Bettina Röhl direkt

Krim: Keine Eskalation herbeireden!

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Der Westen muss seine Schulmeisterrolle zurücknehmen

Der UN-Sicherheitsrat tagte bereits drei Mal zur Ukraine-Frage. Quelle: AP

Bis zur russischen Revolution vor 100 Jahren war der Gedanke eines umfassenden russischen Reiches mit sehr verwandten Sprachen und Kulturen,  bestehend aus Großrussland, Weißrussland und Kleinrussland, sprich der Ukraine, ein Gedanke, ein Traum und ein Werturteil, das den Menschen sehr vertraut war. Dann betraten die russischen Revolutionäre die politische Bühne und verbannten den Gedanken des großen russischen Traums aus den Köpfen der Menschen. Sie erfanden eigens nationale Identitäten für die Ukrainer und die Weißrussen, denen sie verkauften, dass sie der Revolution in Russland helfen sollten, um von den Russen im Gegenzug von ihren eigenen feudalen Strukturen befreit zu werden und sodann im internationalistischen, entnationalisierten Kommunismus gemeinsam glücklich zu werden.

Es gibt also durchaus die Möglichkeit an alte Ideen anzuknüpfen und höchst artifizielle Antagonismen, die zwischen Russland und der Ukraine jetzt aufgebaut oder kultiviert werden, zurück zu drängen. Natürlich muss Putin jede Art von Kolonialisierung oder Bevormundung der Ukraine aufgeben, falls er derartige Ideen hegen sollte. Und die russische Seite muss das Erbe des Holodomor annehmen und Stalins Völkermord an den Ukrainern aufarbeiten.

Demokratische Wahlen können vieles in der Ukraine, und natürlich auch auf der Krim und vor allem in Russland selber richten, aber demokratische Wahlen benötigen umgekehrt auch Voraussetzungen und die sind derzeit kaum gegeben. Erstens muss die Ukraine wirtschaftlich soweit auf die Beine gebracht werden, dass die Menschen nicht aus wirtschaftlicher Not wählen, was sie bei vernünftigem Nachdenken niemals wählen würden, zweitens müssen höchst artifizielle Konflikte entemotionalisiert werden und drittens macht die Verböserung Putins, die im Westen routiniert zur Schau gestellt wird, überhaupt keinen Sinn.

Eine falsche und überzogene Putinschelte ist kontraproduktiv und es ist ganz gut, dass die Bundeskanzlerin klar stellen ließ, dass sie Putin in einem Gespräch mit Obama dann wohl doch nicht für realitätsverlustig, also beschränkt zurechnungsfähig erklärt hat.

Es mag sein, dass auch Putin, wie jeder andere politische Führer an solchen Schaltstellen, wo Weltpolitik gemacht wird, seine Träume hat. Und es mag auch sein, dass seine Träume dahin gehen, Russland größer und stärker zu machen, aber das ist ja eher normal und legitim. Solche Träume gab es in Instanbul, als die Krim von dort aus beherrscht wurde und es gibt sie heute in Ankara und vielen anderen Orten. Die Nationen stehen im internationalen Wettkampf und dieser Wettkampf hat per se nichts mit Nationalismus zu tun. Jetzt ist bei weitem nicht nur Russland gefordert, sondern in besonderer Weise auch die Ukraine selber. Und der Westen muss moderieren, wirtschaftlich helfen und sich auch ein Stück weit aus der Schulmeisterrolle zurücknehmen. Langfristig gehören Russland und die Ukraine in die EU. Wohin sonst? 

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