Klingt so, als stünde das Thema bald wieder ganz oben auf der Agenda.
Die EU muss dringend zeigen, dass sie die Probleme lösen kann. Dazu bedarf es sofort einer Initiative einer Gruppe der meistbetroffenen Staaten: Deutschland, Griechenland, Schweden, die Benelux-Länder. Im kommenden Jahr wird in Frankreich, Deutschland, den Niederlanden gewählt. Wenn das Abkommen davor scheitert, steht schnell die ganze Flüchtlingskonvention in Europa in Frage.
Viele gehen davon aus, dass die EU in einem solchen Szenario ihre Außengrenze befestigt. Dann hätte sich der ungarische Premierminister Viktor Orbán durchgesetzt.
Orbán träumt von unüberwindbaren Zäunen, von einer Mauer à la Donald Trump, um alle Durchkommenden am liebsten schon in Mazedonien zu stoppen. Dazu setzt er das Recht auf Asyl und Einzelfallprüfung außer Kraft. Eine Welt ohne Flüchtlingskonvention wäre nicht nur unmenschlicher, sondern auch gefährlicher. Und die Idee, dass Mazedonien das Bollwerk Mitteleuropas wird, kann nur jemand haben, der das Land nicht kennt.
Die Türkei verlangt die Visafreiheit, die EU will die aber nur gewähren, wenn Ankara die Terrorgesetze entschärft. Die beiden Seiten dürften kaum zusammenkommen. Das Abkommen dürfte also in jedem Fall scheitern.
Die Einschränkungen von Menschenrechten, Presse, Wissenschaft und Justiz sind das Ergebnis des Ausnahmezustands und der Justiz. Selbst wenn die Türkei die schwedischen Terrorgesetze hätte, würde das nichts ändern, denn nicht die Terrorgesetze sind das Problem, sondern der Zustand der Justiz. Das zu verknüpfen war so ein Fehler.
Aber die EU kann nicht mehr zurück. Dann macht sie sich komplett unglaubwürdig.
Die EU muss mit Vorschlägen aus der Defensive herauskommen. Erstens, die Türkei muss nachweisbar alles tun, um ein sicherer Drittstaat für jeden zu sein, der in den nächsten Monaten aus Griechenland zurückgeschickt wird – und zwar sofort. Damit – und einer Initiative auf den Inseln – wäre das Abkommen gesichert. Und CDU und CSU müssten nicht über eine Obergrenze streiten. Dafür wird die Visapflicht für türkische Touristen aufgehoben, nicht als Geschenk an die Regierung, sondern als Signal an die Bevölkerung. Gleichzeitig kann man die Sonderregel der Visafreiheit für türkische Beamte mit speziellen Pässen beenden, wovon es derzeit über zwei Millionen gibt. Drittens könnte die EU erklären, dass die Türkei EU- und Europaratsbeobachter in allen Gefängnissen zulassen muss. Gibt es Misshandlungen, wird die Visapflicht für alle, dann auch Staatsbeamte, wieder eingeführt. Das Ziel ist es, konkrete Fortschritte zu erreichen, Misshandlungen zu vermeiden und Kontakte der Bevölkerung zu erleichtern.
Visumfreiheit: Was die EU von der Türkei verlangt
Dürfen türkische Staatsbürger irgendwann ohne Visum nach Europa reisen oder nicht? Die Antwort auf diese Frage kann nach Auffassung der EU-Kommission nur die Regierung in Ankara geben. Die Brüsseler Behörde sah in ihrem jüngsten offiziellen Bericht noch 5 der 72 Vorgaben für eine Visaliberalisierung als nicht erfüllt an.
In der Türkei wurde am 30. April eine neue Strategie dazu beschlossen. Im jüngsten Bericht stellten Experten der EU-Kommission allerdings fest, dass noch mehr getan werden müsse, um Korruption unter Parlamentariern, Richtern und Staatsanwälten zu verhindern. Dabei geht es unter anderem um Vorgaben zur Parteienfinanzierung und zur Unabhängigkeit der Justiz. Die EU weist dabei auf ein Gutachten der „Staatengruppe gegen Korruption“ (Greco) hin.
Laut der Darstellung im Fortschrittsbericht hatten die türkische Behörden bis zuletzt lediglich die Absicht erklärt, künftig enger mit den Behörden in EU-Staaten zusammenzuarbeiten, um die in der Türkei geltenden Rechtsvorschriften und Verfahren zu erklären. 2014 und 2015 wurden türkischen Statistiken zufolge 49 Auslieferungsanträge aus EU-Ländern gestellt, ein Großteil davon wurde noch nicht abschließend bearbeitet. Nur sechs Anträge wurden genehmigt.
Bei der jüngsten offiziellen Bestandsaufnahme lag der EU lediglich ein Absichtsbekundung der Türkei vor.
Ein im Frühjahr beschlossenes Gesetz entspricht nach Auffassung der EU-Kommission nicht den Anforderungen. Es sei nicht sichergestellt, dass die Datenschutzbehörde unabhängig handeln könne, lautete die Kritik. Es wurde gefordert, dass die neuen Datenschutzregeln auch für Strafverfolgungsbehörden gelten müssen.
Dies ist der umstrittenste Punkt. Die EU verlangt von der Türkei den geltenden Rechtsrahmen und die Standards zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus zu überarbeiten. So soll unter anderem die Definition von Terrorismus enger gefasst werden, um auszuschließen, dass auch missliebige Journalisten oder politische Gegner verfolgt werden können. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat jedoch zuletzt deutlich gemacht, dass er im Gegenzug ein härteres Vorgehen gegen die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK in Europa erwartet.
Und wenn die Türkei die Todesstrafe einführt?
Dann kann sie nicht länger EU-Beitrittskandidat sein. Mit der Suspendierung der Gespräche zu drohen, ist nicht genug. Denn das bedeutet nur, dass die EU die Türkei dann so behandelt wie heute Mazedonien, auch ein Kandidat ohne Verhandlungen. Die EU sollte stattdessen erklären, dass prinzipiell kein Land mit Todesstrafe Beitrittskandidat sein kann. Das Ziel ist, den Kandidatenstatus zu bewahren und die Todesstrafe zu verhindern – und nicht nachher darauf zu reagieren.