Boris Johnson als britischer Außenminister Hätten die Johnson-Basher doch geschwiegen!

Boris Johnson, der Kopf der Brexit-Kampagne, ist ein Polit-Exzentriker, aber kein Feigling. Seine Ernennung zum britischen Außenminister ist eine Lektion für Politiker, die mit persönlichen Urteilen allzu freigiebig sind.

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Boris Johnson. Quelle: REUTERS

Manch ein deutscher Politiker wird vielleicht angesichts der Nachricht über den künftigen Außenminister in London an die alte Schulweisheit gedacht haben: Si tacuisses, philosophus mansisses. Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph geblieben.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier zum Beispiel, der seinem neuen Amtskollegen vor einigen Tagen schwerste persönliche Vorwürfe gemacht hatte: „Was mich am meisten ärgert, ist, dass die beiden Hauptkontrahenten bei den Tories aus einem zunächst nur innerparteilichen Konflikt eine ausgewachsene Staats- und Regierungskrise in Großbritannien gemacht und damit auch der ganzen EU Schaden zugefügt haben, nun aber die Verantwortung für die Folgen anderen überlassen.“

Sein Kabinettskollege, Vizekanzler Sigmar Gabriel war auf einer SPD-Veranstaltung noch persönlicher geworden: „Gegen Maggie Thatcher sind Boris Johnson und David Cameron eher Bonsai-Konservative.“

Das sind die neuen Kabinettsmitglieder
Premierministerin: Theresa May Quelle: dpa
Handelsministerium: Liam Fox Quelle: dpa
Außenministerium: Boris Johnson Quelle: REUTERS
Brexit-Ministerium: David DavisDie Federführung bei den Verhandlungen mit der EU liegt bei David Davis. Der 67-Jährige gilt als überzeugter EU-Gegner. Er hatte von 1994 bis 1997 als Staatssekretär für Europa-Fragen im Außenministerium gearbeitet. Damals hätten ihn die Kollegen als „charmanten Bastard“ bezeichnet, sagte er kürzlich in einem Interview. Quelle: AP
Innenministerium: Amber Rudd Quelle: dpa
Finanzministerium: Philip Hammond Quelle: dpa
Justizministerium: Liz TrussNeue britische Justizministerin wird Liz Truss, die bisher Umweltministerin war. Sie ersetzt somit Michael Gove, der aus dem Kabinett ausscheidet. Quelle: dpa

Auch Unionspolitiker hatten nicht mit Schmähungen gespart, als Johnson nach dem Brexit-Referendum auf eine Kandidatur für den Vorsitz der Konservativen Partei und damit den Posten des Premierministers verkündet hatte. Es sei  „feiges Verhalten“ twitterte zum Beispiel der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber, Fraktionschef der EVP im Europäischen Parlament: „zuerst Chaos zu stiften und sich dann der Verantwortung zu entziehen.“

In den Augen seiner Kritiker konnte Johnson seit er sich zum Wortführer für den Austritt aus der EU gemacht hatte, vermutlich ohnehin nur alles falsch machen. Zunächst hatte man ihm unterstellt, die Brexit-Kampagne rücksichtslos als Brechstange auf dem Weg in die Downing Street zu verwenden. Als er dann nach dem Referendum seinen Verzicht auf eine Bewerbung um den Partei-Vorsitz bekannt gab, war das Urteil über seine Person: Er drückt sich vor den Folgen seiner Tat, ist feige, egozentrisch und verantwortungslos.

Es gehört zu den zerstörerischen Folgen der Personalisierung des politischen Geschäfts in den westlichen Demokratien, dass manche Positionen, die außerhalb eines enger werdenden Konsens liegen, die Angehörigen dieses Betriebes zu persönlichen Diffamierungen verleiten. Dahinter steht wohl meist die Überzeugung, dass dies dazu beiträgt, dass die derart Gescholtenen Außenseiter bleiben. Pech nur, wenn sie das nicht tun. Besonders riskant wird diese Praxis aber, wenn sie sich gegen ausländische Politiker richtet, auf deren Machtperspektiven man nicht den geringsten Einfluss hat.

Johnson drückt sich nicht

Man dachte, man kann Johnson zum Abschied noch schnell eine theatralische Backpfeife verpassen, um selbst als besonders verantwortungsvoll dazustehen. Aber Johnson hat sich nicht verbschiedet. Er wird britischer Außenminister. Und alle, die ihm Feigheit vorwarfen, stehen als begossene Pudel da.

Johnson drückt sich nicht, sondern reiht sich ins Glied ein – hinter seiner Parteivorsitzenden und neuen Premierministerin Theresa May. Er ist zweifellos ein Exzentriker, aber ein Feigling ist er nicht. 

Eine politisierende und nach jedem Aufmerksamkeitsstrohhalm schnappende Musikerin wie Cher kann es sich leisten, Johnson einen „F-ing idiot“ zu nennen. Ebenso wie die Boulevard-Journalisten des „Daily Mirror“, die die Welt für Johnsons lächerliche Auftritte um Verzeihung bitten. Journalisten und Musiker müssen schließlich nicht mit ihm verhandeln.

Deutsche und andere Spitzenpolitiker aber müssen sich mit dem „Bonsai-Konservativen“ demnächst an einen Tisch setzen, verhandeln, gemeinsame Lösungen finden. Das würde leichter fallen, wenn man ihn vorher nicht als feige und verantwortungslos beschimpft hätte. 

Klar, Boris Johnson selbst hat mehr persönlich diffamiert und herumgepoltert als die meisten seiner Kritiker. Er nannte zum Beispiel die wahrscheinliche nächste Präsidentin der Vereinigten Staaten, Hillary Clinton, eine „sadistische Krankenschwester“. Daran wird sie sich mit Sicherheit erinnern, wenn sie ihm demnächst auf diplomatischem Parkett die Hand schüttelt. Und als ehemaliger Latein-Lehrer wird Johnson sich dann vermutlich denken: Si tacuisses…

Für die Politik gilt dasselbe wie für das Geschäftsleben: Auf öffentliche Charakterurteile und persönliche Diffamierungen der Wettbewerber - erst Recht ausländischer - zu verzichten, ist nicht nur eine Frage von guten Sitten und Stil. Es zahlt sich vermutlich auch aus.

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