In einer konzertierten Aktion äußern sich Wirtschaftslenker aus Europa zum Thema der EU in der Sackgasse. Die deutsche Sektion der Firmenbosse, angeregt aus der Denkfabrik, lässt sich in der FAZ kritisch gegenüber der real existierenden Eurokratenpolitik aus.
Dass Wirtschaftsprofessoren und Profisachverständige aller Couleur ihre Stimme zur Euro-Krise und zu den Lösungsmöglichkeiten erheben, die EU, EZB, IWF oder die nationalen Institutionen der Euro-Mitgliedsländer anbieten, ist nichts Neues. Wissenschaftlicher Wettstreit und das Vertreten gegenläufiger Meinungen ist dabei selbstverständlich.
Jetzt aber haben sich die Macher aus der Wirtschaft - einige von ihnen erstmalig - zu Wort gemeldet. Das ist nicht nur gut so, das war längst überfällig. Politisch Farbe zu bekennen - das fällt den Wirtschaftslenkern allzu oft schwer. Gegen den Mainstreamdruck formulieren August Oetker (Oetker-Gruppe), Thomas Selter (Selter GmbH), Marie-Christine Ostermann (Rullko-Großeinkauf), Dr. Wolfgang Böllhoff (Böllhoff-Gruppe), Michael Moritz (Catcap GmbH) und Dr. Martina Timmermann (Tima GmbH) ihre Perspektiven zu einer neu auszurichtenden Europa-Politik.
Kaufleute mahnen Kurswechsel an
"Die EU muss nicht ,immer enger' werden, sondern immer offener und flexibler: Die Vorstellung alle Länder Europas müssten im Gleichschritt marschieren, um immer mehr Brüsseler Vorgaben zu erfüllen, ist gescheitert. "verkünden die Firmenchefs. "Kompetenzen müssen nach dem Subsidiaritätsprinzip aufgeteilt und auch wieder an dezentrale Einheiten zurück verlagert werden können", also auf die nationalen Regierungen und Parlamente. Weiterhin erklären sie: "Demokratisch gewählte, nationale Parlamente sollten die Macht haben, ungewünschte oder unnötige EU-Regulierungen zu verhindern. Weitreichende Souveränitätsabtretungen bedürfen der Zustimmung der Volkes."
Auch die überbordenden Subventionen in der EU wie zum Beispiel Agrar, die einen großen Teil des Brüsseler Etats ausmachen, wollen sie unter dem Stichwort "Das EU-Transferkarussell anhalten" zurück fahren. Und erklären weiter: "Immer höhere Kosten der Bürokratie und Regulierung entstehen in Brüssel und lasten vor allem auf kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen. Weniger, aber bessere Regeln stärken die Akzeptanz der EU und geben den Leistungsträgern Luft das zu tun, was sie am besten können: Innovationen auf die weltweiten Märkte bringen."
Dauerbelastung für den Euro-Süden
Gefordert werden also abstraktere, generellere Regeln, also das Ende der detailbesessenen, gleichmacherischen Regelwut. Sie sind der Meinung: "(...)Schon eine echte Verwirklichung des EU-Binnenmarktes für Dienstleistungen könnte das Bruttoinlandsprodukt der EU dauerhaft um 2,3 Prozent wachsen lassen. Auch in Freihandelsabkommen( etwa mit den Vereinigten Staaten) liegen beträchtliche Wachstumspotenziale, die dauerhaft mehr bringen als kredit-oder steuerfinanzierte Konjunkturprogramme." Die lauwarmen Geldgeschenke, die beispielsweise die Grünen und die SPD vor den Bundestagswahlen mit der Gießkanne über Griechenland oder Portugal oder andere schwächelnde Südländer verteilen wollten, sind in der Tat kontraproduktiv.
Und einer der wichtigsten Punkte der Unternehmer lautet: "(...) Massenarbeitslosigkeit begabter Jugendlicher im Süden und Fachkräftemangel im Norden Europas können auf einem echten Binnenmarkt überwunden werden. Eine ungesteuerte Zuwanderung in die Sozialsysteme anderer Länder muss dagegen verhindert werden." Und: "Die Euro-Krise kann auf Dauer nur überwunden werden, wenn die Verpflichtungen der Regierungen und das europäische Vertragsrecht wieder ernst genommen werden. Ein verlässlicher ordnungspolitischer Rahmen für die Fiskal-und Geldpolitik verspricht mehr Stabilität der Eurozone als der Versuch, mit den Geldern anderer für die Fehler wieder anderer haften zu müssen."
Transferunion darf nicht mit Solidargemeinschaft verwechselt werden
Deutsche Konzernlenker und Bosse großer mittelständischer Unternehmen, die sich hier aufgerafft haben dem Euro-Wahn der Merkel-Regierung, (der noch befeuert wird von der Eurobond-Besessenheit der SPD), entgegen zu treten, liegen goldrichtig. In leisen Tönen mahnen die Kaufleute einen seit langem überfälligen Kurswechsel an; Länder des Euro-Südens gingen ein anderes Tempo in einer anderen Gangart, als dies für den Euro-Norden gelte. Der Euro-Süden werde auf Sicht nicht die gleiche Weltmarkttauglichkeit und auch nicht den gleichen Lebensstandard wie der Norden erreichen oder halten können. Europa solle keine Transferunion sein, nur so lasse sich das europäische Vertragswerk verstehen. Eine Transferunion dürfe nicht verwechselt werden mit einer Solidargemeinschaft, die Europa ist und bleibt. In Solidarität die unterschiedlichen ökonomischen Realitäten anerkennen und leben - das sei Europa.
Das Joch des Euro ist eine Dauerbelastung für den Euro-Süden. Daran ändern die dort durchzuführenden strukturellen Reformen selbst im Falle deren Erfolges auf Sicht nichts. Unterschiedliche Zyklen in den unterschiedlichen Regionen Europas sind Normalität und nichts, was als Krise begriffen werden kann. Ein Auto-Land wie Deutschland freut sich, wenn Autos massenhaft und zu einem hohem Preis nachgefragt werden.
Ein Nicht-Auto-Land wie Griechenland freut sich, wenn die deutschen Autobauer schwächeln und folglich bereit sind Autos billiger zum Beispiel nach Griechenland zu liefern. Der Verlust der nationalen Währungssouveränität hat Länder wie Griechenland, Spanien, Portugal, aber auch Italien und eben auch Frankreich schon zu viel gekostet. Ökonomisch, aber auch menschlich gesehen.
Massenarbeitslosigkeit in den Südländern wird bagatellisiert
Die Massenarbeitslosigkeit der Jugend in den Südländern wird hierzulande in einem erschütternden Maß bagatellisiert. Man kümmert sich lieber um einzelne Zuwanderer aus fernen Kontinenten, die die Medien wirksam präsentieren und die von Schlepperbanden und unguten Strukturen instrumentalisiert und deren Geschichten entgegen der Realität erzählt werden. Ihnen und den vielen anderen, die nicht von dort nach Europa gehen, könnte in ihren Herkunftsländern zumeist besser geholfen werden als hierzulande. Den fünf Millionen (und mehr) zum Teil gut ausgebildeten jungen Menschen in ganz Europa könnte wesentlich gezielter Augenmerk geschenkt werden, wenn der Focus nicht artifiziell durch wenige Fälle mit einer ganz anderen Problematik abgelenkt würde. Auf diesen Punkt haben britische Wirtschaftslenker in ihrem Beitrag zum Thema Europa hingewiesen, deren Aufruf zeitgleich wie der Aufruf der deutschen Unternehmer in der Sunday Times erschien.
Die deutschen Unternehmer stehen also nicht allein: 52 britische Firmenführer und Unternehmer, darunter Douglas Flint, Chef der HSBC- Großbank (Hongkong & Shanghai Banking Corporation Holdings plc) mit Sitz in London haben sich in England zu Wort gemeldet und eine illustre Zahl von Wirtschaftskapitänen in Schweden, darunter Karl-Johan Persson, der Chef der weltweit operierenden schwedischen Modekette H&M sind gemeinsam mit den deutschen Unternehmern an dem gemeinsamen Aufruf zu einer Kehrtwende in Europa beteiligt.
Nicht, dass die Forderungen in ihrer Substanz überraschend wären und sie sind auch nicht neu. Aber neu ist, dass jetzt die Wirtschaft selber das Wort erhebt und die eigenen Bedürfnisse, die auch zugleich die Bedürfnisse der Volkswirtschaften insgesamt sind, formuliert.
Profitabilität, Gewinn und Gewinnzuwachs stehen an erster Stelle
Nicht Verteilungskampf, auch nicht Verteilungsgerechtigkeit stehen an erster Stelle, sondern Profitabilität, Gewinn und bei steigender Weltbevölkerung auch Gewinnzuwachs. Das sind die obersten Fixpunkte. Für Europa heißt das Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt. Verteilungsgerechtigkeit wird wichtig und auch unmittelbar wichtig, sobald es etwas zu verteilen gibt. Verteilungsgerechtigkeit kann auch die Wettbewerbsfähigkeit steigern und trotzdem gilt, dass es zunächst einmal etwas zu verteilen geben muss.
Wer Europa seiner Vielfalt berauben will und in Brüsseler Einfältigkeit ersticken möchte, und das unter dem Dach eines Euro, der in seiner Starre als grandios gescheitert zu bezeichnen ist und der seinen Blick nach innen richtet und nicht auf den Weltmarkt, dem ist die europäische Wettbewerbsfähigkeit egal oder er hat den Weltmarkt nicht verstanden.
Auch innerhalb der Euro-Zone ist die Gleichheit in Anerkennung der unterschiedlichen ökonomischen Wirklichkeiten das Gebot der Stunde, so wie es die Unternehmer aus England, Schweden und Deutschland jetzt einfordern. Die sonst viel beschworene Flexibilität auf allen Ebenen rauf und runter ist das, worauf es ankommt. Andalusische Olivenölproduzenten haben anderen Markterfordernissen Rechnung zu tragen als die Hamburger Hafenwirtschaft oder die Maschinenbauer im Ländle. Alles ist Europa und Europa ist nicht prädestiniert in einem Zentralstaat unter zu gehen.