Architekt des Flüchtlingsdeals mit der Türkei "Wenn das Abkommen scheitert, müssen wir Mauern bauen"

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"In Griechenland kann das nicht lange gut gehen"

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat verfolgten Türken Aussicht auf Asyl gewährt. Wir schicken also Flüchtlinge zurück in die Türkei, nehmen aber verfolgte Türken auf. Das ist doch paradox.
Einerseits hat jeder Türke, wie immer schon, das Recht, in der EU einen Asylantrag zu stellen. Andererseits muss die EU mit der Türkei sicherstellen, dass ein Asylbewerber, der von Lesbos nach einer Prüfung zurückgeschickt wird, in der Türkei ein faires Verfahren bekommen kann. Dafür gibt es klare Kriterien im EU-Recht, und es muss überprüfbar sein. Ist es das nicht, kann man niemanden zurückschicken. Und damit gerät das ganze Abkommen in Gefahr. So hat die EU ein Eigeninteresse, den Standard im türkischen Asylwesen zu heben. Die Türkei, die das Abkommen im März selbst vorgeschlagen hat, hat es auch.

Sie sagen also, dass der Deal derzeit nicht funktioniert?
Im Moment kommen jeden Tag 100 Asylbewerber auf den griechischen Inseln an, pro Monat werden aber nur 100 zurückgeschickt. 16.000 Flüchtlinge und Migranten sind auf den Inseln, Kapazitäten gibt es für die Hälfte. Das kann nicht lange gut gehen. Das Abkommen ist wegen unzulänglicher Umsetzung unnötig gefährdet. Dass Griechenland mit der Zahl der Asylwerber auf den Inseln alleine nicht zurechtkommt, war vorhersehbar. Dazu ist die EU-Unterstützung auf den Inseln schlecht organisiert. Es wachsen dort die Spannungen, es wird viel zu wenig getan, um diese abzubauen. Vergleicht man, was Städte wie Hamburg oder München bei der Aufnahme, Registrierung und Unterbringen, leisten, fragt man sich: warum kann man das Management einer menschenwürdigen Aufnahme auf den Inseln nicht europäisieren? Die EU braucht Erfolge, hier könnte sie sich beweisen. Das ist lösbar, es geht derzeit um ein paar Tausend Menschen, doch es passiert viel zu wenig. Kaum ist Lesbos aus den Schlagzeilen, wird es vergessen.

Und jetzt?
Die EU und Ankara müssen umsetzen, was sie am 18. März beschlossen haben. Die Europäer müssen Griechenland mit einer gemeinsamen Asylmission vor Ort unterstützen, damit Anträge schnell bearbeitet werden. Grundsätzlich sollte die EU es möglich machen, Asylverfahren in wenigen Wochen zu entscheiden. Und die Türkei muss transparent sein und nachweisen, dass jeder einzelne, der zurückgeschickt wird, im Einklang mit dem Asylrecht behandelt wird. Es genügt nicht, dass es geschieht. Man muss es auch sehen.

Funktioniert denn die Rückführung der Syrer?
Seit März wurden insgesamt 800 Menschen zurückgebracht, darunter etwa 60 Syrer. Das sind weniger Menschen als im Januar und Februar – vor dem Abkommen – aus Griechenland in die Türkei gebracht wurden. In Ankara haben mir letzte Woche Behörden und Diplomaten versichert, dass diese Syrer alle Schutz erhielten, wie ihn die Türkei mehr als zwei Millionen Syrern schon bietet. Das muss transparent sein, dann sind Rückführungen möglich.

Und wenn das nicht gelingt?
Dann haben wir eine Situation wie in Australien und der Insel Nauru, mit Griechenland in der Rolle der kleinen Pazifikinsel. Dann drohen Menschen, auf unbeschränkte Zeit auf den Inseln festgehalten zu werden. Dann steigt der Druck, sie auf das Festland zu bringen, und damit die Zahl der Menschen, die sich in Boote setzen. Sie steigt seit dem Sommer schon wieder, gleichzeitig steigt die Zahl derer, die in der Ägäis ertrinken. Das darf nicht geschehen.

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