Arbeitsmarkt Frankreich Kampf um die 35-Stunden-Woche

Die Produktionsstätte des kleinen Daimler in Lothringen steht Pate für eine Revolution des Arbeitsmarkts: das Ende der 35-Stunden-Woche.

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Frankreich: Reform des Arbeitsmarktes treibt tausende Franzosen zu Demonstrationen. Quelle: imago images

Frankreichs Arbeitsministerin Myriam El Khomri hat sich viel vorgenommen. Damit das auch jeder weiß, twitterte sie diese Woche: „Politisch entscheidend ist meine Entschlossenheit.“ Und an der soll niemand zweifeln. Schließlich rührt sie an einem Tabu: der 35-Stunden-Woche, dem letzten großen Heiligtum der französischen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

Ein von der Ministerin verantworteter Gesetzentwurf soll es Unternehmen künftig erleichtern, längere Regelarbeitszeiten zu vereinbaren. Vorbild dafür ist das Smart-Werk im lothringischen Hambach. Die Daimler-Tochter hat nach langen Verhandlungen eine 39-Stunden-Woche eingeführt. Hätten die Arbeiter dort der längeren Arbeitszeit nicht zugestimmt, hätte Daimler den Zweisitzer künftig im slowenischen Novo Mesto bauen lassen.

Was deutsche Unternehmen an Frankreich nervt
Die Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer und EY haben 181 deutschen Unternehmen in Frankreich nach ihrer Zufriedenheit befragt. Das Ergebnis ist gar nicht rosig: 2014 beurteilen 73 Prozent der befragten Unternehmen die wirtschaftliche Situation auf dem französischen Markt als schlecht, neun Prozent sogar als sehr schlecht. Vor zwei Jahren sahen 57 und sechs Prozent die Aussichten ähnlich finster. Für das kommende Jahr rechnen 33 Prozent der Befragten mit einer weiterhin schlechten Wirtschaftslage. Heißt: Die Mehrheit sieht ein Licht am Ende des Tunnels. "Zwei Drittel der befragten Unternehmen bekräftigen, dass ihre Muttergesellschaft wieder in Frankreich investieren würde", sagt Nicola Lohrey, Executive Director bei der Rechtsanwaltsgesellschaft EY. Quelle: dpa
58 Prozent der befragten Unternehmen stören sich daran, dass der Arbeitsmarkt nicht flexibel genug ist (2012: 50 Prozent). Quelle: dpa
Auf die Frage, welche Faktoren am meisten Einfluss auf ihre Geschäftslage ausüben, nannten 43 Prozent die Lohnkosten und 35 Prozent Steuern und Abgaben. Letztere halten 56 Prozent der befragten Unternehmen für zu hoch. 2012 waren es noch 60 Prozent. Quelle: dpa
Auch das Arbeitsrecht wird als zu rigide empfunden. 47 Prozent halten die arbeitsrechtlichen Normen für zu kompliziert (2012: 50 Prozent). Die Unternehmen würden sich folglich mehr Flexibilität in diesem Bereich wünschen. Dasselbe gilt für die Komplexität und andauernde Zunahme gesetzlicher Reglementierungen. Quelle: dpa
Die Steuern auf das Arbeitseinkommen in Frankreich halten 37 Prozent der befragten Unternehmer für zu hoch. Quelle: dapd
23 Prozent empfinden die französischen Steuerregelungen allgemein als zu kompliziert. Im Jahr 2012 sagten das noch 35 Prozent. Quelle: dpa
Im Bereich der Politik wünschen sich die befragten deutschen Unternehmer Strukturreformen, die zwar häufig angekündigt, aber nicht immer umgesetzt werden. Sie wünschen sich langfristige Berechenbarkeit und eine klare Linie, an der sie sich orientieren können. "Die Unternehmen brauchen eine Vision auf lange Sicht, die ihnen die französische Politik derzeit nur unzureichend vermittelt", sagt Damien Schirrer, Geschäftsführer von Orbis, der in der Studie zitiert wird. Quelle: AP

Weil 56 Prozent der Belegschaft sich dafür aussprachen, aber die Gewerkschaftsoberen dagegen, legte die Betriebsleitung zum Jahreswechsel jedem einzelnen der 800 Mitarbeiter einen neuen Arbeitsvertrag vor. 90 Prozent unterschrieben, 39 Stunden zu arbeiten und nur 37 bezahlt zu bekommen. Dafür bekamen die Arbeiter eine Beschäftigungsgarantie bis 2020.

Solche Modelle überzeugen nicht jeden. Aus Protest gegen das neue Arbeitszeitgesetz gingen in dieser Woche Tausende von Demonstranten auf die Straße. Rund 70 Prozent der Franzosen lehnen Umfragen zufolge die von Ministerin El Khomri angekündigte Änderung des Arbeitsrechts ab. Dennoch will die sozialistische Führung des Landes dem Streit nicht aus dem Weg gehen – gut ein Jahr vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Denn die Arbeitslosenquote verharrt seit drei Jahren bei über zehn Prozent. Präsident François Hollande hat angekündigt, sich nicht erneut zur Wahl zu stellen, wenn keine Besserung einkehrt.

Senkung der Abfindungen bei Kündigungen

Als die 35-Stunden-Woche vor 16 Jahren eingeführt wurde, sollte die Arbeitszeitverkürzung quasi automatisch zu mehr Beschäftigung führen. Statt der erhofften 700 000 Arbeitsplätze entstand Studien zufolge aber nur rund die Hälfte. Zudem mussten Unternehmen mit Überstundenzuschlägen und Freizeitausgleich operieren. „Während die Konkurrenz international zunahm und zum Beispiel Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verbesserte, hat die 35-Stunden-Woche in Frankreich die Arbeitskosten um elf Prozent erhöht“, kritisiert Philippe Crevel, Direktor des Thinktanks Cercle de l’Epargne.

Eine höhere Wochenarbeitszeit ist nicht der einzige umstrittene Plan der Regierung auf dem Arbeitsmarkt: Sie will unter anderem auch die bei Kündigungen üblichen Abfindungen senken. Denn das Kündigungsrecht gilt als zu starr. Die Folge: Fast neun von zehn Neueinstellungen sind befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Dauer von häufig weniger als einem Monat. So umgehen die Arbeitgeber den starren Kündigungsschutz.

„Es ist paradox“, sagt der Arbeitsmarktexperte Patrick Levy-Waitz. „Franzosen wollen möglichst selbstbestimmt leben und arbeiten, aber sie scheuen das Risiko.“

So benehmen Sie sich in Frankreich richtig

Aus Furcht um den sozialen Frieden hat es bislang keine französische Regierung gewagt, die Zustände auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zu ändern. So wächst einzig und alleine eins: die Anstrengung, mit der die geltenden Regeln umgangen werden. Im Fall der 35-Stunden-Woche sorgen etwa Jahresarbeitszeitkonten, Ausnahmen für leitende Angestellte, Freizeitausgleich oder teure Überstunden für Ausnahmen von der Regel. Darüber hinaus erlaubte die konservative Regierung unter Staatschef Nicolas Sarkozy in der Wirtschaftskrise 2008 sogenannte Abkommen zur Wettbewerbsfähigkeit.

Diese gestatteten Mehrarbeit auch ohne Lohnausgleich, wenn dadurch Arbeitsplätze gesichert wurden. Doch sein sozialistischer Nachfolger Hollande hat diese Möglichkeit auf zwei Jahre befristet, und auch das nur für Unternehmen, die in „großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten“ stecken und bei denen die Gewerkschaften zustimmen. Nur zehn Betriebe haben derzeit diese bürokratische Hürde überwunden.

Ob die nun geplanten Reformen Präsident Hollande nutzen, darf bezweifelt werden. Er hat zu lange gezaudert. Denn in Kraft treten kann das Gesetz frühestens im Sommer – zu spät, als dass etwaige positive Folgen in Form einer höheren Beschäftigung die Chancen für seine Wiederwahl wesentlich erhöhen.

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