Wie reagiert die griechische Regierung auf die zähen Verhandlungen mit den bisherigen Geldgebern?
Sie tourt durch die Welt auf der Suche nach Verständnis – und Geldgebern. Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis wurde im US-Finanzministerium empfangen, kassiere allerdings eine Abfuhr. Der für internationale Angelegenheiten zuständige Staatssekretär Nathan Sheets forderte Griechenland auf, in dem gegenwärtigen Verhandlungsprozess „ein Reformprogramm fertigzustellen, das eine finanzielle Unterstützung in einer angebrachten Zeit von Seiten der Gläubiger Griechenlands verdient“.
Erfolgreicher war der griechische Regierungschef Alexis Tsipras. Er reiste am Mittwoch nach Russland zu einem Antrittsbesuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin. Dieser versprach dem krisengeplagten Land mit Millionen-Investitionen und eventuell Hunderten Millionen für einen künftigen Gastransit unter die Arme zu greifen. Putin bot zudem eine umfassende Wiederbelebung der Handelsbeziehungen an. Beide Länder sollten das frühere Wachstumstempo wiederherstellen, appellierte der Kreml-Chef, der Athen auch Kredite für Infrastrukturprojekte in Aussicht. Zwar habe Athen keine Hilfe beantragt, doch seien Kredite für konkrete Vorhaben möglich. Beide unterzeichneten einen gemeinsamen Aktionsplan für 2015/2016.
Griechenlands Verflechtungen mit Russland
Viele Griechen und Russen sind Patrioten und stolz auf die Geschichte und den kulturellen Reichtum ihres Landes. Jetzt haben sie den Eindruck, dass ihnen einige westliche Politiker und viele Medien wegen des Handelns ihrer Regierungen negativ gegenüberstehen.
Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern und auch Deutschland kritisiert die griechische Regierung die westlichen Sanktionen gegen Russland. Das kommt gut an im Kreml, wo man sich im Gegenzug mit Kommentaren über den maroden griechischen Haushalt zurückhält. Griechenland steht in einigen internationalen politischen Fragen Seite an Seite mit Moskau: Zum Beispiel hat Athen genau wie Moskau niemals die Unabhängigkeit der Republik Kosovo anerkannt – im Gegensatz zu 109 Staaten der Vereinten Nationen.
Ungefähr 190.000 ethnische Griechen und Pontosgriechen leben in Russland, etwa an der russischen Schwarzmeerküste und in der Region Stawropol im Nordkaukasus.
In Griechenland leben rund 300.000 russische Staatsbürger. Griechenland ist bei Russen als Urlaubsland sehr beliebt, im vergangenen Jahr kamen mehr als eine Million russische Touristen nach Griechenland. Die Zahl ist jedoch im Vergleich zu den Vorjahren gesunken, weil der Urlaub im Ausland für viele Russen wegen des schwachen Rubel zu teuer geworden ist.
Drei von vier Russen bekennen sich zum orthodoxen Glauben, in Griechenland beträgt der Anteil der orthodoxen Christen mehr als 90 Prozent der Gesamtbevölkerung. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras ist jedoch Atheist: Bei der Amtseinführung verzichtete er als erster Ministerpräsident in der griechischen Geschichte auf die religiöse Eidesformel.
Russland ist Griechenlands wichtigster Handelspartner. 2013 betrug das Handelsvolumen rund 9,3 Milliarden Euro. 11 Prozent seiner Importe bezieht Griechenland aus Russland. Mehr als 60 Prozent seines Flüssiggases bekommt Griechenland von dem russischen Staatskonzern Gazprom. Auch im Finanzsektor gibt es enge Verbindungen. So halten russische Aktionäre große Anteile an der auch für Griechenland wichtigen "Bank of Cyprus“.
Griechenland ist von den russischen Lebensmittelsanktionen besonders betroffen, weil Russland bis August 2014 mehr als 40 Prozent der griechischen Agrarexporte empfing. 2013 hat Griechenland Früchte und Konserven im Wert von 178 Millionen Euro nach Russland ausgeführt. Griechische Pfirsiche und Erdbeeren waren in Russland besonders beliebt: Bis zu der Einführung des Lebensmittelboykotts kam fast jeder vierte Pfirsich und 40 Prozent der Erdbeeren auf dem russischen Importmarkt aus Griechenland.
„Das Ziel meines Besuches ist ein Neustart in unseren Beziehungen“, sagte Tsipras. Die Kritik von EU-Politikern an seiner Reise wies er mit Nachdruck zurück. „Manche sollten aufhören, jede unserer Bewegungen in einer Art zu kommentieren, als wäre Griechenland eine Schuldenkolonie“, sagte Tsipras. Die Krise des Landes sei „ein europäisches Problem, das eine europäische Lösung braucht“.
Dennoch fürchten europäische Politiker, Griechenland könne sich nach Unterstützung in Russland umhören – und Moskau im Gegenzug Zugeständnisse in der Ukraine-Krise machen. Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), hat Griechenland davor gewarnt, vom EU-Kurs im Ukraine-Konflikt abzuweichen. Erler sagte der Nachrichtenagentur AFP am Montag, Moskau könne versuchen, „einen Keil in die westliche Konsensfindung zu treiben“.
Was hat es mit dem Streit um deutsche Reparationszahlungen auf sich?
Seit das Syriza-Bündnis die Regierungsverantwortung in Griechenland übernommen hat, mehreren sich die Stimmen, Deutschland schulde den Griechen Geld. Im Streit um deutsche Reparationszahlungen für erlittene Schäden im Zweiten Weltkrieg hat der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Mardas die Forderungen seines Landes auf 278,7 Milliarden Euro beziffert. Ein zuständiger Parlamentsausschuss komme nach einer ersten Auswertung auf diese Summe, teilte er am späten Montagabend im Parlament in Athen mit. Das Thema belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten.
Athens Reparationsforderungen an Deutschland
Während des Zweiten Weltkriegs musste Griechenland den deutschen Besatzern netto umgerechnet 476 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellen. Die heutige griechische Regierung interpretiert das als "Zwangsanleihe", die heute noch rückzahlbar sei.
1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensvertrages“. Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ gegenstandslos. Die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - darunter Griechenland - stimmten 1990 der „Charta von Paris“ für eine neue friedliche Ordnung in Europa zu.
Nach Auffassung Berlins ergibt sich aus der Zustimmung zur „abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland“ in der Charta, dass die Reparationsfrage nicht mehr geregelt werden sollte. In Athen wird dagegen argumentiert, die Entschädigungsfrage sei ungeklärt, denn die Unterzeichner hätten den Vertrag nur zur Kenntnis genommen.
2003 wies der Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen eines SS-Massakers in Distomo von 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung und nahm eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.
Ein griechisches Gericht sprach 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstößt das Urteil aber gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Diesen Grundsatz hatten 2002 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit habe das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand der BGH.
In den vergangenen zwei Jahren haben Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank in Athen die Höhe der Reparationen aus griechischer Sicht berechnet. In einer Studie, die die griechische Sonntagszeitung „To Vima“ im März 2015 veröffentlicht hatte, wurden die Gesamtforderungen auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas nannte am 6. April dann in einer Rede vor dem Parlament nach einer ersten Auswertung des zuständigen Parlamentsausschusses eine Summe von 278,7 Milliarden Euro.
Deutschland vereinbarte zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädigungsabkommen mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag ist laut Bundesregierung festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen. 2014 wurde die Forderung nach Entschädigungen auch beim Athen-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck laut. Die Bundesregierung wies die Ansprüche zurück. Athens Forderungen seien geregelt, heißt es bis heute.
Zu den Reparationsforderungen gibt es bereits eine umfangreiche griechische Studie. Auf deren Grundlage prüfen der Parlamentsausschuss und der Oberste Gerichtshof des Landes zurzeit, wie mögliche Reparationsforderungen an Deutschland erhoben werden können. Die Gesamtforderungen werden darin auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Die Bundesregierung sieht die Entschädigungsfrage dagegen als erledigt an. Ein 1960 von der damaligen Bundesregierung abgeschlossenes Abkommen sah die Zahlung von 115 Millionen Mark vor. Eine Einigung ist nicht in Sicht.
(Mit Material von dpa und Reuters)