Bettina Röhl direkt

Die gefährliche Ideologie des "Egalismus"

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Differenzen werden atomisiert und vernebelt

Die größten Euro-Gegner
Hans-Olaf Henkel war Industrie-Chef und sieht Europa durch den Euro bedroht. Die aktuelle Krisenbewältigung schränke die Demokratie in den Eurostaaten erheblich ein. Henkel hofft auf ein Einlenken der Bundeskanzlerin. "Die Bereitschaft der Deutschen, weitere Griechenland-Rettungspakete und demnächst Portugal und Italien zu finanzieren, ist weniger verbreitet als die Bereitschaft, die Kernenergie zu unterstützen. Das heißt: Wenn Angela Merkel beim Euro eine Art Fukushima-Effekt erlebt, dann traue ich ihr zu, blitzschnell den Kurs zu ändern", sagte Henkel im Interview mit der WirtschaftsWoche. Quelle: AP
Der Ökonom und Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Hans-Werner Sinn hält viele Euro-Mitgliedsländer für nicht wettbewerbsfähig. Er plädiert für einen Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion und warnt eindringlich vor einer Bankenunion und Eurobonds. Im vergangenen Jahr hat er einen Brandbrief von rund 200 deutschen Ökonomen mitunterzeichnet. Innerhalb der Bundesregierung hat er sich damit keine Freunde gemacht. Doch das wird Sinn nicht stören. Einer, der den ifo-Chef gut kennt sagte, "Sinn würde zu seinen Thesen stehen, auch wenn andere daran zweifeln". Bevor Sinn sich und seine Thesen präsentiert, bereitet er sich stundenlang vor und feilt an seinen Formulierungen. Quelle: dapd
Alexis Tsipras ist Vorsitzender des griechischen Links-Bündnisses "Syriza" und der mächtigste Kritiker der griechischen Regierung. Er ist strikt gegen das Sparprogramm, das sein Land mit den internationalen Geldgebern verhandelt hat. Sein jüngster Vorschlag: Die griechische Regierung solle schlichtweg die Gespräche mit der Troika (IWF, Europäische Kommission und Europäische Zentralbank) verweigern. Die fortschreitende Privatisierung von Staatsbetrieben will Tsipras eigenen Worten zufolge "kriminalisieren". Die griechische Regierung soll im Eiltempo öffentliche Unternehmen verkaufen. Bei der Wahl im vergangenen Jahre erreichte seine Partei 17 Prozent der Stimmen und wurde zweitstärkste Kraft im Land. Umfragen sehen Tsipras inzwischen noch stärker. Quelle: dapd
Peter Gauweiler ist CSU-Politiker und profiliert sich vor allem als Euro-Skeptiker. Er stimmt gegen den Eurorettungsschirm und möchte die "Grenzüberschreitung" bei den europäischen Verträgen verhindern. Gauweiler war Mitkläger gegen die Euro-Hilfen, die vom Verfassungsgericht aber bestätigt wurden. Der CDU-Politiker befürchtet, dass sich die Ereignisse bei den Rettungsversuchen "überschlagen". Deshalb wisse er auch nicht, ob Angela Merkel selbst am Rettungsschirm weiterhin festhalten werde. Quelle: dpa/dpaweb
Silvio Berlusconi ist Unternehmer und ehemaliger italienischer Ministerpräsident. Bei den Parlamentswahlen in Italien holte er fast 30 Prozent der Stimmen und konnte so eine linke Regierung verhindern. Berlusconi punktete im Wahlkampf mit dem Versprechen, die Sparprogramme seines Vorgängers Mario Monti rückgängig zumachen. Auch für seine populistischen Thesen gegen den Euro erhielt er Applaus. Den Euro zu verlassen, sei keine Blasphemie, sagt Berlusconi. Quelle: REUTERS
Timo Soini ist Mitglied des Europaparlaments und Präsident der Partei "Basisfinnen". Sie lehnt Finanzhilfen für Griechenland ab. Mit seiner Euro-skeptischen Haltung weiß Soini viele seiner Landsleute hinter sich. In Finnland wächst die Sorge, dass die wohlhabenden Länder Europas den Süden dauerhaft alimentieren müssen.
Der Chef der rechtspopulistischen niederländischen Partei für die Freiheit (PVV) Geert Wilders hat sich erfolglos am Euro abgearbeitet. Er geißelte die Sparregeln als "ein Diktat Brüssels", an denen sich jedes Land kaputtspare. Doch bei den Wahlen im September 2012 wurde Wilders von den Bürgern abgestraft und flog aus der Regierung. Quelle: REUTERS

Egalismus hat nichts mit der landläufig verwendeten Vokabel der Gleichmacherei zu tun. Egalismus ist eine wütende Fiktion, die sich rapide wie ein Lauffeuer verbreitet. Die objektiven Differenzen werden atomisiert, vernebelt und klein gemacht, so dass die öffentliche Empfindungslage die Realität der Individualität zunehmend minimiert.

Das in Europa geltende, undemokratisch an der Öffentlichkeit vorbei implementierte Gender-Recht liegt voll in diesem ideologischen Trend, nach dem Mann und Frau in Wahrheit (die bekanntlich über der Wirklichkeit steht) identisch, androgyn und nur Mensch und sonst gar nichts wären.

Die Fiktionen der Gleichheit okkupieren die Bildungspolitik in einer Weise, das man kalauern möchte, dass es lauter ungebildete Leute sind, die die Bildung nunmehr seit Jahrzehnten reformieren und reformieren und reformieren. Das neue politische Ideologiewort in der Bildung heißt Inklusion, was in der Praxis eine endgültige Nivellierung aller individuell unterschiedlichen Bildungsfähigkeiten von Kindern bedeutet. Viele Politikfelder sind vom Virus des Egalismus jedweder freien Entscheidung beraubt worden und die Dynamik geht weiter.

Kulturkreise, Volksgemeinschaften, Gesellschaften

Man kann Menschen bekanntlich gar nicht so ohne Weiteres aus der Prägung ihren individuellen Biographien herauslösen. Aber man kann es. In der Psychologie geht es ja gerade darum negative Einflüsse aus der Biographie, Traumata, handhabbar zu machen.

Kulturkreise, Volksgemeinschaften, Gesellschaften sind viel schwerfälliger als Individuen. Diese aus ihren Traditionen heraus zu reißen ist Generationenarbeit, weshalb die Zwangsintegration unterschiedlicher Kulturen, die in Europa unter der Fahne des Egalismus überall administriert wird, eigentlich ein furchtbarer und zum Scheitern verurteilter Ansatz ist.
Da könnte nur über einen sehr sehr langen Zeitraum harmonisch zusammen wachsen, was realiter höchst unterschiedlich ist. Aber das ist nichts für eine Legislaturperiode, in der zum Beispiel ein paar widersinnige Schulreformen alles richten sollen. Trotzdem ist dies der Ansatz der egalistischen Ideologie, die das Geschehen beherrscht: Kulturkreise, Volksgemeinschaften, Gesellschaften, auch Religionsgemeinschaften werden in dem Ungeist des Egalismus auf eine brutale, menschenverachtende Weise ihrer Individualitäten beraubt und auf eine sehr stupide Art gleich gesetzt und das alles um die Fiktion einer schnellen Integration aufrecht zu erhalten.
Um es zu wiederholen: es geht nicht um die Gleichheit vor der Verfassung oder vor einem Gott, sondern es geht um eine wahnhafte Wahrnehmung, dass die Individualität, dass die Differenzen nicht oder nur minimal existierten und dass jede realistische Beschreibung der Wirklichkeit ihrerseits ein überkommener Realitätsverlust wäre.

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