Anleihenkaufprogramm Wagt die EZB den Einstieg in den Ausstieg?

Die EZB verschärft ihren Anti-Krisenkurs wenige Tage nach dem Italien-Referendum. Dennoch wecken die Währungshüter Hoffnung auf einen allmählichen Ausstieg aus der gigantischen Geldflut. Wie passt das zusammen?

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EZB-Präsident Mario Draghi in Frankfurt am Main (Hessen) bei einer Pressekonferenz der Europäischen Zentralbank (EZB). Quelle: dpa

Ein baldiges Ende der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist nicht in Sicht - im Gegenteil. Die Notenbank verlängert ihre milliardenschweren Wertpapierkäufe, nimmt aber etwas Tempo raus. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was hat die EZB entschieden?

Die Notenbank verlängert ihr milliardenschweres Kaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen („Quantitative Easing“/QE) bis mindestens Ende 2017. Zugleich verringert sie allerdings ab März das Volumen von 80 Milliarden Euro monatlich auf dann 60 Milliarden Euro. Damit wächst die Hoffnung, dass die Währungshüter allmählich ihre umstrittene Geldflut eindämmen. „Mit dem heutigen Beschluss ist der EZB ein vorsichtiger Einstieg in den Ausstieg aus dem Wertpapierkaufprogramm gelungen“, sagt KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher nennt die Entscheidung weise. „Die Reduzierung des Volumens gibt den Finanzmärkten eine klare Perspektive für einen graduellen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik mit dem Ziel, einen abrupten Anstieg der Zinsen zu vermeiden“.

Hat die EZB nicht schon viel billiges Geld in den Markt gepumpt?

In der Tat. Seit Draghis Amtsantritt im November 2011 sank der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Zentralbankgeld besorgen können, kontinuierlich. Seit diesem März liegt er auf dem Rekordtief von null Prozent, Banken bekommen EZB-Geld also zum Nulltarif. Zudem kauft die Notenbank seit März 2015 Staatsanleihen und andere Wertpapiere in gigantischem Umfang: Erst in diesem März wurde das Programm verlängert, aufgestockt und auf Unternehmenspapiere ausweitet. Nach bisherigen Plänen hatte das Programm ein Volumen von 1,74 Billionen Euro. Jetzt wird es auf 2,28 Billionen ausgeweitet.

Was bringt das?

Die Geldflut soll die Konjunktur beflügeln und so auch die zuletzt niedrige Inflation wieder nach oben treiben. Denn die Mini-Teuerung im Euroraum macht den Währungshütern Sorge. Die EZB strebt eine Inflationsrate von knapp unter 2,0 Prozent an - weit genug entfernt von der Nullmarke. Denn dauerhaft niedrige oder gar sinkende Preise gelten als Risiko für die Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten Anschaffungen aufschieben, da sie erwarten, dass es noch billiger wird. Schlimmstenfalls entsteht eine Abwärtsspirale aus schrumpfenden Preisen und wirtschaftlicher Talfahrt - eine Deflation.

Diese Anleihen rentieren unter Null
Top 15: Daimler AGDie EZB startete den Ankauf von Firmenbonds in der vergangenen Woche und sammelte an einem einzigen Tag Titel im Volumen von 348 Millionen Euro ein. Daneben kaufen die Währungshüter Staatsanleihen im Volumen von inzwischen 80 Milliarden Euro monatlich. Dies drückt unter anderem die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erstmals unter die Marke von null Prozent. Bei kürzeren Laufzeiten gehören Negativzinsen bereits zum Alltag. Daimler verzinst seine bis zum 27. Juni 2018 ausgegebene Anleihe mit 2,125 Prozent. Die Rendite beträgt bei einem Gesamtvolumen der Anleihe von 935.617.500 Dollar minus 0,1049266 Prozent. Quelle: dpa
Top 14: Cooperatieve Rabobank UADas Gesamtvolumen europäischer Unternehmensanleihen mit dem Gütesiegel Investment Grade, die grundsätzlich von der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgekauft werden können, liegt aktuell bei 2,8 Billionen Euro. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Frankreichs. Auf platz 14 kommt die Rabobank mit einer Anleihe von 4,75 Prozent Normalzins. Der Titel der Niederländer läuft bis zum 15. Juni 2018 und rentiert bei derzeit -0,0853134 Prozent. Das Volumen: 5.084.241.250 Dollar Quelle: REUTERS
Top 13: Commerzbank AGAuch die Anleihen des zweitgrößten Geldhauses der Bundesrepublik rentieren mit -0,1815399 Prozent negativ. Der Titel läuft bis zum 2. Juni 2019, hat einen Zinskupon von 4,375 Prozent und kommt damit auf ein Volumen von 2.101.800.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 12: Caixa SADie Ausweitung der EZB-Anleihekäufe auf Schuldscheine europäischer Großkonzerne drückt deren Renditen immer tiefer. Inzwischen müssten Anleger bei 16 Prozent der Papiere dafür zahlen, den Firmen Geld leihen zu dürfen, teilte Tradeweb mit. Anfang Mai habe die Quote noch bei fünf Prozent gelegen. Anleihen der spanischen Bank CatalunyaCaixa kommen trotz eines Zinskupons von 4,25 Prozent auf eine Effektivverzinsung von -0,036232066 Prozent. Der Schein wird am 26. Januar 2017 fällig und hat ein Volumen von 2.507.600.000 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 11: BNP Paribas SADer Französische Bankenriese verzinst seinen bis zum 27. Juni 2017 laufenden Bond mit 2,875 Prozent. Doch die Rendite ist auf -0,1012968 Prozent gefallen. Das Volumen: 1.559.362.500 Dollar. Quelle: REUTERS
Top 10: BMW Finance NVDer Langläufer der Bayern ist mit einem Normalzins von 3,25 Prozent ausgestattet und verfällt am 14. Januar 2019. Aktuelle Rendite: -0,0732932 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.584.700.000 Dollar. Quelle: AP
Top 9: Berlin Hyp AGDie Deutsche Pfandbriefbank legte einen Bond auf mit einem Normalzins von 4,5 Prozent. Das Papier läuft bis zum 3. Mai 2019 und rentiert bei minus 0,1940956 Prozent. Der Ertrag beläuft sich auf 1.359.410.000 Dollar. Quelle: PR

Ist die EZB mit ihren Maßnahmen erfolgreich?

Die EZB hält sich zugute, eine Deflation verhindert zu haben. „Die Gefahr ist inzwischen weitgehend verschwunden“, sagt Draghi. Im November erreichte die Inflation im Euroraum mit 0,6 Prozent den höchsten Stand seit April 2014. Kritiker des EZB-Kurses weisen jedoch darauf hin, dass die Entwicklung der Teuerungsrate zum großen Teil mit dem Ölpreis zu tun hat. „Seit dem Jahr 2014 sanken die Ölpreise deutlich ... Aufgrund der sinkenden Rohstoffpreise ist die Gesamtinflation um fast einen Prozentpunkt gefallen“, erklärte etwa Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Zuletzt ließ dieser dämpfende Effekt fallender Energiepreise nach. Tanken und Heizen ist also tendenziell für Verbraucher immer noch günstiger als vor Jahresfrist, aber der Abstand ist nicht mehr ganz so groß wie in den vergangenen Monaten.

Was sind Nebenwirkungen des billigen Geldes?

Die Niedrigzinsen haben zwar Kredite für Verbraucher wie Immobiliendarlehen historisch günstig gemacht. Doch zugleich bekommen Sparer kaum noch Zinsen, wenn sie ihr Geld bei der Bank anlegen. Bei einzelnen Geldhäusern zahlen besonders vermögende Privatkunden sogar drauf, wenn sie Geld aufs Konto legen. Viele Banken erhöhen zudem Gebühren - etwa für Überweisungen, Bankkarten oder Kontoführung. Versicherer und Pensionsfonds können Gelder kaum noch mit Gewinn anlegen. Das sorgt für Druck auf Lebensversicherungen und Betriebsrenten. Und so mancher Staatschef könnte angesichts der Notfallpakete der Zentralbanken wichtige Reformen verschleppen.

Ist ein baldiger Ausstieg aus der Politik des billigen Geldes in Sicht?

Im Euroraum vorerst nicht. Der EZB-Rat habe nicht über einen Ausstieg diskutiert. Die Notenbank werde noch lange an den Märkten präsent sein, bekräftigt Draghi. „Überall herrscht Unsicherheit“. Nicht nur die Probleme des hoch verschuldeten Italien bleiben zunächst ungelöst, den Europäern stehen zudem harte Brexit-Verhandlungen mit den zum EU-Austritt entschlossenen Briten bevor. Und in den USA ist der Kurs des künftigen US-Präsidenten Donald Trump bisher nicht klar erkennbar. Die dortige Notenbank Fed indes machte zuletzt Hoffnung, dass sie bei ihrer Sitzung Mitte Dezember zum zweiten Mal seit der Finanzkrise 2008/2009 die Leitzinsen anheben wird.

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