Bankenkrise in Italien Die 20-Milliarden-Euro-Frage

Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan greift in die Bankenkrise seines Landes ein. Vor allem die älteste Bank der Welt aus Siena verunsichert die Märkte. Die Rettung durch den italienischen Staat ist aber nur der Anfang. Bei einem halben Dutzend weiterer Geldhäuser ist ebenfalls frisches Kapital nötig. Eine europäische Tragödie.

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Das Logo der Bank Monte dei Paschi di Siena Quelle: REUTERS

Politische Krisentage hatten in Italien schon immer etwas von Festtagen: Wenn mal wieder eine italienische Regierung gestürzt ist - was im Nachkriegs-Italien bislang 65 Mal vorkam -, entfaltet der römische Politikbetrieb seine ganze Grandezza: Vor der Kulisse der Ewigen Stadt fährt alles auf, was der italienische Staat zu bieten hat, und inszeniert die ganz große Oper der Politik. Limousinen rollen vor den Amtssitz des Staatspräsidenten, Oppositionsführer empören sich in palastartigen Räumen, und jeder, der noch was werden will, zeigt sich auf den Bühnen dieser Stadt.

Es wird im Rom 2016 gelogen, posiert und intrigiert wie zu Zeiten Ciceros. So war es auch in den vergangenen zwei Wochen, nachdem Staatspräsident Sergio Mattarella den bisherigen Außenminister Paolo Gentiloni zum neuen Regierungschef ernannt hatte.

Nur einer aus Italiens Politikerriege fiel eigentlich in dieser ganzen Zeit durch konsequente Abwesenheit auf: Pier Carlo Padoan. 66 Jahre, von Haus aus etwas spröde und dennoch der vermutlich wichtigste Mann im neuen Mitte-links-Kabinett: Dem Finanzminister war einfach nicht nach politischem Drama. Wohl vor allem deshalb, weil er mit einem anderen, ganz realen zu kämpfen hat.

Wissenswertes über Italien

Die Banca Monte dei Paschi (MPS) verunsichert die Finanzmärkte. Seit Sommer schon versucht die 1472 gegründete und damit älteste Bank der Welt, das drittgrößte Institut Italiens, fünf Milliarden Euro frisches Kapital aufzutreiben. So will sie sich gegen den massenhaften Ausfall fauler Kredite sichern, die in ihren Büchern stehen.

Seither werden Rettungsideen gewogen, gemessen - und meist für nicht praktikabel befunden. Und so muss man nun, ein paar Tage vor dem Ablauf der von der Europäischen Zentralbank gesetzten Frist zum 31. Dezember, wohl sagen: Es wird wohl nichts mit der Rettung aus eigener Kraft.

Falls dem so ist, müssten nach den Regeln der Europäischen Bankenunion die privaten Gläubiger der Bank herangezogen werden. Im Falle der MPS sind das allerdings ungewöhnlich viele Privatanleger: Für 40.000 Sieneser stehen über nachrangige Anleihen 2,1 Milliarden Euro auf dem Spiel. Genau deswegen liebäugelt Minister Padoan mit Staatshilfe.

Bisher ist dieser Weg offiziell noch nicht eingeschlagen. Nur: Mittlerweile ist es fast egal, ob das auf den letzten Metern noch klappt, es wäre ohnehin nur eine Zwischenlösung. Selbst wenn sich genug Investoren fänden, ist das Problem der italienischen Bankenbranche nicht gelöst: Eine Reihe von Volksbanken und Sparkassen ist ebenfalls nicht zukunftssicher, leidet unter zu vielen ausfallbedrohten Krediten. Zehn Prozent der italienischen Banken, heißt es in Mailänder Finanzkreisen, hätten "akute Probleme".

Und so deutet sich nun an, dass Padoan an der Sieneser Krisenbank ein Exempel statuieren möchte. Ein Pilotprojekt für das Aufräumen in der Branche. Ein "Rettungsschirm" über bis zu 20 Milliarden Euro soll gespannt werden, frisches Kapital würde (vorübergehend) zur Verfügung gestellt, Privatanleger herausgedrängt und entschädigt.

Allerdings: Europas Bail-in-Pläne, also das Versprechen aus der letzten Krise, Schulden nicht mehr zu sozialisieren und stattdessen private Gläubiger und Eigentümer wirklich für marode Banken haften zu lassen, wäre dann auch passé. Ein theoretisch sauberes Konzept, das den Realitätstest schon im ersten Krisenfall nicht bestanden hätte. Und so kommt es mit dem Fall MPS noch in diesem Jahr zu einem Showdown um die Frage: Wie ernst nimmt die Euro-Zone ihre eigene Krisenpolitik?

Krise und kein Ende

Von Sienas Stadtheiliger Katharina sagt man, sie habe Eigennutz kritisiert und Verschwendung verdammt. Doch trotz ihrer Mahnungen blieb sie illusionslos: Die Welt, befand sie kurz vor ihrem Tod, schaffe nur eins: Leiden. Das habe Gott so gewollt, um den Weg ins Jenseits erstrebenswert scheinen zu lassen.

Heute liegen einige von Katharinas Überresten in der örtlichen Basilika. Und wie es scheint, hat man nicht nur Wert darauf gelegt, die Gebeine zu verwahren, sondern auch, ihre düsteren Prophezeiungen Wahrheit werden zu lassen.

Denn zum zweiten Mal innerhalb von vier Jahren kämpft die ortsansässige Bank ums Überleben. Es war im Sommer dieses Jahres, als die EZB die Banker in Siena aufschreckte. Kredite im Wert von 47 Milliarden Euro des Gesamtkreditportfolios von etwa 110 Milliarden Euro der Bank seien akut ausfallgefährdet. Die Bank müsse sich bis Ende des Jahres fünf Milliarden Euro beschaffen. Privat, bitte schön.

So bedrohlich sind die größten Banken der Welt
Klasse 1 – UBS, Santander, Royal Bank of Scotland Quelle: AP
Klasse 1 – Morgan Stanley Quelle: REUTERS
Klasse 1 – Standard Chartered Quelle: REUTERS
Klasse 1 – Unicredit Quelle: dpa
Klasse 2 – Barclays Quelle: dpa
Klasse 2 – Wells Fargo Quelle: REUTERS
Klasse 2 – Industrial and Commercial Bank of China Quelle: REUTERS

Ein Bankenkonsortium versucht seither, einen privaten Rettungsplan umzusetzen. Es wurden nachrangige Anleihen in Aktien umgetauscht, und immer mal machten Gerüchte von neuen privaten Ankerinvestoren die Runde. Bisher aber floss kaum Geld.

Und so ist dieser Tage ein ungewöhnliches Duo im Dauereinsatz: Finanzminister Padoan und Marco Morelli, ein Mann, wie man sich einen international kompatiblen Finanzer vorstellt. Der Banker wurde im Spätsommer von Padoan installiert, dessen Ministerium schon jetzt mit etwa vier Prozent größter Aktionär ist. Seitdem versucht Morelli als eine Art Handelsreisender das Unmögliche: die Bank aus eigener Kraft zu retten. Auch jetzt will er noch einmal an die Inhaber von Obligationen appellieren, ihre Titel freiwillig in Aktien umzutauschen, nachdem auf diese Weise bisher eine Milliarde Euro an neuem Eigenkapital zusammengekommen ist.

Eine Branche, viele Probleme

Der Kampf um die Zukunft der Bank ist auch deswegen so hart, weil er stellvertretend für weite Teile der Branche in Italien geführt wird. Das Land zählt ganze 64 Banken pro 100.000 Einwohner, im Schnitt der Euro-Zone sind es 37. Und die meisten dieser Institute haben ein missliches Geschäftsmodell: Sie leben vom Zinsgeschäft aus Unternehmenskrediten. Deren Marge aber ist derzeit quasi abgeschafft. Da die Wirtschaft stagniert, fallen immer mehr Unternehmenskredite aus. "Wir haben eindeutig zu viele Banken", sagt Carlo Messina, Chef der zweitgrößten Bank des Landes Intesa Sanpaolo. Es müsse Fusionen geben, um stärkere Institute zu schaffen. Nur: Seine Worte verhallen.

Selbst große Zusammenschlüsse aber würden das Kernproblem kaum lösen: Nahezu alle Banken sind - ähnlich wie MPS - mit Privatanlegern verbandelt. Nach Zahlen der Notenbank Banca d’Italia halten Sparer Bankenanleihen im Wert von 200 Milliarden Euro. Als einige Anleger vor zwölf Monaten mit der Anleihe einer Regionalbank Geld verloren, nahm sich ein Rentner das Leben. Der Mann war sein Erspartes los. Seitdem gilt es in Italien, EZB hin, deutscher Finanzminister her, als ausgeschlossen, Privatanleger zu belangen.

Ein Hintertürchen ermöglicht neue Wege

Wenn das Konsens ist, bleibt nur noch eines: Seine Regierung sei bereit einzugreifen, um "die Stabilität der Banken und die Sparguthaben der Bürger zu garantieren", sagt Neu- und Übergangsregierungschef Gentiloni. Möglich werden soll das offenbar über ein Hintertürchen, das in den Regeln zur europäischen Bankenunion offen gelassen wurde. Demnach darf ein Staat über eine "präventive Kapitalspritze" in den Bankensektor eingreifen, wenn sonst aufgrund ungewöhnlicher Ereignisse Verwerfungen drohten.

Ist eine Regierungsumbildung nach einem verlorenen Referendum, wie man sie in Rom erlebt, nicht ein solches Ereignis? Und habe nicht sogar Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der für gewöhnlich nicht gerade als größter Italienversteher gilt, einen solchen Eingriff gar akzeptiert?

Im Tesoro jedenfalls, dem Finanzministerium, haben sie in den vergangenen Tagen fieberhaft an einem Weg gebastelt, der der Mitte-links-Regierung das politische Überleben sichern und mit Ach und Krach auch in Brüssel durchgehen könnte: Man zwingt die Sieneser Anleihegläubiger, ihre Obligationen in Aktien umzuwandeln. Die kaufen dann Investoren oder der Staat. Der Verlust, der durch den Unterschied des bisherigen Anleihewerts und des Aktienwerts entsteht, gleicht der Staat den Privatanlegern aus.

Dieser Weg hat aber einen Haken: Italien müsste argumentieren, dass die Anleger seinerzeit - in Siena handelt es sich hauptsächlich um das Jahr 2008 - unzulässig in riskante Produkte gedrängt worden sein. Verhindern müssen hätte das die Notenbank. Ihr damaliger Präsident: Mario Draghi, der heutige EZB-Chef.

Der Plan hat noch einen zweiten Teil: Der Staat würde dann versuchen, einen Teil der faulen Kredite der Banken in eine Zweckgesellschaft zu packen und an dieser Anleihen zu verkaufen, die er selber garantieren würde. Etwa 360 Milliarden Euro "fauler Kredite" belasten Italiens Banken, fast 90 Milliarden davon liegen bei Klein- und Kleinstinstituten.

Sollte dieser Weg klappen, würde Padoan ihn, so hört man, auch bei einem halben Dutzend weiterer Krisenbanken anwenden, so könnte am Ende die Gesamtsumme von 20 Milliarden Euro zusammenkommen. "Eine Pilotoperation", nennt ein Banker die Siena-Variante.

"Wenn wir jetzt entschieden vorangehen, haben wir den Bankensektor in drei Jahren so geordnet, dass er funktioniert", sagt ein anderer Banker. Und auch wenn nicht: Einen Gewinner gibt es schon heute. Die beratenden Investmentbanken haben laut Reuters 250 Millionen Euro in Siena verdient.

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