arten von Wertpapieren kaufen und auf diese Weise Geld schaffen: zum Beispiel Bankschuldverschreibungen, Aktien und Unternehmensanleihen. Während der Ankauf von Bank Bonds eine durchaus denkbare Möglichkeit wäre, Liquidität bei den Banken zu schaffen, scheinen andere Wege wenig erfolgversprechend. So könnte die EZB wohl schlecht erklären, warum sie etwa Aktien von Banken kauft, nicht aber von Auto- oder Chemiekonzernen. Oder sie setzt sich dem Verdacht aus, der einen Bank mehr Aktien abzukaufen als anderen oder zum Beispiel spanische Institute deutschen oder österreichischen Banken vorzuziehen.
Theoretisch kann die EZB auch ihre Anforderungen an die Mindestreserve der Banken, die diese bei ihr halten müssen, absenken. Sie hat dies um den Jahreswechsel bereits getan und den Satz ihrer gesamten Einlagen, den jede Geschäftsbank bei ihr parken muss, von zwei auf ein Prozent halbiert. Dadurch hatte sie damals eine Summe von rund 100 Milliarden Euro für die Banken freigemacht. Ein solcher Schritt würde es für Banken in Südeuropa, die wohl am ehesten unter einer Kapitalflucht leiden würden, leichter machen, Mittel flüssig zu halten.
Draghi argumentiert, die EZB betreibe keine Staatsfinanzierung, weil sie die Anleihen am Sekundärmarkt kaufe, also von Banken oder anderen Investoren. Das sei durch das Mandat der Notenbank gedeckt.
Sekundärmarktinterventionen sind der EZB nur erlaubt, wenn sie der Feinsteuerung der Geldpolitik dienen. Die Rechtslage in diesem Punkt ist eindeutig: die Motive für Offenmarktoperationen müssen geldpolitischer Art sein. Käufe von Staatsanleihen in Milliardenhöhe, wie sie die EZB anstrebt, haben mit Feinsteuerungen der Geldpolitik aber nichts mehr zu tun. Das Argument der EZB, die Märkte seien gestört und die Anleihekäufe dienten dazu, die Geldpolitik wieder funktionsfähig zu machen, ist eine mit vatikanischer Selbstsicherheit formulierte Behauptung, die durch die Realität nicht gedeckt ist. Schon in dem Brief, den Mario Draghi zusammen mit Jean-Claude Trichet vor rund einem Jahr an den damaligen italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi schrieb, ging es der EZB darum, die Fiskal- und Haushaltspolitik in Italien zu beeinflussen. Dafür hat die EZB definitiv kein Mandat.
Selbstgemachte Inflation
Die EZB verweist darauf, dass sie die durch Anleihekäufe geschaffene Liquidität wieder aus dem Bankensektor absaugt.
Das ist Augenwischerei. Die vorgebliche Sterilisierung besteht darin, dass die EZB den Banken verzinsliche Termineinlagen anbietet und hofft, dass die Banken das frisch geschaffene Zentralbankgeld darauf einzahlen. Zugleich können sich die Banken aber gegen qualitativ minderwertige Sicherheiten in beliebiger Höhe neues Zentralbankgeld von der EZB leihen. Ein Absaugen von Zentralbankgeld findet nicht statt, die EZB verbreitet eine Sterilisierungslüge.
Die Ankündigung der EZB, unlimitiert Anleihen zu kaufen, hat die Zinsen für die Krisenländer schon im Vorfeld nach unten gedrückt. Manche Beobachter argumentieren, die EZB müsse am Ende gar keine Anleihen kaufen.
Das halte ich für naiv. An den wirtschaftlichen Fundamentaldaten in den Krisenländern hat sich nichts geändert. In Spanien spitzen sich die Probleme zu. Das gilt nicht nur für den Bankensektor, sondern auch für die Haushalte der Regionen, von denen jetzt die Mehrheit einen Bail-Out vom Zentralstaat fordert. In Italien wird die Reformpolitik verwässert und in Frankreich hat die Regierung noch nicht einmal ernsthaft damit begonnen, die Probleme anzugehen. Was wir derzeit an den Finanzmärkten sehen, ist eine Art Coca-Cola-Effekt. Die Ankündigung der EZB hat die Kurse kurz aufgeschäumt. Wenn der Schaum verschwunden ist und den Märkten die Probleme wieder bewusst werden, werden die Zinsen wieder steigen. Dann wird die EZB ihren Worten Taten folgen lassen und intervenieren.
Die Reaktionen zum OMT-Programm
"Draghi hatte viel von den Ankündigungen schon vorweg genommen, deshalb geben die Märkte jetzt etwas nach. Deshalb sind seine Ankündigungen aber nicht als negativ zu werten. Mit einem Kursfeuerwerk war ja nicht unbedingt zu rechnen. Die erhofften Punkte hat Draghi alle ziemlich klar angesprochen.
Wenn die Regierungen der betroffenen Länder, wie zum Beispiel Spanien, das Angebot der EZB annehmen sollten und die Reformen unter den Rettungsschirmen einleitet, dann ist das ein koordiniertes Vorgehen, das zur Beruhigung der Märkte für längere Zeit geeignet ist. Jetzt hängt es von der Politik und nicht von der EZB ab, das Angebot anzunehmen.
Es wäre nicht gut gewesen, wenn die EZB Grenzen in Umfang oder Zinshöhen beim Anleihenkaufprogramm aufgezeigt hätte, denn dagegen wäre wieder spekuliert worden. Das Wort 'unbegrenzt' ist von der EZB als Zeichen der Stärke gewählt worden."
"Die EZB hat den großen Revolver zwar gefunden, aber es fehlt an Munition, um eine langfristig positive Auswirkung auf die Märkte zu tätigen. Obwohl heute nützliche Maßnahmen verabschiedet wurden, die sicherlich kurzfristig eine Erleichterung für die Peripheriestaaten bringen, hinkt die Kapazität der EZB und des europäischen Parlaments hinterher, um Spanien UND Italien aus der Klemme zu helfen. Ein Bail-Out von Spanien UND Italien sollte erst dann möglich sein, wenn die EZB und Deutschland erkennen, dass als effektives Instrument nur eine quantitative Lockerung im Stil der amerikanischen Notenbank in Frage kommt."
"Mit einer begrenzten Ankaufpolitik der EZB im Gegenzug zu stringent überwachten Reformen in den entsprechenden Staaten kann Zeit für dringend notwendige Wirtschaftsreformen gewonnen werden. Auf keinen Fall dürfen diese Maßnahmen der EZB aber dazu führen, dass eine bestehende Problemlage nur verlängert und die Rechnung, gerade für Deutschland, am Ende noch umfangreicher wird. Deshalb muss das Volumen der Aufkäufe begrenzt bleiben."
"Beim Ankaufprogramm für Staatsanleihen ist große Vorsicht angebracht. Interventionen verpuffen, wenn die nötigen Reformen in den Mitgliedsstaaten ausbleiben. Bislang zeigt sich die EZB aller Risiken bewusst und sollte ihrer vorsichtigen Linie treu bleiben. Das gilt auch für all die Rufe, die EZB solle mehr Fed und weniger Bundesbank sein. Die Krise hat gezeigt, dass die Finanzmärkte Reformbemühungen durchaus honorieren.
Für die Reformen und die Staatsfinanzierung sind vor allem die einzelnen Staaten selbst verantwortlich. Der Ruf nach der EZB ist verständlich - ihm vorschnell nachzugeben allerdings nicht. Die Politik ist gerade hier gefordert, den Druck auf die EZB durch Strukturreformen und Haushaltskonsolidierung in den Ländern zu mildern, damit diese wieder ihren eigentlichen Job machen kann: Die Geldwertstabilität sichern."
"Die EZB hat genau das beschlossen, was in den letzten Tagen vermehrt diskutiert und auch teilweise eingepreist wurde. Insofern ist der Beschluss der EZB keine echte Neuerung. Unmittelbare Inflationsgefahren werden durch die Sterilisierung des Anleihekaufprogramms (MOT) in Grenzen gehalten, dennoch besteht für die EZB im Vergleich zu Repo-Geschäften ein erhöhtes Ausfallrisiko."
"Die Entscheidung der EZB, den Leitzins unverändert zu lassen ist richtig. Sie hat durch die vergangene Zinssenkung bereits anerkannt, dass sie den konjunkturellen Einbruch im Euroraum zur Kenntnis genommen hat. Das Problem des Euroaums liegt aber derzeit nicht in der Höhe des Leitzinses, sondern im fehlenden Vertrauen in dessen Stabilität.
Dem kann die EZB nur mit dem angekündigten unbegrenzten Aufkaufprogramm für Staatsanleihen begegnen. Dies ist der entscheidende Schritt, der die Voraussetzungen für eine Überwindung der Krise schafft. Nur mit diesem Programm im Rücken werden die Märkte ihre Spekulation gegen den Euro aufgeben und es dank sinkender Risikoaufschläge den Staaten ermöglichen, ihre Schulden auf Dauer wieder aus eigener Kraft - also ohne die Hilfe eines Rettungsschirms - zu bedienen."
"Die Zentralbank ist nicht dazu da, Staatsfinanzierung zu betreiben. Anleihekäufe sind der falsche Weg, da sie dringend notwendige Sparbemühungen und Strukturänderungen in den öffentlichen Haushalten der hoch verschuldeten Länder unterlaufen und Anreize nehmen. Die Europäische Zentralbank darf nicht in die Rolle einer Ersatzregierung gedrängt werden."
"Die Entscheidung der EZB ist nicht überraschend. Sie kauft nun unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten und nähert sich damit der monetären Staatsfinanzierung. Zudem akkumuliert sie mit den Käufen zusätzliche Bilanzrisiken. Da sie zusätzlich die Sicherheiten-Erfordernisse für ihre Liquiditätsoperationen weiter senkt, können die Ausfallrisiken im Prinzip unbegrenzt zunehmen. Selbst wenn das Bundesverfassungsgericht gegen den Rettungsschirm ESM entscheiden würde, ist eine klare Begrenzung der deutschen Haftungssumme in weite Ferne gerückt.
Indem die EZB ihre Käufe daran knüpft, dass die Staaten ein EU-Anpassungsprogramm durchlaufen, mischt sie sich deutlich in die Finanzpolitik ein. Umgekehrt wird der politische Druck groß sein, die Käufe lange beizubehalten. Wie strikt die von der EZB betonte Konditionalität tatsächlich ist, könnte sich demnächst am Fall Griechenlands entscheiden, wenn die Troika dort nicht nachhaltige Staatsfinanzen vorfinden und das Rettungsprogramm dennoch ausweiten sollte."
"Der Schritt ist getan. Jetzt muss die Politik liefern. Es fällt auf, dass sich die Märkte halten, obwohl das meiste erwartet worden war. Wenn wir dieses Niveau verteidigen können, wäre das ein positives Zeichen."
"Über die heute berichteten Maßnahmen bin ich zwar nicht sehr glücklich, aber sie waren kaum zu umgehen und sind letztendlich das Ergebnis der institutionellen Entwicklung im Euroraum. Würde die EZB nicht in den Markt eingreifen, könnten einzelne Länder weiter in die Abwärtsspirale gedrängt werden - bis hin zum Austritt. Insofern kann es nur ein Zusammenspiel geben zwischen Geldpolitik und Reformbemühungen, um ein solche Entwicklung zu verhindern. Es gibt derzeit genau zwei Optionen: Entweder wir finden den Weg zu einer teilweise Vergemeinschaftung der Schulden oder die bereits sichtbaren Zentrifugalkräfte in der Währungsunion verstärken sich weiter.
Die Märkte hatten die Ergebnisse weitgehend vorweg genommen, so dass auch für die kommenden Tage keine deutlicheren Marktreaktionen zu erwarten sind. Alle Augen sind nun auf das Bundesverfassungsgericht gerichtet. Hier erwarte ich keine negativen Überraschungen."
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Zinssenkung kommt in einer der nächsten Sitzungen. Die EZB hält ihr Pulver trocken. Sie wird später nachlegen.
"Die EZB hat alle wichtigen Zinssätze wie erwartet unverändert gelassen. Wir sind der Ansicht, dass eine konventionelle Lockerung der Geldpolitik keine angemessene Antwort auf die Probleme ist, denen der EZB-Rat derzeit gegenübersteht. Deutschland benötigt derzeit keine Zinssenkung - und Spanien würde eine Zinssenkung nicht retten."
Kommt dann die große Inflation?
Inflation hängt entscheidend von den Erwartungen ab. Was den Index für die Lebenshaltungskosten betrifft, liegen die Inflationserwartungen derzeit bei rund drei Prozent. Hinzu kommt, dass die Preise für Vermögensgüter steigen. An den Immobilienmärkten hierzulande schießen die Preise ins Kraut, weil die Menschen der Geldwertstabilität keine Chance mehr geben. Die Frage ist nicht, ob die Inflation kommt, sondern wann und in welchem Ausmaß.
Was kann die Bundesbank noch dagegen unternehmen?
Es wäre schon viel gewonnen, wenn Bundesbankpräsident Jens Weidmann es nicht bei einem verbalen Nein zu den Anleihekäufen beließe, sondern seine Mitwirkung an der Ausführung daran verweigern würde. Denn die Käufe sind rechtswidrig. Die anderen Zentralbanken des Euro-Systems müssten dann den Anteil der Bundesbank übernehmen. Folgen andere Nord- und Ostländer dem Beispiel der Bundesbank, müssten die Zentralbanken aus dem Süden den Ankauf allein und auf eigenes Risiko stemmen. Dann wird man sehen, ob sie das wirklich machen. Noch besser wäre es, wenn die Nord- und Ostländer eine eigene Parallelwährung ausgäben.
Wie soll das gehen?
Die Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen sollten eine eigene Hartwährung als zweites gesetzliches Zahlungsmittel in Konkurrenz zum Euro ausgeben. Eine solche Währung, nennen wir sie Guldenmark, gäbe den Bürgern und Unternehmen die freie Wahl. Vieles spricht dafür, dass die Menschen die Guldenmark dem Euro vorziehen, der dann abwerten würde. Die stabilitätsorientierten Länder könnten so eine eigene Geldpolitik betreiben, die ihren Präferenzen und wirtschaftlichen Bedürfnissen entspricht.
Verachtung des deutschen Verfassungsstaats
Die rechtlichen und politischen Hürden dafür wären aber extrem hoch.
Rechtlich ist die Einführung eine Parallelwährung durchaus möglich. Die EU-Verträge (Art.127 AEUV) sehen lediglich vor, dass die EZB und die nationalen Notenbanken die einzigen Institutionen sind, die das Recht haben, ein Zahlungsmittel auszugeben. Welches das ist, ist nicht näher definiert. Politisch würde der Versuch der Bundesbank, eine Parallelwährung zu etablieren, sicherlich von allen Instanzen im Brüssel-Europa bekämpft. Wahrscheinlich würde Frankreich die EU-Kommission drängen, die Bundesbank vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen. Das sollte die Bundesbank nicht beunruhigen. Im Schnitt dauert es mehr als drei Jahre, bis Klagen vor dem Gerichtshof entschieden sind. In dieser Zeit hätte eine Parallelwährung ökonomische Fakten geschaffen.
Es sieht aber nicht danach aus, als sei die Bundesbank zu einem solchen Machtkampf bereit.
Wenn die Bundesbank still hält, werden sich die Bürger bewegen. Draghi hat vor einigen Wochen angekündigt, alles zu tun, um den Euro zu retten. Seine Ankündigung zum Anleihekauf hat gezeigt, dass er bereit ist, dabei Recht durch Macht zu ersetzen. Das dürfen sich die Bürger in Deutschland nicht gefallen lassen. Sie können Herrn Draghi antworten: Wir sind bereit, alles zu tun, um das Experiment des Euros zu einem glimpflichen Ende zu bringen, bevor wir im Abgrund landen. Und wir werden uns nicht damit zufrieden geben, nur vor Gerichten zu klagen.
Die Rolle der EZB nach dem Maastricht-Vertrag
Artikel 104 (1) Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der EZB oder den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (...) für Organe oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Zentralregierungen, regionale oder lokale Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften, sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken.
Artikel 104 b (1) Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein. (...)
Artikel 107 Bei der Wahrnehmung der ihnen durch diesen Vertrag und die Satzung des ESZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die EZB noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen.
Artikel 105 (1) Das vorrangige Ziel des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken, d. Red.) ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen.
Draghi hat den Ankauf von Staatsanleihen an die Bedingung geknüpft, dass die Länder zuvor Hilfen beim Euro-Rettungsschirm ESM beantragen. Was passiert, wenn das Bundesverfassungsgericht den ESM stoppt?
Kerber: Die Tatsache, dass Draghi die EZB-Interventionen an Hilfen durch den ESM geknüpft hat, ist eine Verachtung des deutschen Verfassungsstaats. Denn Draghi geht stillschweigend davon aus, dass das oberste deutsche Gericht den Rettungsschirm durchwinkt. Zudem ignoriert der EZB-Chef, dass ein Vorlageverfahren beim Europäischen Gerichtshof anhängig ist, der die Frage zu klären hat, ob der ESM überhaupt ratifiziert werden darf.
Falls das Bundesverfassungsgericht den ESM stoppt, könnten die Regierungen den bereits installierten Rettungsschirm EFSF aktivieren.
Der EFSF ist anders als der ESM nicht dazu berechtigt, Staatsanleihen an den Primärmärkten zu kaufen. Das aber hat die EZB zur Voraussetzung für eigene Käufe an den Sekundärmärkten gemacht. Zudem reicht das verbliebene Volumen der EFSF nicht aus, um ein Land wie Spanien über einen längeren Zeitraum zu stützen. Die Regierungen müssten den EFSF deshalb mit weiteren Bürgschaftszusagen aufstocken, wofür es in den Parlamenten kaum Mehrheiten gibt.
Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, erhält die EZB bald die Aufsicht über alle Banken in Europa und wird noch mächtiger.
Die Zentralisierung der Bankenaufsicht bei der EZB ist ein Teil der von Brüssel vorangetriebenen Bankenunion. Im Kern geht es dabei um den Zugriff der Krisenländer auf die Einlagensicherungssysteme der Geberländer aus dem Norden Europas. Diese Systeme werden von den Sparern finanziert. Die Vergemeinschaftung der Einlagensicherung ist daher eine indirekte Form, die Sparer in Deutschland zu enteignen. Wer eine Bankenunion im Sinne der EU-Kommission fordert, startet zum Raubzug bei den deutschen Sparern im Namen Europas. Hier bahnt sich ein unerklärter Krieg gegenüber Deutschland und seinen Sparern an, der in seinen finanziellen Dimensionen fast an das heranreicht, was in dem Versailler Vertrag von 1919 als Reparationsleistungen von Deutschland gefordert worden war. Ich wundere mich, dass die politischen Eliten in Deutschland diese historischen Parallelen nicht sehen und die Augen davor verschließen, welche Empörung in der Bevölkerung entsteht, wenn sie diese Politik weiterführen. Unsere Elite scheint vor nichts so viel Angst zu haben, wie von der Bevölkerung in den andern Ländern Europas an den Pranger gestellt zu werden. Angst statt Mut prägt ihr Handeln.