Brexit In or out? So geht es weiter

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Auch einseitige Kündigung denkbar

Gibt es Vorbilder für den Austritt?

Das Modell „Norwegen“: Das skandinavische Land ist durch das sogenannte EWR-Abkommen eng an die EU angebunden. Vorteil für Norwegen ist der freie Zugang zum Binnenmarkt der EU. Um von diesem Privileg profitieren zu können, muss das Land allerdings auch die EU-Regeln zur Bewegungsfreiheit für Arbeitnehmer und Dienstleistungen respektieren. Zudem muss Norwegen derzeit die 15 am wenigsten wohlhabenden Länder der EU mit EWR-Fördergeldern in Höhe von jährlich 388 Millionen Euro unterstützen. Weiterer Minuspunkt des Modells: Trotz des EWR-Abkommens besitzt Norwegen innerhalb der EU in den entscheidenden Organen kein Stimmrecht. Das Land muss also EU-Recht akzeptieren, hat darauf aber kaum Einfluss.

Das Modell „Schweiz“: Die engen Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz werden durch ein dichtes Netz von rund 120 Abkommen geregelt. Das Alpenland hat zum Beispiel einen direkten Zugang zu etlichen wichtigen Sektoren des EU-Binnenmarktes. Wie Norwegen muss sich allerdings auch die Schweiz dafür an zahlreiche EU-Regeln halten und auch finanzielle Beiträge leisten. Zum Beispiel zahlt sie für ihre Einbindung in den Europäischen Forschungsraum und für Projekte zur „Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten in der erweiterten EU“. Das Modell „Schweiz“ könnte für Großbritannien interessant sein, vor allem wenn es zusätzlich den Zugang zum Sektor Finanzdienstleistungen ermöglichen würde. In EU-Kreisen gilt es allerdings als äußert unwahrscheinlich, dass die EU noch einmal einem Land ein ähnliches Modell zugesteht. Es gilt als zu komplex.

Das Modell „Kanada“: Das Freihandelsabkommen (Comprehensive Economic and Trade Agreement), das die EU mit Kanada ausgehandelt hat, ist umfassender als alle vorher geschlossen Verträge dieser Art. Es umfasst allerdings nicht den für Großbritannien so wichtigen Bereich der Dienstleistungen. Laut EU-Kommission entfallen „mehr als 99 %“ der Zölle durch das Abkommen CETA. Es soll Zugangsbeschränkungen bei öffentlichen Aufträgen beseitigen, Investoren verlässliche Bedingungen bieten und nicht zuletzt die illegale Nachahmung von EU-Innovationen erschweren. Insgesamt liegen die deutsch-kanadischen Handelsbeziehungen dennoch unter dem Potenzial beider Volkswirtschaften. Die großen kanadischen Rohstoffvorkommen spielen für die Rohstoff- und Energieversorgung Deutschlands bislang nur eine untergeordnete Rolle, werden für den deutschen Markt aber zunehmend interessanter. Kritiker fürchten, dass nur große Konzerne von diesen Abkommen profitieren werden – auf Kosten der Bürger.

Das „WTO“-Modell: Wenn sich die beiden Parteien auf kein anderes Modell einigen können, würde der Handel künftig nach den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) ablaufen. Der Zugang Großbritanniens zum EU-Binnenmarkt wäre so beschränkt wie der eines Landes wie Neuseeland. Vor allem für die britische Finanzbranche wäre dieses Modell vermutlich katastrophal. 

Auch in Zukunft ohne Visum

Für die meisten EU-Länder ist anzunehmen, dass auch in Zukunft Visumfreiheit bei Reisen ins Königreich besteht. Dennoch: Es müssten Einzelfallregelungen mit jedem Land geschlossen werden. Betroffen könnten auch Regelungen sein, die die EU mit Drittländern, aktuell gerade mit der Türkei, schließt. Sie würden dann möglicherweise nicht mehr für Großbritannien gelten. Dominic Raab, eine der führenden Pro-Brexit-Figuren, warnt: „Briten könnten künftig für Reisen nach Europa ein Visum benötigen.“

Allerdings ist davon auszugehen, dass die Briten Übergangsfristen gelten lassen würden. Großbritannien hatte 2004 bewusst mehr Osteuropäer ins Land gelassen als viele andere EU-Länder, weil Arbeiter benötigt wurden. Harte Regelungen nach einem Brexit könnten für einige Branchen, etwa Hotellerie oder Bau, die Arbeitskräfte knapp werden lassen. Daran hat Großbritannien, das einen riesigen Investitionsstau im Hoch- und Tiefbau hat, kein Interesse.

Einseitige Kündigung möglich

Der Premier, David Cameron oder im Falle seines Rücktritts sein Nachfolger, könnten auch auf einen formellen Austrittsantrag verzichten und diesen nur für später ankündigen. Großbritannien könnte dann einseitig das EU-Recht aufkündigen. Das würde bedeuten, dass die Einwanderung von EU-Ausländern gestoppt wird und keine rechtliche Bindung mehr an EuGH-Urteile besteht. Auch die EU-Finanzmarktregulierung würde dann nicht mehr stattfinden.

Das würde dazu führen, dass die EU Großbritannien vom Binnenmarkt ausschließt. Die Folge wäre wohl eine schwere Wirtschaftskrise im Königreich, Pfund und Aktien britischer Unternehmen würden drastisch an Wert verlieren.

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